01. Jun 2007
Wir beten, dass der Herr die Seeleute und alle, die in der Seefahrt mitarbeiten, beschütze und segne.
Der emeritierte Münsteraner Kirchenhistoriker Arnold Angenendt schreibt in seinem neuesten Buch "Toleranz und Gewalt": "Die Primärform von Religion bedeutet, wie der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann sagt ,Weltbeheimatung', nämlich Eingebettetsein in den Kosmos und dessen ewige Gesetzlichkeit: Morgen und Abend - Tag und Nacht - Sommer und Winter. Der Mensch existiert ganz in und mit der Welt und ihrer Rhythmik. Gleichzeitig erfahren die Menschen ein oft genug grausames Geschick, indem ihnen die Kosmosmächte gnadenlos mitspielen. Wie einerseits eine eherne Gesetzlichkeit vorherrscht, so wütet andererseits blinde Willkür: Donner und Blitz, Unglück und Tod, Krankheit und Seuchen. Folglich muss es sowohl Ordnungsmächte und Willkürmächte geben, die miteinander im Streit liegen". Von alters her waren vielleicht die Seeleute, wenn sie so auch nicht dachten, gerade dieser Grunderfahrung in besonderer Weise ausgesetzt. Im Vertrauen auf die gleichbleibenden, geradezu ehernen Naturgesetze, deren Kenntnis ihnen in einer eigenen Nautik zur Verfügung stand und nach der sie sich richteten, wagten sie die oft sehr langen Fahrten über die Meere. Gleichzeitig wussten sie aber auch um die Unberechenbarkeiten, Unstetigkeiten und Unsicherheiten der Elemente, denen sie ausgeliefert waren, und um ihre plötzlich auftretende aggressive, kriegerische und sie oft vernichtende und in den Abgrund des Todes ziehende Kraft. Um sich diese Willkürmächte gnädig zu stimmen, ihnen zu trotzen und sie vielleicht überwinden zu können, setzten sie auf die Ordnungsmächte, die ihnen in ihren Göttern gegenwärtig waren. Im feiernden Kult, in reichen Opfern und in intensiven Gebeten suchten sie sich ihren Schutz zu sichern.
Der jüdisch-christliche Glaube überwand zwar mit seinem Eingottglauben die heidnische Götterwelt, aber die oben geschilderte menschliche Grunderfahrung blieb weiter bestehen und bestimmt bis heute vielfach das religiöse Bewusstsein der durch die übermächtigen, zerstörerischen Naturgewalten gefährdeten Menschen, wie in unserem Fall der Seeleute und deren Angehöriger. Mit dem Heraufziehen dieses Glaubens vor allem in seiner christlichen Ausprägung brauchten die gefährdeten Menschen sich nicht durch Opfer, Kulte und beschwörende Gebete die Götterwelt als Herrin über die Willkürmächte gnädig zu stimmen. Gott, als Liebhaber des Lebens, wie er sich im Jesusereignis zeigt und erfahren lässt, setzt sich von seinem Wesen her mit aller Macht für das Gelingen des Lebens, vor allem für das Gelingen des menschlichen Lebens ein. Darauf dürfen die gefährdeten Menschen in allen schweren Situationen ihres Lebens hoffen, selbst da, wo ihr Leben in seiner bisherigen Realisation unter der Macht der zerstörerischen Willkürmächte der Natur und eventuell unter dem Defizit ihres eigenen Versagens verlorengeht. Wenn hier gläubige Menschen füreinander beten, dann möchten sie das Gelingen des Lebens in all seinen Möglichkeiten herbeiwünschen. Christliches Beten füreinander in kritischen Situationen heißt dann immer, sich mit Gott, dem Liebhaber des Lebens, und den Weisen, in denen er das Gelingen des Lebens durchsetzt und durchsetzen wird, zu identifizieren. So findet eben auch die Fürbitte für die oft schwierige Situation der Seeleute und aller, die mit ihnen verbunden sind, auch heute einen Sinn.
Die prekäre Situation der Seeleute ergibt sich aber nicht nur aus der Gefährlichkeit, Unberechenbarkeit und Willkürlichkeit der Elemente, denen sie ausgesetzt sind. Wenn Seeleute zum Beispiel oft Wochen und Monate auf See sind, können leicht, trotz der modernen Kommunikationsmittel, die gewohnten partnerschaftlichen Beziehungen und familiären Bindungen in Gefahr geraten oder auf der Strecke bleiben. Das verschärft ihre Situation. Sie wird noch verstärkt durch die konkreten Arbeits-, Unterbringungs- und Kommunikationsbedingungen auf den Schiffen, die das persönliche Leben sehr belasten können. Die meisten Seeleute arbeiten ja nicht auf Luxuslinern. Hinzu kommen noch der immense Konkurrenzdruck im Containergeschäft, die teuren Liegezeiten in den Häfen, und daher der immense Druck der Reedereien auf eine möglichst schnelle und reibungslose Abwicklung der Arbeitsvorgänge und der gesamten Fahrten. Das bringt oft die Seeleute an den Rand ihrer physischen Leistungskraft und ihrer psychischen Ressourcen. Auch die Gefahr inhumaner Verhaltensweisen und ungesetzlicher Praktiken ist gegeben, die die Vernichtung von Arbeitsplätzen, das Scheitern von Karrieren und Schicksalen, von ganzen Familien und sogar Firmen zeitigen können.
Das alles sind zusätzliche Gründe, für die Seeleute und alle, die in der Seefahrt mitarbeiten, in besonderer Weise zu beten.
Franz-Josef Janicki SVD, Kommentar zur Allgemeinen Gebetsmeinung Juni 2007 aus der Zeitschrift "Die Anregung", Ausgabe 3/2007, Steyler Verlag, Nettetal