Brunnen der Hoffnung

05. Dez 2005

Mit Wasserprojekten im Norden Ghanas verbessern Steyler Missionare die Lebensgrundlagen der Menschen

Staub und Dreck fliegen durch die Luft. Fast wäre der Steyler Missionar, Bruder Paul Plawky SVD mit seinem LKW im Graben gelandet. "Ich kenne die Strecke auswendig, aber immer liegt etwas anderes im Weg", schimpft er. Plawky reißt das Lenkrad um, geschickt steuert er um das Hindernis. Diesmal war es ein verendetes Gnu, dessen Kadaver auf der Straße lag. Die Sonne brennt. Blauer Himmel, ein paar Hütten am Straßenrand. In der Ferne stiebt eine Herde Zebras auseinander, aufgeschreckt durch das Motorengeräusch.

Plawky ist auf dem Weg zu einer Wasserentnahmestelle, rund zehn Kilometer von der Missionsstation entfernt. Wir sind in Gnani, im Norden Ghanas. Unweit der 2500-Einwohnerstadt haben die Steyler Missionare ein Jugendzentrum gebaut. Seit einem Jahr verfügt es über einen Brunnen mit Wasserpumpe. Doch an diesem Wochenende ist die Pumpe ausgefallen. Das Wasser muss nun in großen Tanks vom Fluss Oti geholt werden. Eine Aufgabe, die Bruder Plawky mit zwei Helfern übernommen hat. "Wasser ist hier wertvoller als Gold", sagt Plawky und zeigt auf die verdorrten Felder. Die kleinen Parzellen der Bauern reichen gerade zum Überleben. Manchmal sind es zwanzig und mehr Personen, die von den kargen Erträgen der Böden leben müssen. Subsistenzwirtschaft im Reinformat.

Geringe Bildung

Es ist heiß. Die Lüftung des alterschwachen Unimog, Baujahr 1973, funktioniert nicht und das Fenster lässt sich nur halb herunterkurbeln. Plawky und seine beiden Helfer schwitzen. Vor einigen Jahren haben die Steyler Missionare in Gnani dieses Jugendzentrum errichtet. Es bietet weiterführenden Schulunterricht in Mathematik und Englisch für die Kinder sowie Weiterbildungsprogramme für Erwachsene an. Die Kinder werden über die Gefahren von Aids und anderen Krankheiten unterrichtet und manchmal spielen sie zusammen Fußball auf dem nahe gelegenen Sportplatz. Kürzlich hat ein Wohltäter aus England ein paar neue Bälle geschickt. "Da war die Freude natürlich groß", erzählt Plawky. In Ghana, bis 1957 englische Kolonie, ist Fußball Nationalsport. Problematisch ist der Bildungsgrad der Bevölkerung in dieser Region. "Die meisten der Bewohner von Gnani können weder lesen noch schreiben", sagt Plawky. Die Analphabetenquote liegt landesweit bei etwa zehn Prozent. Auf dem Land ist sie besonders hoch. Das Jugendzentrum war somit ein erster Schritt, um diesen Missstand zu mildern. Auch ansonsten ist der allgemeine Ausbildungsstand der Bevölkerung niedrig. Es besteht zwar eine acht-jährige Schulpflicht, aber noch immer sind knapp zehn Prozent der Bevölkerung Analphabeten.  

Plawky und seine Helfer nähern sich dem Fluss. Es ist ein ruhiges Gewässer. Ein paar abgebrochene Stämme ragen aus der Uferböschung hervor, flussabwärts waschen Frauen in bunten Kleidern die Wäsche. Von dem LKW nehmen sie kaum Notiz. Ein paar Gnus liegen faul in der Sonne, ab und zu schlagen sie mit den Schwänzen, um die Fliegen zu verjagen. Mit lautem Gerumpel rollt der Unimog mit dem Wassertank auf dem Heck zum Ufer hinunter. "Der Tank fasst rund 1500 Liter", erklärt Plawky. Er zieht die Handbremse an und steigt aus der Führerkabine. Jonny und Percy, die beiden Helfer, haben dicke Schläuche aufgerollt und lassen sie vorsichtig ins Wasser gleiten. Bruder Plawky wirft den Dieselmotor an und schon strömt das Wasser in die leeren Tanks. "Das reicht für eine Woche", sagt er. Plawky, der seit 30 Jahren in Ghana arbeitet, will die Wasserversorgung der umliegenden Dörfer rund um Gnani durch weitere Brunnen verbessern. "Dazu müssen wir Pumpstationen, Rohrleitungen sowie Anlagen zur Aufbereitung und Reinigung anschaffen", sagt er.

 

Schwierige Kommunikation
"Frisches Grundwasser ist vor allem in der sechsmonatigen Trockenzeit eine Lebensquelle, die für die Menschen vieles verbessert", erklärt der Steyler Missionar. Wasser, vor allem sauberes Trinkwasser, ist in vielen Regionen Afrikas keine Selbstverständlichkeit. Die Menschen müssen oft viele Kilometer weit gehen, um einige Liter pro Tag zu holen. Da diese Wasserstellen häufig auch als Viehtränke dienen, sind sie zumeist verschmutzt und gesundheitsgefährdend. Das Wasser des Oti ist hingegen unbedenklich. Hinzu kommen Konflikte zwischen verschiedenen Stämmen, die den Aufbau einer zusammenhängenden Wasserversorgung erschweren. Häufig geht es um das Recht, an bestimmten Stellen Wasser zu entnehmen. Stämme, die dieses Recht für sich beanspruchen, sind nicht immer kooperativ, wenn es darum geht, eine für jeden Bürger des Landes zugängliche Trinkwasserversorgung zu errichten. Alte Rivalitäten halten sich zum Teil über Generationen.

