Hören

Unsere Zeit, die sich daran gewöhnt hat, nur noch das, was laut ist, wahrzunehmen, hätte deshalb Hör- statt Rednerschulen nötig

In unserer von den Medien beherrschten Zeit, wird der einzelne von Informationen überschüttet. Die Medien zwingen ihn, sich nicht nur mit den eigenen, sondern auch mit den Problemen anderer, ja mit denen der ganzen Menschheit zu befassen. Jeder nimmt heute täglich eine Fülle von Werbebotschaften, Wörtern oder Bildeindrücken auf, die vorher gesichtet und von Kommunikationsexperten aufbereitet wurden. Der Zeitgenosse schluckt heute - von den Bildeindrücken abgesehen - täglich etwa 10.000 Wörter.

Das menschliche Gehirn ist jedoch – so wenig wie der Magen - so unempfindlich und so dehnbar, dass es jede Menge Eindrücke aufnehmen kann und es nicht zum Brechreiz kommt. Auch Wörter müssen – wie die Nahrung - sorgfältig ausgewählt und zubereitet werden. Man darf auch sie nicht wahllos, hastig und im Übermaß verschlingen, wenn sie dem Gehirn keine Verdauungsschwierigkeiten bereiten sollen.

Unsere Zeit, die sich daran gewöhnt hat, nur noch das, was laut ist, wahrzunehmen, hätte deshalb Hör- statt Rednerschulen nötig, damit er das, was in einer Stimme mitschwingt erkennt: die falschen oder hohl klingenden, inhaltslosen Sätze; eine leise Drohung, eine kleine, gut eingepackte Lüge, Wissenslücken oder die Nebelschwaden. Die Weisen und die Dummen unterscheiden sich nicht immer durch das, was sie sagen. Oft sagen sie dasselbe, ohne dasselbe zu meinen. Wenn der Weise sagt, man lebt nur einmal, meint er, dass man sein Leben als einmalige Chance nützen sollte. Wenn der Dumme sagt, man lebt nur einmal, rechtfertigt er seinen Leichtsinn: dass er sich ausleben will. Nur wer zu hören versteht, wird die drohenden, ironischen, einschmeichelnden oder arroganten Nebentöne in einer Äußerung erkennen, und welche Gesinnung sich in einem Wort versteckt. Da wir Menschen wohl die Augen, aber nicht die Ohren schließen können, sollten wir die Worte, die hereindrängen, sorgfältig prüfen, ob sie wirklich nützlich sind.


P. Walter Rupp, SJ