01. Mär 2004
Wir beten, dass die Weltmission als Thema und Anliegen fest in den christlichen Gemeinden verankert ist.
"Dein Leben ist Mission"
Im vergangenen November feierte die Kirche (vor allem Zentral-) Amerikas in Guatemala einen Missionskongress, den COMLA7/CAM2 (spanische Abkürzung für den 7. lateinamerikanischen und 2. gesamtamerikanischen Missionskongress). Das Leitmotiv hieß: "Kirche in Amerika, dein Leben ist Mission". Immer wieder kamen die verschiedenen Redner des Kongresses auf dieses Motiv zurück: Wann immer vom Pult "Kirche in Amerika" ausgerufen wurde, hallte es von den über 3000 Teilnehmern aus allen Ländern Amerikas zurück: "Dein Leben ist Mission!!!". Freilich, bei einigen Rednern schien es sich um eine Publikumstaktik zu handeln, dem Schlaf zu entkommen. Bei anderen war es ein Fehlstart, weil es nur um eine Information über die "Kirche in Amerika" ging, nicht um das Aufheizen einer diffusen Emotionalität für die "Mission". Meistens aber war es die Zustimmung zu einem Grundgesetz des Christentums: Wer nicht bereit ist, sein Leben zu verlieren für den anderen, hat es schon verloren. Wenn das Weizenkorn nicht stirbt, hat es keinen Sinn.
Ad Gentes
Diese beiden Wörter "ad gentes" sind in aller Munde geraten, seit vor fast 40 Jahren das Konzil sein Missionsdekret damit beginnen ließ. Das Konzil ist allerdings nicht klar genug über ein beschränktes und veraltetes Verständnis der gentes hinausgegangen: Auf der einen Seite versteht sich die Kirche zwar als wesentlich missionarisch, es bleiben dann aber doch Kriterien bestehen, die die Mission wieder auf bestimmte - vor allem außereuropäische - Länder und Bevölkerungsgruppen reduziert. Später wird die Aufgabe der Kirche mit Evangelii Nuntiandi weiter gefasst und in einen größeren Zusammenhang gestellt. Vor gut zehn Jahren erklärte schließlich Redemptoris Missio die Mission "ad gentes" als die spezifische Aufgabe der Kirche, die Frohbotschaft denen zu verkünden, die sie noch nicht oder nicht genügend kennen, im Unterschied zur pastoralen Betreuung derer, die schon Christen sind, und zur Neuevangelisierung derer, die den Kontakt verloren haben.
Die geographische Zuordnung der Mission "ad gentes", die sich noch im Konzilsdokument niederschlägt, hat weitreichende Folgen gehabt. So hatten die Steyler Missionare beispielsweise in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Mut, Europa nicht nur als Missionsland ernst zunehmen, sondern diesem neuen Verständnis auch Taten folgen zu lassen: seither kann es indonesische Missionare in Berlin oder in Polen geben, die dort ihrer Missionsberufung "ad gentes" nachgehen.
Die Gleichung
Im Missionskongress von Guatemala wurde die Gleichung "Leben = Mission" in beide Richtungen angegangen. Auf der einen Seite ist es unbestritten, dass alles Leben in der Kirche eine missionarische Bedeutung hat. Es besitzt sowohl Ausstrahlung als auch Anziehungskraft sowie Leben spendende Eigenschaften. Christ ist, wer die Erfahrung gemacht hat, dass der Gekreuzigte lebt, Leben stiftet und eine neue Lebensqualität eröffnet. Diese Überzeugung für sich zu behalten und in der Isolation zu leben, ist offensichtlich nicht möglich. Dieses Leben und seine Erfahrung müssen sich verbreiten und weitergegeben werden. In den nördlichen Breiten unserer Erde kann man dieses Grundgesetz um Ostern herum auch in der Natur beobachten, wenn die ersten Blumen und Blüten - das neue Leben - durch das Eis brechen.
