Gewissen

Das Gewissen ist jedoch nicht unfehlbar, es kann sich irren.

Der Mensch ist sinnlich blöder als jede Fledermaus. Weil er keine sicheren Instinkte hat, muss er sein Verhalten selbst bestimmen. Uns Menschen wurde ein Gewissen eingebaut, eine Art moralischer Kompass, dessen Nadel in die Richtung weist, die wir einschlagen sollten. Das Gewissen ist eine Urteilskraft, die uns befähigt, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, aber kein Organ, das bei einer richtigen Entscheidung Lustgefühle und bei falschen Entscheidungen Schmerzempfindungen auslöst. 

Das Gewissen ist jedoch nicht unfehlbar, es kann sich irren. Die sichere Urteilskraft ist - wie Martin Walser meint - nicht häufiger als absolutes Musikgehör. Es ist darum angebracht, seinem Gewissen nicht blind zu vertrauen. Man sollte es von Zeit zu Zeit mit einer Stimmgabel überprüfen. Ja, zuweilen kommt man nicht umhin, für sein Gewissen einen Stimmbildner zu Rate zu ziehen, wie man die vielen Stimmen und Souffleure unterscheidet, die uns pausenlos umwerben, einschüchtern und beschwatzen. Sie sind es meist, die auf unsere Gewissensentscheidungen Einfluss nehmen und verhindern möchten, dass wir die Stimme des Gewissens hören. Den Gewissenlosen, der kein Gewissen hat, gibt es nicht. Doch gibt es viele, deren Gewissen ungebildet ist oder teilnahmslos dahin döst und sich nicht traut, wo es nötig ist, zu protestieren. Würde jeder mehr auf sein Gewissen hören und nicht von seinem Gewissen verlangen, dass es auf ihn hört, wir hätten mit einem Male eine bessere Welt.


P. Walter Rupp, SJ