Nahrung

Gerade der moderne Mensch, der sich in Fragen der Ernährung gesundheitsbewusst verhält, auf Verfallsdatum und Prüfungsstempel der Lebensmittel achtet,...

Sokrates soll einmal gegenüber einem Vater, der ihn wegen seines Sohnes um Rat gefragt hatte, geäußert haben: Er wundere sich darüber, wie sehr sich die Menschen davor hüteten, verdorbene Speisen zu essen, wie wenig sie jedoch darauf achteten, verdorbene Gedanken aufzunehmen.

Die Menschen haben diese widersprüchliche und höchst sonderbare Verhaltensweise bis heute beibehalten. Sie wissen zwar genau, was sie ihrem Magen zumuten dürfen, scheinen aber nicht zu wissen, was ihrem Gehirn gut oder nicht gut tut. Es gibt heute - mehr denn je - Menschen, die auf gesunde Nahrung Wert legen. Sie kaufen nur geprüfte, nicht gespritzte und ökologisch einwandfreie Nahrungsmittel ein, achten beim Zubereiten genau darauf, dass das Verhältnis zwischen Ballaststoffen, Kalorien und Vitaminen stimmt, und bemühen sich, beim Essen nicht alles, was schmeckt, wahllos in sich hineinzustopfen.

Gerade der moderne Mensch, der sich in Fragen der Ernährung gesundheitsbewusst verhält, auf Verfallsdatum und Prüfungsstempel der Lebensmittel achtet, zeigt sich, wenn es um die Aufnahme geistiger Inhalte geht, auffallend sorglos. Dann ist er mit einem Male nicht mehr wählerisch. Dann nimmt er ungeprüft und unbekümmert auf, was ihm alles an Lektüre in Wartezimmern, in Magazinen, in Hörfunk- oder Fernsehprogrammen und an Kiosken angeboten wird, ohne sich zu fragen, ob es für den Geist nützlich und für seine Seele bekömmlich ist. 

Die Menschen müssen in unserer, mit Medien reichlich ausgestatteten Gesellschaft täglich eine unübersehbare Menge an Wörtern oder Werbesprüchen schlucken und tausende von Bildeindrücken aufnehmen. Da sie all das hastig verschlingen, ist es unvermeidlich, dass ihr Gehirn unter Blähungen und Verdauungsschwierigkeiten leidet.

Man muss auch bei Wörtern auf Hygiene achten. Ein anderer hatte sie im Mund. Man sollte sie deshalb sorgfältig waschen und von Speichelresten gründlich reinigen, bevor man sie in seinen Mund nimmt und hinunterschluckt. Sie können schimmelig, schadstoffhaltig und Bazillenträger sein, man kann sich infizieren. Kranke Wörter machen krank. Wir brauchen eine Lese-, Seh- und Hörkultur, die lehrt, wie man hinhören und hinschauen soll, die uns aufmerksam macht, was zwischen den Zeilen steht und das Gespür vermittelt für das, was nützlich oder schädlich ist.


P. Walter Rupp, SJ