Zweifelhaft modern

21. Nov 2012

Das II. Vatikanische Konzil führte die Kirche in die moderne Welt. Was es mit dieser Modernität auf sich hat, behandelte Univ. Prof. Dr. Hans Schelkshorn in einem Vortrag über das Konzil.

Im zweiten Vortrag der St. Gabrieler Vortragsreihe zum II. Vatikanischen Konzil beschäftigte sich Univ. Prof. Dr. Hans Schelkshorn, der an der Katholischen Theologischen Fakultät der Universität Wien Philosophie lehrt, mit dem Begriff der Modernität: Was hat das Konzil beabsichtigt, als es mit dem „aggiornamento“ in die moderne Zeit aufbrach. Es ging Prof. Schelkshorn darum, was „modern“ und „heute“ heißt, und das ist eine Frage, die jeden Tag neu gestellt werden muss.

Der Streit um die Interpretation der Moderne, die das Konzil vornahm, begann bald nach dem Konzil. Prof. Schelkshorn bezog sich dazu auf einen Artikel von Joseph Ratzinger aus dem Jahr 1975, in dem er seine Zweifel an der Zuwendung zur modernen Welt zum Ausdruck brachte: Darin beklagt er die liberale Theologie als Grund für den Glaubensverlust in der Kirche und die Theologien der Befreiung als politische Anwendung des Fortschrittgedankens – beides Irrwege in der Rezeption des II. Vatikanischen Konzils.

Für den Philosophen geht es in der Diskussion um Modernität darum zu verstehen, wie dieser Begriff in der Diskussion und in der Denktradition verwendet wird. Prof. Schelkshorn hält das Konzilsdokument Gaudium et Spes über die Kirche in der Welt von heute für das interessanteste Dokument, weil es vom Konzil selbst ohne Vorarbeiten durch die Kurie in Rom erarbeitet wurde.
Prof. Schelkshorn zeigte die unterschiedlichen Zugänge zum Thema der Moderne an einem vereinfachten Schema von theologischen Systemen auf. Als erstes System beschrieb er das Denken um den heiligen Augustinus, als zweites nahm er das II. Vatikanische Konzil, als drittes die Befreiungstheologie. In jedem dieser Systeme wird dem Reich Gottes, der Welt und der Kirche eine verschiedene Rolle zugewiesen. Im Vergleich dieser verschiedenen Denksysteme wurde verständlich, welche Fragen aus philosophischer Sicht an den Glauben in der Kirche gestellt werden bzw. sich die Gläubigen in der Kirchen stellen sollen: Im Konzilsdokument wird keineswegs ein unkritischer Fortschrittsglaube angenommen und die Kirche der modernen Zeit angepasst (wie das Ratzinger und andere seit Jahrzehnten behaupten). Im Prozess der Annahme der aktuellen Zeit, im Lesen der Zeichen der Zeit, geht es um die Reflexion und das Nachdenken über die eigenen Positionen und Werte vom Evangelium her, ein Prozess ohne Ende. So können Vorschläge und Anregungen in die Gesellschaft eingebracht werden, die mit anderen im Dialog diskutiert werden müssen. Diese Herangehensweise kann die eigene religiöse Erfahrung freilegen; um diese Erfahrung geht es als Ausgangspunkt für den Beitrag der Gläubigen an der Weltgestaltung.

Die etwa dreißig TeilnehmerInnen folgten fasziniert dem spannenden Vortrag dieser Reihe und nahmen die Aufforderung und Einladung mit, den eigenen Glauben mit Vertrauen und Zuversicht zu überprüfen, auf die eigene religiöse Erfahrung zu schauen und damit in der eigenen Gemeinschaft und mit der Gesellschaft um uns herum in einen spannenden Dialog zu treten.

Christian Tauchner SVD