Der Engel Gabriel

Adventskalender

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Gabriel, der beauftragt worden war, die Botschaft von der Menschwerdung Gottes auf die Erde zu bringen, war darüber hoch erfreut. Er hatte zwar schon viel über die Erde und die Menschen von den Schutzengeln gehört, selbst aber war er noch nie dort. So war es nicht verwunderlich, dass er, als er drunten ankam, beträchtliche Orientierungsschwierigkeiten hatte. Schon dachte er daran, zurückzukehren, um die Länderkarte Palästinas zu holen, die er in der Eile vergessen hatte, da sprach er einen römischen Soldaten an, den er in Rom auf sich zukommen sah, wo denn Palästina liegt. Der Soldat erzählte ihm, er sei dort Kommandant einer Besatzungseinheit gewesen. Es sei ein schönes Land, aber die dortigen Bewohner neigten zum religiösen Fanatismus. Sie wären von der merkwürdigen Idee, dass eines Tages der Messias komme, nicht abzubringen. Er kenne den Jordan, weil er dort einen Mann namens Johannes sehen wollte, von dem das ganze Land sprach. Dieser Johannes sei wirklich ein Mann, der Hochachtung verdiene. 

Gabriel, der keine Zeit verlieren wollte, sprang schnell auf eine Wolke, die in Richtung Jerusalem unterwegs war, zog ein Wolkenkissen unter sein Haupt und dachte darüber nach, wie man auf geschickte Weise ein Gespräch mit Menschen, die das Bedürfnis haben, ausgiebig von sich zu reden, beenden kann. Ob er sagen soll, „Sparen Sie sich die vielen unnötigen Sätze“ oder einen Blitz zünden und verschwinden soll? Er hatte versäumt, sich bei den Schutzengeln zu erkundigen, wie sie unliebsame Gespräche, die nur Zeitverschwendung sind, abbrechen. Über Jerusalem sprang Gabriel ab und musste noch ein beträchtliches Stück zurücklaufen, weil er nicht rechtzeitig vor dem Ziel abgesprungen war. Da er auch die Anschrift Josefs und Marias auf seinem Schreibtisch hatte liegen lassen, suchte er die Schriftgelehrten in der Hoffnung auf, sie könnten ihm über die Nachkommen Davids Auskunft geben. Die Schriftgelehrten aber wunderten sich und erklärten ihm, David habe vor fast tausend Jahren regiert und so zahlreiche Frauen gehabt, dass es ausgeschlossen sei, deren Nachkommen zu erfassen. In ihren Büchern sei nur ein Mann namens Josef, ein Zimmermann in Nazareth erwähnt.


In Nazareth gab es zwar viele, die Josef hießen, aber nur einen, der Zimmermann war und am Ende der Hauptstraße eine Werkstatt hatte. Als Gabriel schüchtern eintrat und sagte: „Ich wollte eigentlich …“, gab Josef zur Antwort: „Wenn Sie Maria, meine Verlobte suchen, sie wohnt nebenan“. Gabriel überlegte lange, wie er sich vorstellen soll? Schließlich zog er sein Engelgewand an, klopfte und verkündete seine Botschaft so schnell, dass Maria nur fragen konnte: „Wie soll das geschehen?“ Da er nicht recht wusste, wie er das beschreiben soll, sagte er nur: „Vertraue auf den Heiligen Geist“, dann verschwand er eilig. Nach seiner Rückkehr in den Himmel erschrak er jedoch sehr. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er die Frage Marias, die man auch späteren Generationen stellen wird, nicht beantwortet hatte, und dieses Versäumnis nie mehr korrigiert werden kann.

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Was dachten seine Jünger, als sie hörten, dass Nikodemus ihn des Nachts besuchte:

- Viele machen es wie Nikodemus. Nachts suchen sie Jesus auf, tagsüber bleiben sie Pharisäer


P. Walter Rupp, SJ