„Wir müssen der Stein in den Schuhen der Kirche sein“

29. Okt 2013

Der Umgang mit Reichtum und Armut in der Kirche, die Rolle der Ordensgemeinschaften und der positive Einfluss von Papst Franziskus – nach einem Jahr Amtszeit zieht der Generalsuperior der Steyler Missionare, Pater Heinz Kulüke, eine erste Bilanz und mahnt falsche Strukturen schnell zu beseitigen.

 

Lieber Pater Kulüke, ein gutes Jahr sind Sie nun Generalsuperior der Steyler Missionare – jahrelang haben Sie sich vor ihrer Wahl um die Ärmsten der Armen in philippinischen Slums gekümmert. Als Generalsuperior mit ihrem Rat haben Sie einen besonderen Schwerpunkt auf das Thema „Armut“ gelegt: Die Strukturen aus denen Armut entsteht müssen erkannt und behoben werden. Wie ist es den Steyler Missionaren möglich, etwas gegen diese „falschen“ Strukturen zu tun – ist dies nicht eine Aufgabe der Politik?
Nein, das ist die Aufgabe von jedem von uns. Die politischen und wirtschaftlichen Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die vorhandenen Strukturen nicht funktionieren und viele Menschen unter ihnen leiden. Die heutigen Systeme sind überholt und unbrauchbar geworden – das gilt auch für unsere kirchlichen Strukturen. Wir können die Verantwortung dafür nicht nur an Politiker und die Kirchenleitung abschieben – alle Menschen sind aufgerufen nach einem besseren System zu suchen, dass unsere Welt zum Wohle aller lenkt. Natürlich sehen wir uns als Ordensgemeinschaft in diesem Zusammenhang in einer besonderen Pflicht. Wir als Generalrat der Steyler Missionare haben uns deshalb dem Motto „Unter den Menschen – die Letzten zuerst“ verschrieben und wollen unser Bestes geben, um das Wohlergehen von Migranten, Familien und Jugendlichen zu fördern. Wir müssen uns als Christen auch fragen, was Gott von uns persönlich und der Gesellschaft möchte. Im Evangelium wird uns aufgezeigt, wie wir den Pfad zu Glück und Leben finden, Jesus selbst hat es uns vorgemacht: wie er lebte, anderen diente, Menschen unterstützte. Jetzt ist es an uns eine Welt zu schaffen, in der jedem Menschen Gerechtigkeit widerfährt.

 

Aber gerade die Kirche widerspricht häufig ihrem eigenen Ideal. Einerseits wird von einer gerechteren Welt für alle gepredigt, gleichzeitig aber auch Geld, das vielen Menschen helfen könnte, in Prunk und Protz gesteckt.
Das ist tatsächlich ein Problem, dass wir auf der ganzen Welt finden: Die Kirche ist heilig und zugleich voller Sünde. Heilig, wegen ihres Begründers Jesus Christus und der Präsenz seines Geistes, aber auch voller menschlicher Sünde wegen vieler, die die Kirche formen und verwalten. Das Vaticanum II hat versucht uns zurück zum Evangelium zu führen, damit wir nach seiner wirklichen Bedeutung streben: Gottes Menschen ein lebenswertes Leben zu geben, besonders den Ärmsten der Armen. Bevor nun also Residenzen für hochrangige Persönlichkeiten der Kirche oder anderer christlicher Gemeinschaften gebaut werden, sollten wir uns die Frage stellen, ob das wirklich das ist, was Gott möchte. Passt es zum Lebensstil der Menschen? Sind diese Projekte bedeutend, notwendig und verbessern sie die Leben von Menschen? Kirchliche Würdenträger sollten weder ihre Macht, noch Geld zu ihrem eigenen Vorteil missbrauchen. Entscheidungen, die das Leben von anderen Menschen beeinflussen und auch finanzielle Mittel einbeziehen, müssen in einem großen Kollegium mit wichtigen Vertretern der lokalen Kirche getroffen werden.

 

Ein positives Beispiel: Der Katakombenpakt. Wir Steyler Missionare betreuen seit einigen Jahren die Domitilla Katakomben in Rom – einen denkwürdiger Ort. Gegen Ende des Vaticanums II, im November 1965, trafen sich genau dort 40 Bischöfe, um einen Pakt zu unterzeichnen. Bevor sie in ihre Diözesen zurückkehrten versprachen sie, anlehnend an das Leitwort des Konzils „Eine Kirche für die Armen“, ein einfaches Leben zu führen. Sie schworen einem teuren Lebensstil und einem prunkvollen Erscheinungsbild ab, wie Titel, Kleidung, Geld und anderen Besitztümern. Eingeschlossen in diesen Pakt waren auch alle anderen Menschen, die für diese Diözesen arbeiteten. Es gibt also Beispiele, dass es möglich ist, einen anderen Führungsstil auszuüben, viele haben das getan und tun das bis heute. Wir sollten dieses Zeugnis bekräftigen – das ist die größte Aufgabe für die Leitung der Kirche und im religiösen Leben heute.

