01. Aug 2007
Wir beten für alle Menschen in persönlichen Schwierigkeiten und seelischer Notlage, dass Christus sie stärkt und in seinem Licht ihnen den Weg zum wahren Glück aufzeigt.
Wenn ich das Gleichnis Jesu vom barmherzigen Samariter höre, denke ich immer: Das ist ja sehr schön, aber ich habe noch keinen Menschen, der unter die Räuber gefallen war, halbtot am Straßenrand liegen sehen. Und wenn jemand heute einen so liegen sähe, würde er eher den Notarzt rufen als selbst zu helfen. Wo gibt es in unserem Sozialstaat, wo man im allgemeinen keine krasse soziale Not mehr sieht, noch die Notlagen, die uns zur direkten und spontanen Hilfe herausfordern?
Die Not liegt nicht mehr auf der Straße
Gewiss, die Not ist heute verborgener als früher, aber sie ist da. Es ist oft eher eine innere Not als eine äußere. Es sind persönliche Schwierigkeiten und seelische Notlagen, die sich oft bei Menschen finden, die äußerlich alles haben. Dass seelische Krankheiten und Störungen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen haben, ist durch zahlreiche Untersuchungen wissenschaftlich belegt.
Woher kommt das? Ich würde es nicht zu schnell und einfach mit dem wachsenden Schwund des Glaubens erklären (immerhin gibt es Depressionen und andere seelische Störungen auch bei Priestern und Ordensleuten nicht gerade selten). Aber wenn man das zugibt und nicht vorschnell über einen Einzelfall urteilt, kann man auf der anderen Seite doch sagen: Ein gesunder Glaube trägt gewiss zur seelischen Stabilität bei. Mit seinem christlichen Glauben kommt man über vieles hinweg, worüber man sonst nicht hinwegkäme. Gott ist die Planke, an der man sich festhalten kann, wenn man Schiffbruch erleidet. Er hält auch dann noch, wenn alle anderen Planken längst weggeschwommen sind. Christus ist das Licht, an dem man sich orientieren kann, um den Weg zum Glück zu finden.
Angst und Verlassenheit Jesu
Die alten Kirchenväter haben das Wort geprägt: "Was nicht (von Christus) angenommen ist, das ist auch nicht erlöst." Jesus hat jedes Leid und den Tod angenommen, um jedes noch so schwere Leid und jeden noch so schrecklichen Tod zu erlösen.
Auch das seelische Leid. Es gibt keine "persönliche Schwierigkeit" und keine "seelische Notlage", die Jesus nicht auf sich genommen hätte. Zum Beispiel im Garten Getsemani. Der Jesus, der niemals Schwäche und Angst zeigt, wird hier plötzlich von Angst und Furcht ergriffen. Er, der stets seine Jünger stärkt, scheint hier darum zu betteln, dass jemand bei ihm bleibt in seiner Angst. Lukas redet sogar davon, dass sein Schweiß blutig war (Lk 22,44).
Und dann die Verlassenheit am Kreuz. Der Ausruf "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen" ist gewiss ein Zitat (der Beginn von Ps 22), aber er wird wohl auch die seelische Not Jesu am Kreuz wiedergegeben haben. Im ältesten Evangelium heißt es: "Jesus aber schrie laut auf. Dann hauchte er den Geist aus" (Mk 15,37).
All diese seelischen Qualen hat Jesus angenommen und damit auch erlöst (nach dem Wort der Kirchenväter). So ist er allen Menschen ein Bruder geworden, auch den allerärmsten. "Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40).
Keiner braucht sich mehr in seiner seelischen Not allein zu fühlen. Er kann auf Jesus schauen, der uns auch hier vorangegangen ist. In seinem Licht kann er den Weg zum wahren Glück finden - einem Glück vielleicht mitten in allen Problemen.
Karl Neumann SVD, Kommentar zur Allgemeinen Gebetsmeinung August 2007 aus der Zeitschrift "Die Anregung", Ausgabe 4/2007, Steyler Verlag, Nettetal