Salz der Erde – Christen in Minderheit

23. Jul 2012

Offenheit für andere Menschen und Kirchen als Herausforderung an die Christen in Österreich stand im Mittelpunkt der Fachtagung Weltkirche 2012.

Etwa 110 TeilnehmerInnen beschäftigten sich am 20. und 21. Juli im Stift Lambach bei der Fachtagung Weltkirche mit dem „Christsein in Minderheit“. Impulse dazu kamen vom Erzbischof William d’Souza SJ aus Indien, der die Minderheitssituation seiner Kirche als Möglichkeit und Chance beschrieb, Anstöße zur Veränderung und Erneuerung der gesamten Gesellschaft Indiens zu leisten. Damit können die Christen zum „Salz der Erde“ in Indien werden.

Das zweite Referat bezog sich auf die Situation in Europa. Die Professorin für Pastoraltheologie und Religionspädagogik an der Universität Erfurt, Maria Widl, beschäftigte sich mit dem Unterschied zwischen einer dörflichen und einer städtischen Logik der Gesellschaft; für zukunftsträchtige Erneuerungen müsste sich die Kirche an die städtische Logik mit bewussten persönlichen Entscheidungen und Gruppenbildungen anpassen, postulierte Widl.

Die Sozialwissenschaftlerin Nagwa Farag aus Ägypten erzählte, wie sie als Christin den arabischen Frühling und die Folgen erlebt. Die aktuelle Politik der Muslimbruderschaft in der Regierung stellt die Ziele der Revolution in Frage, die sich die Demokratisierung der Gesellschaft, die Verteidigung der Menschenwürde und Durchsetzung der Menschenrechte sowie die umfassende Bildung und damit Besserstellung aller Bürger zum Ziel gesetzt hatte.

In einem Abschlussstatement betonte der Missionswissenschaftler Franz Helm SVD, dass die Begegnung mit anderen Erfahrungen von Menschsein und christlichem Leben die eigene kirchliche Praxis hinterfragen lassen. Als Minderheit und in extremer Armut zu leben hilft den Christen in Indien und Ägypten, sich auf das Wesentliche ihres Christseins zu konzentrieren: Solidarität und Veränderung der Gesellschaft nach den Werten des Reiches Gottes. Diese Perspektive des Reiches Gottes ermöglicht es auch den Christen in Österreich, die Herausforderungen der Gesellschaft zu erkennen und anzunehmen.

Die Fachtagung schloss mit einer Eucharistiefeier, der Erzbischof d’Souza vorstand und in der noch einmal die zentralen Inhalte der Tagung zusammengefasst wurden: Erfahrung des liebenden Gottes, der die Christen einlädt und als seine Gesandten beauftragt, unsere Gesellschaft in Menschenwürde und Gleichheit zu organisieren und unseren Dienst an der Veränderung zu „Salz und Licht der Welt, zu Sauerteig und Wohlgeruch Gottes“ werden lässt.

An der Fachtagung nahm eine ansehnliche Gruppe von Steylern teil: Die Steyler Schwestern aus Österreich und Timor, Steyler Missionare aus St. Gabriel und Argentinien sowie die Mitarbeiterinnen des Zeitschriftenverlags machten sich bei der Tagung positiv bemerkbar.


Salz der Erde

In seinen Begrüßungsworten zur Eröffnung der Tagung erinnerte Bischof Ludwig Schwarz daran, dass nach Auffassung des II. Vatikanischen Konzils die Kirche „ihrem Wesen nach missionarisch“ ist. Die Christen müssten jetzt herausfinden, wie sie angesichts der Herausforderungen unserer Zeit die Verkündigung gestalten sollen, damit sie dem „unruhigen Herzen des Menschen“ (Augustinus) eine befreiende und frohe Botschaft weitergeben können.