 

Die Steyler Missionare verpflichten sich bei Ordenseintritt, ähnlich wie die Bischöfe beim Katakombenpakt, der Armut. Wie leben Sie das Armutsgelübde?
Wir können unser Verlangen nach einer besseren Welt nicht von einem einfachen Lebensstil trennen. Als Konsequenz versuchen wir unseren Alltag genauso zu leben wie die Menschen, die wir in Pfarreien, Schulen und verschiedenen Missionen betreuen. Das Armutsgelübde bedeutet Einsatz gegen alle Arten von Armut und Ausgrenzung, kämpfen für strukturelle Veränderungen zu Gunsten der Armen. Bischof Helder Camara aus Brasilien sagte immer: „Wenn ich den Armen helfe, nennen sie mich einen Heiligen, wenn ich frage, warum es so viele arme Menschen unter uns gibt, nennen sie mich einen Kommunisten.“ Das wirkliche Armutsgelübde kombiniert die Unterstützung der Armen mit dem Engagement für einen strukturellen Wandel.

 

Rund 6000 Steyler Missionare arbeiten in über 70 Ländern daran, das Leben der Menschen zu verbessern. Papst Franziskus sagte in seinem Interview in „Stimmen der Zeit“, dass Ordensleute Propheten sind, was bedeutet auch manchmal „Krach“ zu machen, laut zu sein – häufig halten sich Ordensleute aber zurück, aus Angst sich in Diözesanstrukturen einzumischen und Konsequenzen zu erfahren. Wie laut sollten ihre Missionare sein?
Wir sind gerufen, um „Steine in den Schuhen“ innerhalb der Kirche zu sein. Unsere Aufgabe ist es, die Obrigkeiten aber auch die einzelnen Christen daran zu erinnern, dass Kirche dazu da ist, Leben zu fördern. Jesus sagte: „Ich bin gekommen, damit alle Menschen das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).Wenn die Präsenz der Kirche kein lebenswertes Leben für alle unterstützt, hat sie ihre Existenzberechtigung verloren oder wie der Hl. Arnold Janssen, unser Gründer, in Anlehnung an Jesus immer sagte: „Das Salz hat seinen Geschmack verloren.“
Unser missionarisches Leben als Steyler Missionare muss laut sein, um die Stimme derer zu sein, die an den Rand gedrängt sind.

 

Papst Franziskus ist selbst Jesuit – mit seiner bescheidenen Lebensweise beeindruckt er die Menschen weltweit und setzt auch in Rom neue Maßstäbe. Zudem spricht er oft Themen an, für die auch die Steyler Missionare stehen. Hat sich Ihre Arbeit durch den Amtswechsel im Vatikan verändert, haben Sie vielleicht sogar neue Impulse für die eigene Arbeit erhalten?
Ein guter Führungsstil kann den Menschen immer gute Impulse geben – das macht auch der Papst mit seiner Einfachheit, Authentizität und Menschlichkeit. Vielleicht ist das Grundziel seines Pontifikates, die Kirche wieder zu einer Kirche des Herrn zu machen. Das bedeutet auch für die Oberen der religiösen Kongregationen, wie wir auch eine sind, diese wieder zu Kongregationen des Herrn zu machen. Er lädt uns ein Jesu Christi in den Armen zu finden. Er versucht uns zu sagen, dass es keine Zukunft für die Menschen gibt, bis wir nicht Wege des Dialoges und des Respektes finden, um eine bessere Welt für alle schaffen. Als er Erzbischof von Buenos Aires war, wiederholte er oft, was die lateinamerikanischen Bischöfe in dem Dokument von Aparecida schrieben: „Wenn es keine Hoffnung für die Armen gibt, dann gibt es für niemanden Hoffnung.“.


Hoffnung kommt auf, wenn wir jeden so lieben wie uns selbst, wenn wir die Strukturen der Gesellschaft und der Kirche nutzen, um genügend Nahrung, Unterkünfte, Bildung und Gesundheitsfürsorge für alle zu ermöglichen. Solange wir nicht begreifen, dass das in einer Gesellschaft, die lieber dem Geld und der Wirtschaft dient, nicht funktioniert, wird sich das aber nicht ändern.

 

Im Sommer 2012 wurde der Steyler Missionar Heinz Kulüke zum Generalsuperior seines Ordens gewählt. Er ist der zehnte Nachfolger des Ordensgründers - des Heiligen Arnold Janssen. Kulüke engagierte sich bisher unter anderem für Arme und Benachteiligte auf den Philippinen. In einem Interview (hier ein Ausschnitt) stellt er seine Vision für die Zukunft des Ordens und der Kirche vor.

Severina Bartonitschek