Nietzsche

Wie kommt ein Mann, der selbst hilfsbedürftig, sensibel und zeitlebens von schwacher Gesundheit war, dazu, das gefährliche Leben, das er nie lebte, zu preisen?

Man muss Nietzsche als den Prediger der Rücksichtslosigkeit bezeichnen. Wer dazu auffordert, „niederzustoßen, was fällt“, dem fehlt das Mitgefühl, der zeigt sich dem Hilfsbedürftigen gegenüber nicht nur teilnahmslos, er zeigt auch eine Lust an der Zerstörung. 

Wie kommt ein Mann, der selbst hilfsbedürftig, sensibel und zeitlebens von schwacher Gesundheit war, dazu, das gefährliche Leben, das er nie lebte, zu preisen? Wie kam er dazu, von der Geburt des Übermenschen zu schwärmen? Wie kann sich einer, der auf die christliche Nächstenliebe angewiesen war und sie auch in Anspruch nahm, so hartherzig verhalten, und sich dafür aussprechen, dass alles Kranke und Schwache zugrunde gehen soll? Was trieb ihn an zu seinen Attacken gegen die christliche Moral, die Barmherzigkeit verlangt? 

Er sah in der Nächstenliebe das große Hindernis, dass das Kranke und das Schwache zugrunde gehen kann. Mitleid – das war sein Einwand - vermehre das Leiden. Es ermögliche den Armen, Elenden, Ohnmächtigen, Niedrigen und Leidenden, dass sie weiter existieren und stehe so dem schöpferischen Willen, der immer auch vernichten und überwinden müsse, entgegen. Die Nietzsche-Welt wäre eine grausame Welt. Die Welt wird nicht gesund, wenn man Kranke als lebensunwert erklärt. Sie wird nur human, wenn man auch ihnen einen Platz einräumt.


P. Walter Rupp, SJ