Ghana, das flächenmäßig etwa so groß wie die neuen Bundesländer ist, zählt 46 unterschiedliche Sprachen, was die Kommunikation behindert. Die Amtsprache ist zwar Englisch, aber noch immer fühlen sich die Menschen primär ihrem Stamm und weniger dem Staat zugehörig. Rund 60 Prozent der Menschen sind Christen, 16 Prozent gehören verschiedenen muslimischen Gruppierungen an.

"Die Lebenserwartung lag 2002 bei Männern bei 55,3 Jahren, bei Frauen bei 57,9 Jahren", sagt Plawky. Das ghanaische Pro-Kopf-Einkommen beträgt etwa 300 Euro im Jahr. "Die hiesige Gesellschaft wird von der Großfamilie geprägt", beschreibt Plawky die sozialen Verhältnisse in Ghana, während er den Schlauch an dem Tank kontrolliert. "Sie hält für jeden Hilfe und Unterstützung bereit und fängt ihn bei Problemen auf, verlangt aber auch ihren Tribut", sagt er. Viele müssen bis zur Hälfte ihres Lohnes an die Familie abtreten. Diese Strukturen weichen allerdings in den Städten immer mehr auf und oft findet man schon Kinder, die von ihren Eltern nicht mehr versorgt werden. In der Hauptstadt Accra kümmern sich Steyler Missionare, um alte Menschen, die kein Geld für einen Platz im Seniorenheim haben und sich ihren Lebensunterhalt erbetteln müssen.   

Ghana befindet sich zurzeit in einer Umbruchphase. Im ganzen Land ist eine starke Wanderung Richtung Süden zu spüren. Jugendliche aus der Zentralregion ziehen in die Hauptstadt Accra sowie nach Tema, um dort Arbeit zu finden, während Jugendliche aus den nördlichen Gebieten Zuflucht in Städten wie Kumasi und Sunyani suchen. "Das Arbeitsangebot ist begrenzt", sagt Plawky. Daher landen viele dieser Jugendlichen auf der Straße. Bessere Chancen haben diejenigen, die über eine solide Schulausbildung verfügen. Ein großes Problem im ghanaischen Bildungssystem ist der mangelnde Praxisbezug. Der Unterricht ist sehr theorielastig. In ihren Schulen bieten die Steyler daher auch berufsvorbereitende Kurse an, die den Einstieg in bestimmte handwerkliche Tätigkeitsfelder erleichtern.

 

Wechselvolle Geschichte

Der moderne Staat Ghana hat seinen Namen vom alten Reich Ghana, das geographisch einige tausend Kilometer nordwestlich lag und in keiner historischen Kontinuität zum modernen Staat Ghana steht. Auf dem Gebiet des heutigen Staates Ghana bestanden in vorkolonialer Zeit mehrere große Reiche bzw. Föderationen, so etwa das Ashantireich in Zentral-Westghana, das erst Anfang des 20. Jahrhunderts endgültig von den britischen Kolonialherren erobert wurde, das Königreich der Dagomba in Nordghana und die Föderation der Fanti im Süden.  

An der Goldküste genannten Küste Ghanas reihten sich seit dem 17. Jahrhundert die befestigten Niederlassungen europäischer Mächte (Portugiesen, Engländer, Niederländer, Brandenburger, Schweden, Dänen) in einer Dichte aneinander, wie in keinem anderen Gebiet Afrikas. So etwa Groß-Friedrichsburg in Princess Town, das im 17. Jahrhundert eine brandenburgisch-preußische Kolonie war.

Um 1820 übernahm das Colonial Office die britischen Handelsposten an der Goldküste. Es gab Abkommen mit dem Volk der Fanti, die gegen die Ashanti aus dem Binnenland verteidigt wurden. Im Jahr 1874 erklärten die Briten den Küstenstreifen zur Kronkolonie.  

Die Steyler Missionare sind seit 1947 in Ghana. In der Provinz Ghana arbeiten einheimische Missionare zusammen mit Mitbrüdern aus Europa und Asien. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in den Bereichen Pastoral, Bildung und Gesundheitsvorsorge. "Das Wasserbauprojekt in Gnani ist ein kleines aber wichtiges Mosaiksteinchen beim Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur", sagt Plawky. Die Menschen danken es den Missionaren schon jetzt. Obwohl viele von ihnen aus dem Ausland kommen, haben sie so gut wie keine Anpassungsschwierigkeiten. Die Menschen in Gnani und Umgebung begegnen den Steylern freundlich und gelassen.  

Der Tank ist nun voll und die Gruppe macht sich auf den Heimweg. Die Steyler Missionare sind inzwischen zu einer festen Institution im Land geworden, was sich auch in der Leitungsstruktur zeigt. Seit 1999 steht mit dem 54 jährigen Provinzial, Pater Vincent Kwame Owusu SVD ein Einheimischer an der Spitze des Steyler Ordens in Ghana.

Benedikt Vallendar