Sankt Nikolaus

Zu einer Zeit, als es für Bischöfe noch keine Residenzpflicht gab, als sie noch keine Kathedralen, weder einen Ring, noch einen Stab, noch eine Mitra hatten,...

Zu einer Zeit, als es für Bischöfe noch keine Residenzpflicht gab, als sie noch keine Kathedralen, weder einen Ring, noch einen Stab, noch eine Mitra hatten, sich noch nicht mit ‘Exzellenz‘ oder ‘Hochwürdigster Herr‘ ansprechen ließen, und Rom noch nichts gegen eine Bischofswahl, wo das Volk laut rief: „den wollen wir zum Bischof!“ einzuwenden hatte, da kam es vor, dass ein Heiliger Bischof oder ein Bischof ein Heiliger wurde. So war es jedenfalls bei Bischof Nikolaus. Seitdem man ihm das Amt des Bischofs übergeben hatte, ging er zu denen, die Hilfe brauchten, und er brachte immer etwas mit. Bald war er nur noch unterwegs. Am wohlsten fühlte er sich auf seinen Reisen bei den Kindern, weil die sich noch über Kleinigkeiten freuen konnten: über einen Apfel, eine Puppe, eine Nuss, ein Bild oder über ein nettes Wort, das er ihnen sagte. Es gefiel ihm, dass ihm die Kinder – im Unterschied zu den Erwachsenen - Fragen stellten: Ob Bischöfe Gott näher stehen als andere Menschen? Warum er so gerne Geschenke austeilt? Was man schenken kann, wenn man selbst arm ist? Warum er das Erzählen von Geschichten dem Katechismusunterricht vorzieht und warum sich Gott nie sehen lässt? Da Bischof Nikolaus immer weitere Reisen unternahm und immer mehr Gepäck mitnehmen musste, suchte er einen kräftigen jungen Mann, der Lasten tragen konnte. Als sich ein Knecht Ruprecht bei ihm bewarb, nahm er ihn; er wusste noch nicht, dass dieser Ruprecht wegen seiner Grobheit und seiner schlechten Laune laufend seine Stelle hatte wechseln müssen. Wie sehr ihm Nikolaus auch gut zuredete, Ruprecht änderte sich nicht, sondern begann im Gegenteil an seinem Herrn Kritik zu üben: er gehe mit den seiner Meinung nach verzogenen und verwöhnten Kindern viel zu mild um. Er lobe, wo es nichts zu loben gebe, und teile sogar noch Geschenke aus. Es sei pädagogisch falsch, Kinder für das zu loben, was selbstverständlich sei: wenn sie ihre Sachen aufräumten, ihre Hausaufgaben machten, ihren Müttern halfen oder pünktlich zu Bett gingen; ja, er erlaubte sich, seinem Herrn Hätschelpädagogik vorzuwerfen und sagte: Das Lob verführe zur Selbstzufriedenheit. Er selbst habe eine harte Jugend hinter sich, aber die strenge Erziehung habe ihm nicht geschadet. Man sollte den Kindern klarmachen, dass sie nicht hier, sondern erst im Jenseits ihren Lohn erwarten dürfen. Kinder müssten mit Strenge dazu gebracht werden, ihren Charakter zu verbessern. Nur mit Züchtigungen sei etwas zu erreichen. Da dachte Bischof Nikolaus zum ersten Mal daran, Knecht Ruprecht zu entlassen. Da er jedoch niemand fand, der die schweren Säcke mit Geschenken tragen wollte, sagte er sich: Ein mürrischer Knecht, der Lasten trägt, ist besser als ein Diener, der zwar freundlich, aber faul ist. Und er entließ ihn nicht und nahm sich vor, durch seine Güte auszugleichen.


P. Walter Rupp, SJ