Der Kapitalismus unserer Tage - eine fundamentalistische Religion

22. Okt 2008

Der Kapitalismus unserer Tage gestaltet die Wirtschaft in einer Weise, die alle anderen Fragen nach Werten, Lebensgestaltung und Sinn ausblendet. Diesem Diktat müssen wir uns mit unseren Optionen für ein sinnvolles Leben widersetzen und auf den Gott des Lebens eingehen, forderte P. Pepp Steinmetz SVD.

Unter der Frage, ob "Geld alles ist", näherte sich P. Mag. Pepp Steinmetz SVD im ersten Vortrag der St. Gabrieler Vortragsreihe "Religion und Gesellschaft" zum Thema "Gerecht wirtschaften" am Dienstag, dem 21. Oktober, dem Thema der "Wirtschaft als der einzigen Religion, an die jeder glauben muss". Am Vortrag und einer sehr lebhaften Diskussion im Anschluss daran nahmen etwa 50 Personen teil.

 

Pater Steinmetz konstatierte am Anfang seines Vortrags, dass die kapitalistische Wirtschaft in den letzten Jahren ein Diskursmonopol entwickeln konnte, wie es in den 80iger Jahren nicht existiert hatte. Damals gab es eine ideologische Auseinandersetzung zu vielen Fragen der Gesellschaft, die auch von den Medien widergespiegelt wurde. Heute dominieren wirtschaftliche Fragen bis hin zu Börsenberichten in den Nachrichtensendungen. Auf dieser Basis werden Werbesprüche wie "Geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut" möglich und können sich zu wahren Dogmen erheben.

 

Dieses Wirtschaftssystem stellt sich global dar, weil es weltweit gleichzeitig wirkt (wie man an der aktuellen Krise sieht). Auch die virtuellen Komponenten des Systems stellen sich als real dar. Der Kapitalismus zeigt sich auch als sehr wandlungsfähig: Um in der Sowjetunion Einzug halten zu können, musste der Kommunismus dort untergehen, aber in China kann der Kapitalismus mit dem Kommunismus zusammenleben.

 

In Österreich zeigt sich, dass zwar alle Fragen in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung analysiert werden, bei den Wirtschaftsflüchtlingen aber die schlechte Wirtschaft ihrer Herkunftsländer nicht als Asylgrund gilt. Andererseits entstehen aber bei Fachkräften aus anderen Ländern keine Asylprobleme. Daran zeigt sich, dass das System in keiner Weise kohärent ist.

 

Das kapitalistische System kann sich als wirklich und wirksam darstellen, weil es wichtige Begriffe unscharf gebraucht: "Entwicklung" wird gerade nicht ermöglicht, weil es keine Entfaltung, sondern Überstürzungen in den Umwandlungen gibt. Es gibt auch kein "Wachstum", weil es nur um die Maximierung von Teilbereichen geht.

 

Der Kapitalismus erfasst alle Bereiche des Lebens. Kinder zu bekommen wird eine Frage kapitalistischen Kalküls. Auch Religion und Spiritualität werden für die Leistungsfähigkeit innerhalb des Systems verzweckt. Das ganze Leben wird vermarktet. Auch die Kirchen beugen sich dem Diktat der Verwaltung (siehe die Planungen für die Pastoral).

 

Damit offenbart sich der religiöse Charakter des Kapitalismus. Nirgends mehr gibt es solche ekstatische Inbrunst und Lust wie in den Konsumtempeln. Die Feiern dort haben liturgischen Charakter. In den Banken und Versicherungen herrscht ein religiöses Schweigen, nirgends sonst gibt es so viel Gold und Marmor, wie es sich früher in den Kirchen fand. Allerdings stellt sich bei vielen auch die Erfahrung ein, dass fehlende Solidarität, Krankheiten, fehlende Lebensqualität und Defizite im Lebenssinn direkt mit dem Grad des Wohlstandes in Verbindung gebracht werden. Die Sehnsucht nach Werten und Sinn drückt sich vielfach aus, führt aber noch nicht dazu, auch die Konsequenzen für das eigene Leben zu suchen.

 

Diese Konsequenzen sah Pater Steinmetz in der Versuchungsgeschichte Jesu vorgegeben. Dort gibt Jesus nicht vor, ohne Brot zu leben, allerdings wollte er "nicht nur vom Brot" leben. Dazu muss auch der heutige Mensch in der Wüste gehen, die Stille suchen und sich auf die leisen Stimmen in der Welt konzentrieren. Daraus sollte sich eine Unterscheidung der Mittel für das Leben ("Lebensmittel") von den Lebenszielen ergeben. Der einzelne Mensch hat darin eine große Verantwortung, hängt aber auch deutlich vom ganzen System ab, das ihm seine Rollen zuweist. Der Ausweg aus der Hörigkeit dem kapitalistischen System gegenüber geht über die Entscheidung jedes einzelnen, die Mittel seines Lebens nicht mit den Zielen zu verwechseln, schloss Pater Steinmetz seinen Vortrag.

P. Christian Tauchner SVD. Elke Grafl