01. Mai 2007
Wir beten, dass alle Christen nach dem Vorbild der Jungfrau Maria die Zeichen des Herrn im eigenen Leben erkennen und sich durch Gottes Wort führen lassen.
Der Gott der Bibel gibt sich als der "Ich-bin-da" zu erkennen. Er lässt sich finden in seiner Schöpfung, in ihrem Leben und in seiner Geschichte mit ihr. In ihr zeigt er auf der Ebene geheimnisvoller Zeichen, verdeckter Bilder und vor allem leiser und oft auch brausender Worte etwas von seinem Wesen und Wollen. Dieser Prozess aber gelingt nur, wenn er auf Geschöpfe trifft, die sich für diese Wirklichkeit sensibilisieren, die sich für sie aufschließen und öffnen lassen. Der Gott der Bibel lädt vor allem die Menschen ein, sich auf diesen Weg zu begeben und ihr Leben als Entdeckungsereignis für ihn und seine Lebenssicht zu begreifen. Einfacher gesagt, er möchte die Menschen zu umfassenden Hörerinnen und Hörern seines Lebenswortes machen. Die Bibel erzählt in vielen Geschichten, wie oft die Menschen diese Einladung überhören, sie ins Leere laufen lassen und sich dadurch entscheidende Chancen für ihr Lebensglück verbauen. Aber sie kennt auch viele Geschichten von Menschen, die in oft langen und schwierigen Lernphasen zu wirklich umfassend hörenden Menschen werden und damit ihrem Lebensglück und dem anderer dienen.
In die Reihe dieser Hörlerngeschichten (Geschichten zum Hören und Lernen) gehört das, was das Neue Testament über Maria berichtet. Die Hörlerngeschichte Marias überbietet gewissermaßen alle anderen Hörlerngeschichten. Da Maria sich durch die Botschaft des Engels als die "Begnadete" erkennt und zu erkennen gibt, erweist sie sich auch als fundamentale Hörerin des Wortes, das an sie ergeht. Sie ist ganz Ohr für das, was auf sie zukommt, sie lässt sich von ihm erreichen und treffen. Sie weicht vor ihm nicht aus, flüchtet nicht, delegiert nicht, sie stellt sich und hält stand. Im Hören hält sie ihr ganzes Leben dem Ruf hin, der sie erreicht. In dieser hörenden Offenheit entbirgt sich ihr der Weg, den ihr Gott zumutet und mit dem er sie beschenkt. Sie kann im Hörprozess diesen Weg bejahen und so Mutter des Herrn werden. Im Hören entschlüsselt und entfaltet sie, was sie von der Mitte ihrer Existenz ist und so kann sie den in sich zulassen und zur Welt bringen, der alles, was lebt, auf die glückende Spur treibt.
Maria ermöglicht mit ihrer glückenden Hörgeschichte von der menschlichen Seite her das "Jesusereignis". Das aber zeigt Jesus, den Gesalbten, den Messias und Menschensohn, der gerade im Hören den Gipfel seines Seins und Wirkens besteigt und da vernimmt, was Gott, der "Ich-bin-da", von ihm erwartet und was er ihn leben heißt. Im Hören wächst Jesus in seinem Lebensvollzug Schritt für Schritt in den Gehorsam hinein, der seinen Willen ganz zur Hohlform für das Handeln Gottes werden lässt und somit zeigt, was zur Grundhaltung und Grundausstattung des neuen Menschen, der in ihm in der menschlichen Geschichte auftritt, gehört. Hans-Joachim Höhn schreibt einmal: "Das Ohr vermag nur zu nehmen, nicht zu geben. Darum steht das Hören in besonderer Beziehung zu allem, was den Menschen zwar angeht, aber von ihm selbst nicht bewerkstelligt werden kann. Das gilt für die Existenz des Menschen allgemein, aber auch für die Rehabilitation des Menschen im Modus des Freisprechens schuldig gewordener Freiheit."
Die Marianische Hörlerngeschichte, die von der menschlichen Seite her, das "Jesusereignis" ermöglichte, kann auch unser neues Menschsein im Sinne Jesu auf den Weg bringen und in eine neue Dimension des Lebens führen. Wir dürfen den rufenden Gott hören. Das heißt: wir dürfen uns ihm nicht verweigern, ihm nicht ausweichen, ihn nicht ausgrenzen, sondern uns ihm umfassend stellen und ihm antworten mit unserem ganzen Leben. Da aber der rufende Gott, seit dem "Jesusereignis" wissen wir es deutlich, nicht mehr ohne die uns anfordernden, anrufenden und ansprechenden Menschen zu hören und zu "haben" ist, gilt eben, dass wir lernen müssen, auch auf sie zu hören. Ihre Hoffnungen, ihre Sehnsüchte, ihre Freuden, aber auch ihre Leiden, ihre Nöte und ihre menschlichen Defizite überhaupt müssen in uns eingehen und durch unsere mitlebende Solidarität mitgetragen werden. Wenn wir in diesem Sinne hören, werden wir zu Menschen, die das Hoffnungspotential für das Gelingen des Lebens stärken und es selbst vorantreiben. Da wir damit oft überfordert sind, gilt es, auch dafür zu beten.
Franz-Josef Janicki SVD, Kommentar zur Allgemeinen Gebetsmeinung Mai 2007 aus der Zeitschrift "Die Anregung", Ausgabe 3/2007, Steyler Verlag, Nettetal