Allgemeine Gebetsmeinung - Juli 2007

01. Jul 2007

Wir beten, dass alle Bürger am öffentlichen Leben aktiv und gestaltend teilnehmen können.

Die Erklärung der Menschenrechte

Der Zweite Weltkrieg mit seinem unbeschreiblichen Elend war vorüber. Die Nazi-Diktatur war zusammengebrochen. In dieser Situation der Stunde Null war die Welt reif für eine neue Ordnung. Die Vereinten Nationen wurden gegründet als Vertretung der globalen Völkergemeinschaft. Diese sollte auf die Beachtung der Menschenrechte gebaut werden. Nie mehr sollten die Menschenrechte so mit Füßen getreten werden wie in den Diktaturen, die man gerade besiegt hatte. Und so kam es zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948. Artikel 21 dieser Erklärung lautet:

  • Jeder hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken.
  • Jeder hat das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern in seinem Lande.

Die Teilnahme am öffentlichen Leben gehört also zu den grundlegenden Menschenrechten. Sie schließt das aktive und passive Wahlrecht ein.


Frauen durften nicht zur Wahlurne

Doch auch heute, fast 60 Jahre nach der feierlichen Erklärung der Menschenrechte, können die Bürger noch nicht überall am öffentlichen Leben teilnehmen. Dazu muss man bedenken, dass das Recht aller Bürger auf Teilnahme am öffentlichen Leben auch in Staaten, die stolz auf ihre Demokratie sind, lange nicht selbstverständlich war. In der ältesten Demokratie überhaupt, in Griechenland, waren die Sklaven selbstverständlich von der politischen Betätigung ausgeschlossen. Auch noch im Preußen des 19. Jahrhunderts, wo ein Parlament existierte, war das aktive und passive Wahlrecht natürlich den Besitzbürgern vorbehalten. Eine andere Gruppe, die lange ausgeschlossen war, waren die Frauen. In einer modernen Demokratie wie der Schweiz durften Frauen lange Zeit nicht zur Wahlurne gehen, geschweige denn sich wählen lassen. Als weitere Gruppe schließlich kann man Minderheiten wie z.B. die Juden nennen. Sie waren durch viele Jahrhunderte Bürger zweiter Klasse, die nicht nur von politischen Ämtern, sondern auch von den meisten Berufen ausgeschlossen waren. Nicht viel besser erging und ergeht es den Christen in zahlreichen Staaten. Wer noch die Zeit des Nationalsozialismus erlebt hat, weiß, dass aktive Christen keine Aufstiegschancen hatten. Genauso in der kommunistischen DDR und allen anderen Staaten des Ostblocks. Man konnte als bekennender Christ nicht einmal Lehrer werden, ja kaum noch studieren, geschweige denn am öffentlichen Leben aktiv und gestaltend teilnehmen.


Minderheiten werden ausgeschlossen

Im Bereich der Europäischen Union gibt es da heute - Gott sei Dank - wohl wenig Beanstandungen, aber in kommunistischen Ländern wie China und Vietnam ist es in dieser Hinsicht nicht besser als im ehemaligen Ostblock. Dazu kommen immer mehr die islamischen Staaten, wo Christen, wie z.B. in Saudi Arabien, massiv an der freien Ausübung ihrer Religion gehindert werden.

In vielen Staaten werden Minderheiten von der vollen Teilnahme am öffentlichen Leben ausgeschlossen: in der Türkei die Kurden, im Sudan die Schwarzafrikaner, in Lateinamerika die Indios, obwohl sie in nicht wenigen Staaten sogar die Mehrheit bilden.

In den letzten Jahren hat es die indigene Bevölkerung Boliviens fertiggebracht, den Diktator zu stürzen und zum ersten Mal einen Vertreter der indigenen Bevölkerung auf den Präsidentensessel zu wählen.

Die katholische Kirche hat ihre Mitglieder im Zweiten Vatikanischen Konzil aufgerufen, sich stärker an der Gestaltung des öffentlichen Lebens zu beteiligen. In der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes" wird gesagt, der Wille Gottes erstrecke sich nicht nur auf die religiösen Aufgaben im engeren Sinn, sondern auch auf die Weltgestaltung. Diese sei Aufgabe der Laien. In einer solchen Frage werden vielleicht verschiedene Christen legitimerweise zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Dann soll keiner die Autorität des Evangeliums und der Kirche ausschließlich für seine eigene Lösung in Anspruch nehmen (GS.43). Es gibt eben nicht die christliche Politik.

 

Karl Neumann SVD, Kommentar zur Allgemeinen Gebetsmeinung Juli 2007 aus der Zeitschrift "Die Anregung", Ausgabe 4/2007, Steyler Verlag, Nettetal

ndk