Vier Hektar für zwölf Personen

10. Okt 2007

Paraguay - In Paraguay kümmern sich Steyler Missionare um Einwanderer aus Argentinien, die im Alltag häufig Schikanen ausgesetzt sind.

Mit einem kräftigen Hauruck wirft Pedro Almarales den schweren Dieselmotor an. Schwarzer Rauch speit aus allen Ecken und Enden. "Jetzt haben wir wenigstens Strom", freut sich der 43-Jährige und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Der Motor treibt ein Aggregat an, das das Haus mit Elektrizität versorgt. Es ist Oktober. Gerade hat in Paraguay der Frühling begonnen. Bald werden die Tage wieder länger und die Nächte kürzer. Heute ist ein milder Tag. Vogelgezwitscher und die ersten bunten Weideblumen künden die wärmere Jahreszeit an. Aus dem steinernen Backofen duftet es nach frisch gebackenen Tortillas. In Paraguay werden sie mit Bohnen und scharfer Knoblauchsauce gegessen, manchmal auch mit einem Stück Rinderbraten, je nach Geschmack und wenn es der Geldbeutel erlaubt. Don Pedro lebt in einem kleinen Dorf im Distrikt Itapúa Sur nahe der Hauptstadt Asunción. Der gelernte Sattler und Tabakbauer wohnt zusammen mit seiner Frau Luisa, einer Guaraní-Indianerin, den Schwiegereltern und acht Kindern auf einem kleinen Gehöft, einer so genannten "Chacra". Es misst gerade mal vier Hektar, "Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig", sagt meine Frau immer. Das Brutto-Inlandsprodukt liegt in Paraguay bei rund 1.600 Euro im Jahr. Pedro sucht nach einem Lappen, um das Öl von seinen Fingern zu entfernen. Die Familie stammt aus Argentinien. Seit fünf Jahren sind sie nun schon hier. In Paraguay haben sie wenigstens ein eigenes Dach über dem Kopf und ausreichend zu essen. In Argentinien fehlte es am Ende sogar an Brot, da die Bäckereien wegen Geldmangels nicht mehr mit Mehl beliefert wurden.

 

Dank seiner Frau hat die Familie in Paraguay damals problemlos eine Duldung bekommen. Angehörige der Guaranís, die Ureinwohner, die in Brasilien, Paraguay und Nordargentinien beheimatet sind, haben mit ihren Familien in allein drei Ländern nahezu unbeschränktes Niederlassungsrecht. Als 2001 die Finanzkrise das einst reiche Nachbarland in eine tiefe Depression stürzte, verließen viele Argentinier ihre Heimat, nach Brasilien, Paraguay und, wenn sie es sich leisten konnten, auch in die USA und nach Europa. Paraguay gilt als klassisches Einwanderungsland. Auch aus Deutschland und Russland hat es in den vergangenen hundert Jahren viele Menschen dorthin gezogen. Ab 1968 kamen deutschsprachige Siedler aus der ehemaligen Sowjetunion ins Land, auf der Suche nach Arbeit und Einkommen. Heute kontrollieren ihre Nachkommen die Milchindustrie des Landes. Mit Fleiß, Kreativität und Beharrlichkeit haben sich diese Deutschen empor gearbeitet. Gute Kontakte zur Regierung halfen, so manche Durststrecke zu überwinden. Doch leider hatte diese Entwicklung auch fatale Folgen für die restliche Gesellschaft. Denn 80 Prozent des bebaubaren Landes gehört heute gerade mal zwei Prozent der Bevölkerung. Darunter viele Deutsche. Den Rest des Ackerlands müssen sich Kleinbauern wie Don Pedro teilen. Der Abstand zwischen arm und reich ist in Paraguay immens und birgt großen sozialen Sprengstoff.

