„Was ich in ‚Naka‘ sah, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen“

25. Sep 2012

Nach vielen Jahren als Missionar bei den Massai hat Pater Marcin Karwot im April eine neue Aufgabe in Kenia übernommen.

In Nairobi leitet er die Internationale Ausbildungsgemeinschaft der Steyler Missionare, gleichzeitig engagiert er sich für Menschen, die in seiner Pfarrgemeinde „Yamumbi“ beim Völkermord in den Jahren 2007/2008 alles verloren haben.

Pater Karwot, seit April arbeiten Sie im Westen Kenias, in der Diözese Eldoret…
Richtig. Meine Pfarrgemeinde heißt „Mutter Gottes Yamumbi“. Der Name „Yamumbi“ setzt sich aus zwei Wörtern zusammen. „Ya“ in Swahili hat viele Bedeutungen, aber in diesem Fall wirkt es wie ein Possessivpronomen und beantwortet die Frage: Wessen? „Mumbi“ wiederum ist ein Wort in der Sprache Kikuyu und bedeutet so viel wie: Schöpfer. Man könnte den Namen der Gemeinde mit „Ort des Schöpfers“ übersetzen.

In Ihrer Gemeinde leben die Kikuyu, eine bantusprachige ethnische Gruppe...
Die Kikyuyu sind die größte Bevölkerungsgruppe Kenias. Der Berg Mount Kenya – der höchste Gipfel in Kenia – gilt für sie als ein heiliger Berg, auf dessen Gipfel Gott wohnt, den sie „Ngai“ nennen. Dieser Berg wird für die Wiege der ethnischen Gruppe Kikuyu gehalten – dort rief Gott „Gikuyu“, den ersten Menschen-Mann, und „Mumbi“, die erste Menschen-Frau, ins Leben.

Wie stehen die Kikuyu zum Christentum?
Sie waren unter den ersten Kenianern, die das Christentum annahmen, und zwar schon am Ende des 19. Jahrhunderts und mit der Ankunft der ersten britischen Kolonialherren. Seitdem akzeptieren sie ihren traditionellen Gott „Ngai” als denselben Gott, an den alle Christen auf der Welt glauben.

Die Pfarrei, in der sie nun arbeiten, wurde 1982 gegründet. ..
„Yamumbi“ ist bis heute für viele Menschen ein heiliger und einzigartiger Ort. Unsere Pfarrei ist eine eigentümliche und traditionelle Enklave in der Stadt Eldoret. Aktuell feiern wir unseren 30. Geburtstag. Diese 30 Jahre waren reich an vielen freudigen und gesegneten Momenten, aber auch an vielen sehr schwierigen.

Welche schwierigen Momente haben bis heute ihre Spuren hinterlassen?
Zu den traurigsten Momenten in „Yamumbi“ gehörten ethnisch und politisch bedingte Konflikte, die ganz Kenia an der Jahreswende 2007 / 2008 in Atem hielten. Es kam hier in „Yamumbi“ zu den blutigsten Morden und anderen menschlichen Tragödien in ganz Kenia. Diese enormen geistigen, moralischen und physischen Wunden klaffen bis heute. Und sie werden es noch viele Jahre, sogar Jahrzehnte.

Die Steyler Missionare sind erst seit Kurzem vor Ort...
Wir wurden im Jahr 2011 eingeladen. Der Bischof der Diözese Eldoret brauchte Priester, die in jeder Hinsicht neutral und willens sind, direkt unter den Menschen der Pfarrgemeinde „Yamumbi“ zu wohnen. Die Pfarrgemeinde hat heute insgesamt acht seelsorgerische Zentren: Yamumbi, Kapteldon, Kabongo, Kormaet, Chebarus, Mutwot, Simat und Kipkenyo. Nicht in allen Stationen leben Kikuyu, in manchen ist auch die ethnische Gruppe der Kalenjin zu Hause, die 2007 / 2008 gegen die Kikuyu kämpfte. Sie können sich vorstellen, dass unter diesen Umständen die seelsorgerische Arbeit nicht einfach ist.

Zu Ihrer Pfarrgemeinde gehören auch drei Flüchtlingslager für Menschen, die nach dem Völkermord in den Jahren 2007 / 2008 kein zu Hause mehr haben…
Zwei Lager sind ziemlich klein und zählen insgesamt ein paar Hundert Einwohner. Das dritte Lager, von den Einwohnern „Naka“ genannt, ist das größte. Hier wohnen über Tausend Menschen, darunter im Lager geborene Kinder, die kein normales Leben außer den Alltag im Lager kennen.

Wie haben Sie Ihren ersten Besuch in diesem Lager erlebt?
Ich wurde zur Familie eines aus unserer Pfarrgemeinde stammenden Seminaristen der Diözese Eldoret eingeladen. Seine Eltern wohnen seit fünf Jahren in einem Zelt in „Naka“ – wenn man das überhaupt so nennen kann. Im Prinzip stehen dort Holzkonstruktionen, die mit einer Plane bedeckt sind. Sie wurden ihnen von internationalen Organisationen geschenkt. Die Bedingungen, in denen diese Menschen leben, sind unbeschreiblich. Ich habe ja schon viele grausame Dinge gesehen. Aber das, was ich in „Naka“ sah, übertraf alle meine Befürchtungen. Einfach ein Albtraum!

Wie versuchen Sie zu helfen?
Die Lagerbewohner möchten gerne die Besitzurkunde für das ganze „Naka“-Gebiet erwerben, damit es zumindest immer ihr Eigentum bleibt und sie niemand aus dem Lager verjagen kann. Einen Teil der Gebühren konnten sie schon bezahlen, weil ich einige Wohltäter aus meiner polnischen Heimat als Unterstützer gewinnen konnte. Aber um die Menschen dauerhaft bei einem Neustart ins Leben zu unterstützen, brauche ich natürlich noch viel mehr Hilfe. Die Bedürfnisse in „Yamumbi“ sind enorm – und jede geistige und materielle Unterstützung ist willkommen.

Markus Frädrich