Erzbischof William d’Souza SJ berichtete von der Diözese Patna im indischen Bundesstaat Bihar. Die Christen stellen dort eine verschwindende Minderheit dar: Sie machen 0,26% der Bevölkerung von 25 Millionen Menschen aus. 90% der Christen gehören zur untersten Schicht des Kastensystems, den dalits.
Erzbischof d’Souza wies auf das religiöse Interesse der Menschen hin: Es ermöglicht gläubigen Hindus, an Gebetsgruppen der Christen teilzunehmen und Nachfolger Jesu zu werden, ohne ihre Religionszugehörigkeit zu verändern. Die Kirche von Patna gestaltete ihre Programme und ihr soziales Engagement aus einer fundamentalen Option für die Armen. Der Einsatz im Gesundheitswesen, in der Bildung und in sozialen Programmen ermöglicht es vor allem den dalits, ihre gesellschaftliche Position zu verändern. Durch solche Programme arbeitet die Kirche für eine Veränderung der Gesellschaft auf gerechtere Strukturen hin.
Um dieses „Salz der Erde“ sein zu können, hält es Erzbischof d’Souza für unabdingbar, dass die Christen von ihrer tiefen Erfahrung von Menschlichkeit und der Erfahrung Gottes ausgehen. Das ist auch der Anknüpfungspunkt für die Begegnung mit den Angehörigen anderer Religionen. Sie sind interessiert an diesen Erfahrungen Gottes. Daher sind für Erzbischof d’Souza die äußerlichen Zeichen etwa von klerikaler Kleidung sinnlos, weil sie diese Begegnung erschweren. d’Souza meint vielmehr, dass Anstrengungen in Richtung der Inkulturation notwendig sind, damit die Begegnung mit den anderen Religionen und Gruppierungen die Umgestaltung der indischen Gesellschaft ermöglicht. Die Kirche muss dazu viele ihrer Mauern niederreißen, um nicht als Minderheit in ihre eigenen Anliegen und Glaubensformen eingeschränkt zu sein, sondern zur Erneuerung der indischen Gesellschaft beitragen zu können.


Paradigmenwechsel angesagt

Die Wiener Theologin Maria Widl, die an der Universität in Erfurt Pastoraltheologie und Religionspädagogik unterrichtet, stellte die Minderheitssituation, in der sich die katholische Kirche in Österreich und mit noch viel mehr Recht im ehemaligen Ostdeutschland sieht, in den Kontext der verschiedenen Logiken zwischen dörflichem und städtischem Gesellschaftssystem.

In der Dorflogik findet sich der Mensch in ein bestehendes System hineingestellt, in dem er die Werte und Zugehörigkeiten fraglos übernimmt. Damit wird auch der Glaube als fragloses Erbe verstanden, die Kirche übt ein Monopol über Religion überhaupt aus und der Glaube wird als Konvention und gutes Benehmen gelebt.

In der Logik der städtischen Gesellschaft brechen diese Strukturen auf, die Beziehungen werden freiwillig und bewusst gestaltet, sind zielgerichtet und in ihrer Dauer oft eingeschränkt. Damit wird das Christsein zu einem Weg und zu einer Aufgabe für die Lebensentwicklung. Die Kirche sieht sich in dieser Gesellschaftsform in Konkurrenz mit anderen Gruppen, die Hoffnung anbieten. Glaube ist nicht mehr Konvention, sondern ein prophetisches Zeichen und Zeugnis.

Um über dieses prophetische Lebenszeugnis und das Engagement in Caritas und gesellschaftlichem Engagement Auskunft geben zu können, forderte Widl einen Umstieg vom derzeit philosophischen Diskurs auf andere Diskursformen, die sich durch Annahme und Differenz, Bestätigung und Umkehr auszeichnen.

Wenn die Christen und die Kirche für das Leben der Menschen etwas beitragen wollen, geht es nicht darum, sich auf die eigenen Traditionen in der dörflichen Logik zu zurückzubesinnen und einzuschränken, denn diese Gesellschaftsform ist grundsätzlich unfähig, in der Gegenwart und Zukunft neue Mitglieder in die Gemeinden aufzunehmen und neue Gemeinschaften entstehen zu lassen. Vielmehr müssen sich die Christen dafür entscheiden, prophetisches Lebenszeugnis und eine Verantwortungsbereitschaft in der städtischen Logik übernehmen zu wollen.