 

Geringe Überschüsse

Auf seinen Feldern pflanzt Don Pedro Orangen, Ananas, Kartoffeln und Mandarinen an. Die gedeihen in dem subtropischen Klima besonders gut. "Es reicht für den Eigenbedarf, die Überschüsse gehen meist für das Allernotwendigste drauf", sagt er. Für die Busfahrkarten der Kinder zur Schule etwa, wenn Luisa eine spezielle Medizin benötigt oder auch für neuen Dieselkraftstoff. Dieser ist in den vergangenen Jahren besonders teuer geworden, wie fast überall auf der Welt. "Uns darf eben nichts Unvorhergesehenes passieren", sagt Pedro. Es klingt ein wenig selbstironisch. Denn natürlich weiß auch Pedro, dass das Schicksal manchmal unbarmherzig zuschlagen kann. Zum Glück standen sein Schicksal und das seiner Familie bislang immer unter einem guten Stern. Nur einmal hatten sie Pech, da war der alte Dieselmotor kaputt gegangen und sie mussten sich Geld leihen.   

Don Pedro hat den Schuppen geöffnet und prüft das Werkzeug. Die kommende Woche werden er und seine beiden Ältesten auf den Feldern sein. Die Bäume müssen beschnitten und die Aussaat für den Sommer ausgestreut werden. "Das ist eine sehr harte Arbeit", sagt er. Besonders dann, wenn, wie in seinem Fall, keine Maschinen zur Verfügung stehen und alles von Hand gemacht werden muss. Trotz der vielen Arbeit und des geringen Verdienstes ist der Sonntag für Don Pedro heilig. Es ist der Tag, an dem nicht gearbeitet wird.

 

Steyler genießen hohes Ansehen

Seine Pfarrei Reina de la Paz wird von dem Steyler Missionar, Pater Vicente Maximovich SVD betreut. Rund 90 Prozent der Paraguayer sind römisch-katholisch. Pater Maximovich stammt wie Pedro aus Argentinien und das schweißt natürlich zusammen. Im Ausland halten Landleute eben zusammen, manchmal wenigstens. "Schon so manches Mal hat der Pater den Kopf für uns hingehalten", erzählt Pedro. Erst kürzlich wollten die Behörden in der Provinzhauptstadt die Ausweisung seiner Familie nach Argentinien verfügen, weil er die Abgaben für sein kleines Gehöft nicht pünktlich bezahlt hatte. Argentinier sind in Paraguay häufig Schikanen ausgesetzt. Pater Maximovich hatte das Gespräch mit einem wichtigen Mitarbeiter des Gouverneurs gesucht und schon bald war das Problem gelöst.  

Die Steyler, die seit 1960 in Paraguay arbeiten, genießen in dem südamerikanischen Land einen hervorragenden Ruf. Ihre Schulen, Bildungszentren und das Priesterseminar sind über die Grenzen des Distrikts Itapúa Sur hinweg bekannt. Manch Angehöriger aus der mestizischen Oberschicht war selbst auf einem Steyler Gymnasium und hat anschließend Karriere gemacht. Solche Kontakte können in einem Land wie Paraguay Gold wert sein. Die Steyler verstehen es, diese zugunsten der Ärmsten der Armen zu nutzen. Und das ist auch nötig. Denn Paraguay ist selbst ein armes Land. Beziehungen zu den Hebeln der Macht sind im harten Alltag oft eine Frage des Überlebens. Hinzu kommt, dass Fremde aus noch ärmeren Ländern häufig als Sündenböcke für eigenes Versagen missbraucht werden. Die Behörden gelten in Paraguay als korrupt. Fälle von Willkür und Selbstbereicherung füllen tagtäglich die Seiten der lokalen Presse. "Wir sind dem Pater sehr dankbar", sagt Pedro. Ohne ihn wüsste er nicht, was aus ihm und der Familie geworden wäre.

 

Blühende Schattenwirtschaft

Vor wenigen Wochen hat Don Pedro den Steyler Pater auf einer Fahrt in die Hauptstadt Asunción begleitet. Die Stadt ist mit rund einer Million Einwohner etwa so groß wie Köln. Pater Maximovich ist mit seinen 77 Jahren nicht mehr der Jüngste und Pedro gilt als guter Fahrer. Mit einem alten japanischen Kleinbus waren sie rund drei Tage unterwegs, um Besorgungen zu machen, Freunde zu treffen und Behördengänge des Paters abzuwickeln.

