„Eigentlich bin ich für die Menschen gekommen“

09. Jul 2012

Bruder Beatus Schöndorf kam als Maurer zu den Steyler Missionaren. Auf der indonesischen Insel Timor baute er viele Jahre lang Kirchen und Schulen. Bis er seine eigentliche Bestimmung fand: Die Förderung Jugendlicher.

Bruder Beatus Schöndorf kann sich noch genau an den Tag erinnern, an dem er zum ersten Mal seinen Ruf vernahm. Damals war er 24 Jahre alt und auf dem Fahrrad unterwegs zur Arbeit. Zehn Jahre hatte er bereits als Maurer und Plattenleger gearbeitet, als er plötzlich, etwa einen halben Kilometer entfernt von seinem Heimatdorf Utweiler im Saarland, eine deutliche Stimme hörte. „Du musst ins Kloster“ waren die Worte, die ihn unvermittelt trafen.


„Ich habe zuerst gedacht, dass ich träume“, erinnert er sich heute. „Ins Kloster gehen – daran hatte ich nie gedacht. Mein Vater ist Landwirt, ich sollte den Betrieb übernehmen. Also habe ich die Stimme ignoriert.“


Doch sie blieb hartnäckig, verfolgte den jungen Mann, der damals noch seinen bürgerlichen Vornamen trug: Josef. „Irgendwann beschloss ich, dem Ruf nachzugeben, und weil ich die Steyler von der ‚stadtgottes‘ kannte, bin ich nach St. Wendel gefahren und habe mich dort als Postulant vorgestellt“, sagt Bruder Beatus. „Doch ich hatte große Angst vor der Reaktion meiner Eltern. Ich war ja ihre ganze Hoffnung. Und tatsächlich waren sie sehr angegriffen und enttäuscht, als ich ihnen schließlich gestand, dass ich Missionar werden wollte. Sie hatten das Gefühl, dass ich sie sitzen lasse.“


Seine Eltern überredeten Josef Schöndorf, noch ein Jahr in Utweiler zu bleiben. Dann schließlich konnten sie ihn loslassen. 1958 kam Schöndorf zunächst als Postulant, dann als Novize nach St. Wendel. „Ich kam sofort in die Baugruppe“, erinnert er sich. „Wegen meiner Berufserfahrung wurden mir bald die Arbeiter anvertraut. Nach dem Unterricht haben wir Stallungen gebaut, Gebäude verputzt, die Friedhofsmauer hochgezogen, die Platten fürs neue Museum verlegt.“


Schöndorf arbeitete so engagiert und effizient, dass man ihn in St. Wendel nach seinen Ewigen Gelübden kaum gehen lassen wollte. Erst mit einiger Verzögerung – nach einem Aufenthalt im Steyler Baubüro in Nemi bei Rom und einem halben Jahr weiterer Ausbildung bei einer Baufirma in München – trat er 1963 ab Genua den Weg zu seiner Missionsbestimmung an: Indonesien. Der Weg bis auf die Insel Timor war beschwerlich, kostete ihn und seine Mitbrüder viele Monate. Besonders eindrücklich ist Schöndorf die Fahrt auf der „Stella Maris“ von Surabaya nach Timor in Erinnerung geblieben. „Das Schiff war total überladen, es gab kaum Platz und kaum Essen. Weil unter Deck alles belegt war, mussten wir drei Tage lang auf dem Oberdeck ausharren. Wenn es regnete, gab es nirgends Zuflucht. Wir mussten einfach warten, bis uns die Sonne wieder getrocknet hatte.“


Gleich nach seiner Ankunft auf Timor übernahm Bruder Schöndorf sein erstes Bauprojekt, einen Kirchbau in Kupang. Bis 1979 entstand unter seiner Federführung auf der Insel Gebäude um Gebäude. Schöndorf baute Kindergärten, eine Polyklinik, Kapellen und Schulen. Bis er eines Tages des Bauens überdrüssig wurde. „15 Jahre nur Zement, Zement und Zement“, sagt er. „Irgendwann beschlich mich der Gedanke, dass ich eigentlich für die Menschen nach Timur gekommen war, nicht nur zum Bauen.“
So beschloss Schöndorf einen Neuanfang. Gemeinsam mit Sozialarbeitern besuchte er die Dörfer Westtimors, lernte die Armut und den Alltag der Menschen kennen, bot seine Dienste an. Zunächst half er den Menschen dabei, die Erträge ihrer Feldarbeit zu erhöhen und Ochsen für die Bestellung der Äcker zu züchten. Dann baute er erste Initiativen für die Jugend auf. Ausbildungsstätten wie Schreinereien und Tischlereien, Schlossereien und Werkstätten, dank derer Hilfe junge Menschen ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen können.


„Besonders zu Herzen ging mir, wie wenig Rechte die Frauen in den Dörfern hatten“, sagt der Steyler Missionar. „Sie werden lediglich als Arbeitspersonal angesehen, dürfen nicht viel mehr als Wasserschleppen und Kochen, während der Mann repräsentiert.“ Schöndorf beschloss, sich vor allem für Mädchen stark zu machen, rief Hauswirtschaftsschulen und Nähkurse ins Leben, auch, um das Selbstwertgefühl der jungen Frauen zu stärken. „Viele von den Mädchen, die unsere Ausbildungsstätten durchlaufen haben, sind später Bürgermeisterinnen geworden“, sagt er. „Das ist wirklich beeindruckend.“ Nach ihrer abgeschlossenen Ausbildung bringen die Mädchen nach drei Jahren einen Schrank, Nähzeug, ein Bügeleisen und einen Backofen mit in ihr Heimatdorf, die Jungen dürfen eine Säge, einen Hammer, einen Hobel und Zwingen mit nach Hause nehmen. 


Unzählige Jugendliche haben bis heute von den Ausbildungsprogrammen profitiert, die Bruder Beatus auf Timor ins Leben gerufen hat. Aus gescheiterten Schülern sind selbstbewusste Frauen und Männer geworden, die einen Beruf ausüben und eine Familie unterhalten können. „Ich bin heute sehr glücklich, dass ich den Schritt gemacht habe“, bilanziert er heute seinen Wechsel vom Bauhandwerk in die Sozialarbeit. „Die Förderung dieser jungen Menschen war letztendlich meine Lebensaufgabe, die unbewusst in mir gesteckt hat.“


Vor Kurzem haben Ordensschwestern zunächst für drei Jahre die Sozialprojekte von Bruder Beatus übernommen. Schweren Herzens hat der Missionar sein Lebenswerk an jüngere Kräfte weitergereicht. Mitgegeben hat er ihnen den Wunsch, dass sie niemals an ihrer Berufung zweifeln mögen. So wie er nicht an jener Stimme gezweifelt hat, die ihm damals auf dem Weg zur Arbeit seinen Weg gewiesen hat. Mit dem Fahrrad nach St. Wendel.


Markus Frädrich