Leistung

Nun, die wirklich großen Leistungen sind nicht immer nur die Frucht eines langen und harten Trainings?

Von Natur aus sind wir Menschen gewiss nicht auf den Minimalismus hin angelegt und geben uns nicht gern mit dem einmal Erreichten, mit dem unbedingt Notwendigen zufrieden. Wir sind nicht bescheiden und sehen nicht ein, weshalb wir uns mit dem abfinden sollten, was zum Leben ausreicht. Unsere Sucht, Rekorde aufzustellen und zu überbieten, zeigt wie wenig wir zur Mittelmäßigkeit geboren sind. Wir wollen unsere Kräfte strapazieren. Wir streben nach dem Mehr und nach dem Besseren. Wir wollen hoch hinaus und greifen – obwohl sie unerreichbar sind, obwohl wir wissen, dass unsere Arme dafür zu kurz sind – sogar nach den Sternen.

Nun, die wirklich großen Leistungen sind nicht immer nur die Frucht eines langen und harten Trainings? Man kann sich den Erfolg nicht allein mit Zähigkeit abtrotzen. Der Kulturkritiker Egon Friedell behauptet, es gebe zwei Zustände, Traum und Kindheit, in denen jeder ein vollendeter Dichter sei. Aber die meisten Menschen verlören im wachen und erwachsenen Stadium leider diese ihnen angeborene Gestaltungskraft und würden, weil sich überall ihr Verstand einmischt, schließlich tatenlos. „Nur die Künstler, das ewig träumende Kind“, bewahre sich diese Gabe. Was nützen Tatkraft, Intelligenz und jede Art von Fertigkeit, wenn am Ende die Phantasie verkümmert ist. Und was nützt die Phantasie, wenn ein Mensch in einer Umwelt wirken soll, in der er sich nicht entfalten kann.

Werden die meisten am Ende doch nur Durchschnittsmenschen, dann nicht, weil sie von Natur aus keine Talente mitbekommen haben, sondern weil sie, so Robert Jungk, „vorwiegend in einer Gesellschaft der falschen Leistungen leben müssen, und Routinearbeit verrichten, die ihre besten Kräfte oder ihre verborgenen Fähigkeiten gar nicht fordert.“ Sie entfalten sich nicht, weil sie die ihnen gemäßen Tätigkeiten nicht verrichten dürfen. Jede Begabung braucht nun einmal – wie jede Pflanze – ihren Boden.


P. Walter Rupp, SJ