Auf der anderen Seite ist es die Herausforderung der Mission, die neues Leben in die Kirche bringt. Die Kirche und der Glaube verdanken sich der Mission, nicht nur im historischen Ablauf, sondern immer auch in der Gleichzeitigkeit. Der Missiologe Paulo Suess vergleicht Mission mit der Exogamie, der Heirat zwischen Nicht-Stammesangehörigen. Durch sie werde die Erbmasse der Tradition erneuert und die Inzucht sowie Degeneration des ewigen Verfangenbleibens in der eigenen Tradition vermieden. Mission schaffe neues Leben. Beispiele hierfür gibt es zahlreiche: Paulus und seine Offenheit für andere und anderes, die Mission der Schotten und Iren in Nordeuropa und ihre Einführung von Neuerungen, die bis heute zum Ehrwürdigsten und Angestammtesten des Christentums gehören (oder das wenigstens vorgeben). Selbst Jesus hatte seinen Horizont mit Hilfe anderer erweitert (die Kananäerin, die Samariterin). Die Begegnung mit den Indios in Amerika hat - nach der Frage, ob es sich bei den Indios tatsächlich um Menschen handle (die offizielle Erklärung, dass dem so sei, kam erst 1534, vier Jahrzehnte nach der "Entdeckung", und wurde dann sogar noch einmal vom gleichen Papst zurückgenommen) - schließlich zur Ausarbeitung des Völkerrechts geführt. Es ist also klar, dass die Kirche und der Glaube wesentlich davon leben, nicht im eigenen Horizont gefangen zu bleiben. Der Missionskongress in Guatemala hatte daher Recht, wenn er sich immer wieder in Erinnerung rief, dass Mission für die Kirche das Leben ist.
Gentes ante portas!
Für die Verwaltung der kirchlichen Institution besteht natürlich immer die Gefahr und Versuchung, alles klar eingeordnet sehen zu wollen. Für jeden denkbaren Vorfall gibt es Verordnungen, Anweisungen, Vorgehensweisen, Zuständigkeiten; sogar die Ausnahmen sind klar definiert. Aber diese Idylle einer völlig verwalteten Kirche funktioniert Gott sei Dank nicht mehr (falls dies jemals der Fall war). Wie die verschiedenen Stämme und Völker, die in die Heilige Stadt eingeströmt waren, bringt auch die Mission immer wieder Neues und Verwirrung. Die Migranten aus aller Herren (oder Sklaven) Länder des Südens sind ein gutes Beispiel: ihre andere Art des Betens, ihr anderes Gefühl für die Zeit oder in Bezug auf Emotionalität in der Liturgie (die mancher Beckmesser auf jeden Fall gleich wieder an der Wurzel ausmerzen will) und die fehlenden Papiere bringen alle Bürokraten zum Verzweifeln.
Eine mögliche Antwort ist der Fundamentalismus, der sich in seiner dümmsten Form in der Xenophobie mancher politischer Gruppierungen ausdrückt. Vielen christlichen Gemeinden fällt es aber offenbar auch nicht leicht, das warme Nest der vertrauten Tradition zu verlassen: Wenn etwa der polnische Priester in der Pfarre nicht gut Deutsch kann, hätte man vielleicht doch lieber "einen eigenen"... Die Offenheit den Einwanderern und Migranten gegenüber ist in "christlichen Ländern" nicht immer beispielgebend, wenn doch die Geschwisterlichkeit vom gemeinsamen Glauben her oder überhaupt die Berufung zu Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit die Christen zum Öffnen aller Türen und Tore bis hin zu zivilem Ungehorsam verpflichten könnten.
"Ad gentes", die "Mission" von gestern, liest sich heute als die Offenheit für den anderen. Vorbei sind die Zeiten, in denen die anderen jenseits gefährlicher Ozeane und Wüsten daheim waren und nur die Helden mit ihnen in Berührung kamen. Wir leben inzwischen in einer kleinen Welt. Wenn unser Glaube katholisch sein will, sind diese "gentes", die in allen Formen und Medien bei uns gegenwärtig sind, eine hervorragende Gelegenheit für die Gemeinden, den eigenen Horizont zu erweitern und das Leben zu erneuern. Die Frage wird sein, ob sich das Schlagwort von der "Kirche - dein Leben ist Mission" verwirklichen lässt. Die Alternative wären vielleicht die Wächter vor dem leeren Grab, die uns die Osterfeier wieder einmal vor Augen stellt.
Dieser Beitrag ist entnommen aus der Zeitschrift "DIE ANREGUNG" Ausgabe 2/2004