„Ich bin mit Angst gefahren“

29. Mai 2012

Alle 20 Minuten tritt irgendwo auf der Welt ein Mensch auf eine Landmine. Kinder beim Spielen, Bauern auf den Feldern, Frauen beim Wasserholen büßen ihre Beine, ihre Arme, ihr Augenlicht oder gar ihr Leben ein.

Pater Konrad Liebscher war von 1987 bis 1997 als Missionar in Angola, wo der letzte Stellvertreterkrieg des Ost-West-Konflikts bis heute nachwirkt. Markus Frädrich hat mit dem heutigen Missionsprokurator der Steyler Mission in Sankt Augustin über die Landminenproblematik in dem südwestafrikanischen Staat gesprochen.


Pater Liebscher, wie kam es, dass Sie 1987 als Missionar nach Angola gegangen sind?

Angola stand an erster Stelle der Länder-Wunschliste für meine Arbeit, und so war ich sehr froh, für dieses Land bestimmt zu werden. Ich wollte unbedingt dorthin, weil ich im Anthropologie-Unterricht viel von der afrikanischen Kultur gehört hatte. Ich konnte ein wenig Portugiesisch sprachen, weil ich mich zunächst auch für Brasilien interessiert hatte. Und schließlich lag für mich auch eine gewisse Herausforderung darin, in ein Land zu gehen, in dem Bürgerkrieg herrschte. Ich traute mir das zu.


Als Sie ins Land kamen, wütete der Bürgerkrieg bereits über zehn Jahre. In welchem Zustand war Angola damals?

Die Infrastruktur des Landes war instabil, in vielen Teilen herrschte Hunger, weil die Kriegsparteien die Nahrungsvorräte konfisziert hatten. Was mich wirklich beeindruckt hat, war, dass viele Angolaner in dieser Krise ihren Lebensmut bewahrt haben – und das, obwohl bei so manchem von ihnen der Krieg auch körperlich bereits deutliche Spuren hinterlassen hatte. Es gab unheimlich viele Menschen, die ein Bein oder einen Arm verloren hatten, und die sich auf altmodischen Krücken fortbewegten.


Mit den Ursachen dieser Verstümmelungen sind Sie bald selbst konfrontiert worden…

In den ersten Jahren habe ich im Norden des Landes gearbeitet, in der Missionsstation Tomboko. Dreimal wurde das Dorf in dieser Zeit von Rebellen heimgesucht. Normalerweise war das so: Kurz vor dem Morgengrauen gab es Gewehrschüsse und Maschinengewehrfeuer. Die Bevölkerung packte in aller Eile ihr Hab und Gut zusammen und flüchtete aus dem Dorf. Die Rebellen plünderten staatliche Einrichtungen und Privathäuser und legten Brände. Jugendliche, denen die rechtzeitige Flucht nicht gelungen war, wurden mitgenommen, um den Rebellen später als Lastenträger oder Soldaten zu dienen. Ihren Rückzug sicherten sich die Rebellen, in dem sie Landminen vergruben.


Landminen waren sicherlich die heimtückischsten Waffen des Bürgerkrieges. Haben Sie die Folgen einer Landminendetonation jemals aus der Nähe erlebt?

Einmal etwa, als ich eines Tages in einer der Außenstationen der Pfarrei zu tun hatte. Frühmorgens hörten wir, wie die Rebellen über das Nachbardorf herfielen. Als dann gegen 11 Uhr die Lage scheinbar ruhig geworden war, habe ich mich mit dem Chefkatechisten auf den Weg ins Nachbardorf gemacht. Um Verletzte zu versorgen. Wir fuhren mit unserem Jeep hinüber, der örtliche Katechist folgte uns auf seinem Fahrrad. Wir sind langsam gefahren, immer darauf achtend, ob es frisch gegrabene Löcher am Wegesrand gibt. Plötzlich gab es einen lauten Knall und ich sah im Rückspiegel, wie der Katechist, der mir auf dem Fahrrad gefolgt war, durch die Luft gewirbelt wurde. Er war auf eine Mine gefahren und wurde zehn Meter weit geschleudert. Er war sofort tot.


Haben Sie angesichts dieser Gefahren jemals daran gedacht, ihren Einsatz als Missionar abzubrechen?

Nein. Ich war überzeugt von meiner Aufgabe und die Bevölkerung war froh, dass wir Missionare es in Angola aushielten, trotz der angespannten Situation. Aber die Lokalbevölkerung musste ja auch tagtäglich unter diesen Umständen leben. Insofern gab mir das Kraft und Mut, weiterzumachen - trotz der Angst, die ich natürlich selber spürte, vor allem beim Autofahren. Aber ich habe eben versucht, vorsichtig zu fahren und insbesondere Schlaglöcher und die sandigen Ausweichspuren neben der Asphaltstraße gut im Auge zu behalten.


Auch heute, viele Jahre nach Ende des Bürgerkrieges in Angola, ist die Suche nach Landminen immer noch nicht abgeschlossen. Schätzungen gehen weiterhin von 60 Unfällen durch Landminen im Monat aus. Glauben Sie, dass das Land jemals minenfrei sein wird?

Ich habe gehört, dass viele Millionen Minen vergraben sind. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die in den nächsten zehn Jahren alle gefunden werden. Die Regierung und verschiedene Nicht-Regierungsorganisationen versuchen, zumindest alle größeren Wege zu säubern. Bis dahin wird der Krieg in Angola unentwegt fortsetzt – obwohl die Kämpfe längst vorüber sind.


Tipp zum Weiterlesen: In der aktuellen „stadtgottes“ berichtet Reporter Wolfgang Hardt über Ratten als Landminensucher. http://www.stadtgottes.de/stago/ausgaben/2012/06/themen/Die-Supernasen.php

 

Das Interview bei Youtube:


 

Markus Frädrich