Kampf um zivile Rechte

Die Sozial- und Kommunikationswissenschaftlerin Nagwa Farag aus Ägypten berichtete anhand von Beispielen aus ihrem Arbeitsfeld, wie mangelhafte Alphabetisierung die Menschen unterdrückt. Die Folgen der fehlenden Bildung sind besonders dramatisch für Frauen, die keine Aufstiegsmöglichkeiten und Selbständigkeit erlangen. Viele Frauen sind nach wie vor Praktiken wie der Genitalverstümmelung (FGM) ausgeliefert, sowohl bei Muslimen als auch bei Christen. Die Revolution der letzten zwei Jahre zielte auf eine Veränderung des Staates in Richtung Demokratie und Menschenrechte, die allen Bürgern ohne Unterschied zivile Rechte einräumen und damit besonders auch die Frauen aus ihrer Abhängigkeit und Unterdrückung befreien sollte. Aber durch die aktuelle Entwicklung und die Politik der Muslimbruderschaft rücken diese Anliegen in weite Ferne.

Nagwa Farag fühlt sich als christliche Frau nicht in der Minderheit, sondern sie lebt als Bürgerin ihres Landes, die mit ihren Mitbürgern die Sprache, Kultur und Identität teilt. Mit den politischen Änderungen nach der Revolution ändert sich das jetzt. Nagwa Farag betonte, dass sie keine Islamophobie entwickelt hat, weil sie bisher mit einen gemäßigten Islam zusammenleben konnte, der auch an der Entwicklung der Menschenwürde interessiert war. Diese Ziele der islamischen Revolution müssen jetzt wieder gerettet werden.

Daher ist auch die internationale Solidarität mit Ägypten wichtig, dass von staatlicher wie kirchlicher Seite die Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten im neuen Land eingefordert werden. Nagwa Farag gab sich optimistisch, weil das Land jung und voll Hoffnung ist und weil Ägypten mit internationaler Solidarität rechnen kann.


Erfahrung mit anderen

In einer abschließenden Runde von zusammenfassenden Statements fragte sich der Steyler Missionswissenschaftler Pater Franz Helm SVD, ob die Begegnung mit einer Kirche Indiens und mit Christen aus Ägypten einen Lerneffekt haben kann (Prof. Widl hatte das in ihrem Vortrag abgelehnt). Für Helm ging es bei der Tagung darum, die eigene Offenheit für andere Erfahrungen sicherzustellen und sich davon hinterfragen zu lassen. Dann kann die Kirche auch weiterhin eine weltweite Gebets-, eine Solidaritäts- und eine Lerngemeinschaft sein.

Helm hielt die Perspektive des Reiches Gottes für bedeutsam: Es geht um die Sendung Jesu Christi, die uns anvertraut ist und die allen Menschen und der ganzen Schöpfung gilt. Innerhalb dieser umfassenden Vision geht es um Gerechtigkeit, Frieden und Menschenrechte, die die Werte des Reiches Gottes darstellen.

Beeindruckend war für Helm auch der Blick auf das Wesentliche, der durch die berückende Armut und Bedrohung bei den Christen in Indien und Ägypten geschärft wird: Es geht nicht um kleinliche Kleidungsvorschriften, Regeln und Verhaltensanweisungen, sondern um den Einsatz für das Leben. Der Blick auf das Wesentliche gibt dem Bischof und den Christen von Patna Selbstvertrauen, in dem sie zum Salz der Erde werden in ihrem Einsatz für Menschenrechte und gesellschaftliche Veränderung.

Die Ausrichtung auf das Reich Gottes ermöglicht es auch, die Probleme und Schwierigkeiten als Herausforderungen zu erkennen und sich ihnen zu stellen. Das sei vor allem auch als Haltung der Kirche in Österreich gefragt, die sich auch hier verstärkt um weltweite Solidarität und Verantwortung für die Armen einsetzen muss (angesichts der ständigen Kürzungen der Mittel dafür durch die Regierung). Es gehe darum, das Christsein nicht vom Mangel her zu definieren (es fehlt an Priestern, Mitteln, Gläubigen), sondern all das nutzen und teilen, was wir zum Leben haben.

Schließlich sprach sich Helm für die Beachtung der Religionszugehörigkeit aus. Die Christen leben zusammen mit den Muslimen in einer Gesellschaft, in der die Religion aus dem öffentlichen Raum zurückgedrängt wird. Gemeinsam mit den Muslimen sollen sich die Christen für die Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit einsetzen, die uns vom II. Vatikanischen Konzil ins Stammbuch geschrieben wurde.

Tauchner svd
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