 

Billig-Importe aus Fernost

"Eine Reise nach Asunción ist immer etwas Besonderes", erzählt Pedro. Dort pulsiert das Leben. Dass in Paraguay die Schattenwirtschaft blüht, ist ein offenes Geheimnis. "Es schien mir, als seien die Paraguayer zu 99 Prozent Unternehmer geworden", sagt Pedro schmunzelnd. An jeder Straßenecke stehen in der Hauptstadt fliegende Händler und bieten für wenig Geld ihre importierte Billigware aus Fernost an. "Viele verkaufen gefälschte Ware", sagt Pedro. Und sie stammen zumeist aus Argentinien wie er. Die Behörden wissen das. Sie dulden es gegen Zahlung größerer und kleinerer Gewinnbeteiligungen und setzen häufig diejenigen unter Druck, die nur mit Duldung im Land am Pilcomayo leben. "Vor allem auf uns Argentinier haben sie es abgesehen", klagt Pedro. "Sie wissen, dass es unserem Land noch immer wirtschaftlich schlecht geht und viele nicht zurück können, vor allem, wenn sie, wie unsereins, vom Land kommen und keine Perspektiven haben."  

Doch der Handel mit den Billigimporten aus Fernost hat auch seine positiven Seiten. Pater Maximovich und Don Pedro konnten vergangene Woche endlich mal wieder für wenig Geld in "großem Stil" einkaufen und das hieß Kleidung, Bücher, Spielzeug für die Kinder, Tonträger mit japanischer Meditationsmusik, Nützliches für den Haushalt und sogar ein kleines CD-Radio für die Lieben daheim und Leute aus der Pfarrei erstehen. Als sie zurück kamen, staunten die Freunde nicht schlecht. Zu Weihnachten wollen sie das Gerät "einweihen", sagt Pedro, dann wenn die Kinder ein Krippenspiel aufführen und musikalische Untermalung benötigen. "Die Globalisierung hat auch ihre positiven Seiten", meint der Familienvater. Die kleinen Leute können davon profitieren, denn das Warenangebot ist heute viel reichhaltiger und billiger geworden. Das Hemd, das er am Leib trägt, stammt auch von einem fliegenden Händler aus Asunción. Es hat gerade einmal umgerechnet 30-Euro-Cent gekostet.

 

Jesuiten-Missionare förderten Handel und Gewerbe

Handel und Gewerbe können in Paraguay auf eine lange Tradition zurückblicken. Bereits im 17. Jahrhundert gründeten Jesuitenmissionare spezielle Siedlungen für die Guaraní-Indianer, so genannte Reduktionen, in denen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Manufakturbetriebe, Kunst und Kultur eine große Blütezeit erlebten. Damals stellte der Jesuitenorden die Ureinwohner unter seinen speziellen Schutz. Erst als die Jesuitenreduktionen als "Staaten im Staate" zu mächtig und einflussreich wurden, machte die spanische Krone Tabula rasa. Die Jesuiten wurden ausgewiesen, die Reduktionen aufgelöst und die Guaranís waren fortan der Willkür der Kolonialherren ausgeliefert. "An dieser Mentalität hat sich im Grunde bis heute nichts geändert", klagt Don Pedro. Wer in Paraguay Macht und Geld hat, der zeigt es auch. Er lässt die Schwächeren seine Macht spüren und sorgt dafür, dass sie weiter schwach bleiben. Bei den Steyler Missionaren sei das anders, "sie hätten zwar auch Macht und Möglichkeiten, doch sei ihnen stets am Wohl der Menschen gelegen. Das, was die Steyler hier in einem halben Jahrhundert aufgebaut haben, könnte vorbildhaft sein für die gesamte paraguayische Gesellschaft", ist Don Pedro überzeugt.  

Benedikt Vallendar