Neue Akzente in der Verkündigung

19. Nov 2014

Viele Katholiken fühlen sich durch das Auftreten von Papst Franziskus in ihrem täglichen Leben gestärkt. Seine Sprache kommt bei den Menschen an und es ist wieder erlaubt, kritische Fragen zu stellen, meint Pater Norbert Cuypers.

Pater Norbert Cuypers
Pater Norbert Cuypers

Der Vizeprovinzial der Steyler Missionare wurde von Peter Hummel, dem Gründer der Generation Franziskus, zu seiner Meinung zu Papst Franziskus befragt


Was ist für Sie persönlich die größte Veränderung in der Kirche aber auch in der Welt, seit Franziskus Papst ist?

Es ist schon erstaunlich, wieviel Papst Franziskus allein dadurch in der Kirche und in der Welt bewirkt, indem er eine von Herzen kommende Sprache benutzt. Plötzlich hören Menschen zu, die sich sonst nicht wirklich für Glaube und Kirche interessieren. Das erinnert mich an das, was Nelson Mandela einmal gesagt hat: „Wenn du mit einem Menschen in einer Sprache sprichst, die er versteht, so wird er dies im Kopf behalten. Wenn du aber mit ihm in seiner eigenen Sprache sprichst, geht ihm das direkt ins Herz.“ Seitdem Franziskus Papst ist, nimmt meiner Meinung nach die Angst unter Bischöfen und Priestern ab, ein falsches Wort sagen zu können. Man darf wieder laut denken, kritische Fragen stellen und bisherige Tabus benennen. Das lässt mich auf eine offene Gesprächsatmosphäre in kirchlichen Kreisen hoffen.


Eines der zentralen Themen des Papstes ist die Armut. Wie nehmen Sie Armut in Ihrem Umfeld wahr und wie bekämpfen sie diese? Überhaupt: Was ist Armut für Sie?

Als Ordensmann muss ich zugeben, dass meine größte Armut wohl darin besteht, dem Gelübde der Armut nie und nimmer gerecht zu werden, denn wie ich es auch drehe und wende: trotz eines „einfachen Lebensstils“ und „Gütergemeinschaft“ geht es mir gegenüber vielen Menschen – auch in Deutschland – immer noch sehr gut und in vielem fühle ich mich tatsächlich noch reich beschenkt und sozial abgesichert.

„Ich habe Gott auf der Mülldeponie gefunden.“ Das ist das schlichte Glaubenszeugnis von Pater Heinz Kulüke SVD, dem Generalsuperior der Steyler Missionare, der Jahrzehnte unter Müllkindern und Prostituierten auf den Philippinen gelebt und gearbeitet hat. Kulüke wurde neun Monate vor Papst Franziskus auf dem Generalkapitel des Ordens gewählt und ermutigte in seiner Antrittsrede seine Mitbrüder dazu, sich selbst und der Welt von heute die Frage zu stellen: „Warum sind die Armen eigentlich arm?“ Wenn ich diese Frage für mein Leben ernst nehme, habe ich auf diesem Gebiet noch eine ganze Menge zu tun.

Buchcover
Buchcover

Viele Katholiken tun sich mit manchen Lehrmeinungen der Kirche schwer. Sie sehen aber in Papst Franziskus einen Verbündeten, bei dem sie das Gefühl haben, dass er sie versteht, obwohl auch er die Lehre nicht ändert. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen? 

Durch seine einfachen Worte und Gesten im gelebten Alltag setzt meiner Meinung nach Franziskus – dem es doch zuallererst um die Freude des Evangeliums geht – schlichtweg neue Akzente in seiner Verkündigung. Bezüglich der Lehre der Kirche betont er immer wieder, dass es eine gewisse Rangfolge der Wahrheiten gibt, die für unser Leben als Christen wichtig sind und konzentriert sich daher immer wieder auf Kernaussagen des Evangeliums und glaubt an seine Kraft für das Heute. Das spüren die Menschen, die ihm begegnen, ihm zuhören oder seine Texte lesen.

„Barmherzigkeit“ – zweifellos ein jesuanisches Anliegen – steht im Mittelpunkt des Denkens und Handelns von Franziskus. Bei der Priesterweihe am 11. Mai 2014 gab er beispielsweise noch den zukünftigen Seelsorgern zu bedenken: „Um der Liebe Christi willen: Werdet niemals müde, barmherzig zu sein! Bitte! Seid ebenso fähig wie der Herr, zu vergeben – er ist nicht gekommen, um zu verdammen, sondern um zu vergeben!“ Man mag das in gewissen Kreisen der Kirche als „Schwäche“ und „Weichspülerei des Glaubens“ deuten. Ich persönlich sehe darin eine frohe und befreiende Botschaft für die Welt von heute. Freuen wir uns über jeden Menschen, der es auch so wahrnehmen und annehmen kann.


Die Zahl der Katholiken auf der ganzen Welt steigt. Was können wir in Mitteleuropa von den Kirchen in Asien, Afrika und Lateinamerika lernen?

Ich kann hier nur von meinen persönlichen Erfahrungen in Ozeanien sprechen. Auf Papua-Neuguinea gilt bei den Menschen der Grundsatz: „Mir geht es gut, wenn es dir gut geht.“ Deswegen wird ein Papua in der Regel alles daransetzen, dass es mir gut geht. So habe ich das auch in den Jahren mit diesen Menschen erfahren, wofür ich ihnen zutiefst dankbar bin und bleibe. Von den Menschen in Ozeanien habe ich gelernt, dass nicht wirklich der Mensch reich ist im Leben, der viel hat, sondern der, der viel für andere gibt. Das ist für mich nicht nur ein urchristlicher Gedanke, den Gott in die Herzen jener Menschen schon eingepflanzt hatte, bevor je ein Missionar zu ihnen kommen konnte. Uns Christen hier in Europa könnte es vielleicht nicht schaden, sich diesen Ansatz im Denken und Handeln zu Eigen zu machen.


Ist Papst Franziskus für Sie ein Revolutionär?

Laut Duden bedeutet das Wort „Revolutionär“ zweierlei: Erstens ist damit jemand gemeint, der an einer Revolution beteiligt ist beziehungsweise auf eine Revolution hinarbeitet. In diesem Sinne glaube ich nicht, dass Franziskus ein „Revolutionär“ ist, denn sicherlich geht es ihm nicht um eine „Revolte“ im Vatikan oder in der Kirche. Dazu liebt er die Kirche viel zu sehr und ist tief verwurzelt in seinem Glauben. Und das ist gut so.

Zweitens kann man laut Duden unter „Revolutionär“ jemanden verstehen, der auf einem Gebiet als „Neuerer“ auftritt. So verstanden meine ich schon, das Franziskus – so wie sein Namenspatron, der Heilige Franz von Assisi ja auch – ein Revolutionär ist. Ohne Zweifel tritt er als ein „Neuerer“ auf, der die Kirche wieder mehr ans Evangelium heranführen will. Als Christen tun wir meines Erachtens gut daran, ihm Wohlwollen und Vertrauen zu schenken.


Das Interview ist erschienen im Buch von Peter Hummel: „Generation Franziskus. Der Papst ist ein Revolutionär. Da machen wir mit.“ Bonifatius Verlag. Hier erfahren Sie mehr zum Buch:

Peter Hummel