Oktober 2011
Für die unheilbar Kranken, dass ihr Glaube an Gott und die Liebe ihrer Schwestern und Brüder ihnen Hilfe sei.
Wenn der Arzt einem Patienten eröffnet, dass er Krebs im letzten Stadium habe und nach menschlichem Ermessen keine Heilung mehr möglich sei, dann bricht für den Betroffenen oft eine Welt zusammen. Unheilbar krank: Diese Diagnose ist für den Kranken wie ein Todesurteil. Sodass der Arzt sich fragt: Kann der Patient diese Diagnose überhaupt ertragen, oder ist es besser, sie ihm erst nach und nach in vorsichtigen Dosierungen nahe zu bringen?
Und wenn der Patient dann realisiert, dass er unheilbar krank ist, wie wird er das aufnehmen? Wird er es annehmen – oder wird er es zu verdrängen suchen? Ich kenne einen sehr religiösen Mann, der unheilbar erkrankt war. Doch er betete nicht etwa den Rosenkranz, sondern hatte den ganzen Tag das Fernsehen laufen. Selbst wenn man ihn besuchte, lief es weiter. Und man kann es verstehen, dass er in seiner schweren Situation Ablenkung brauchte und nicht den ganzen Tag an seine Krankheit denken wollte.
Fingerspitzengefühl beim Krankenbesuch
Auch wer einen unheilbar Kranken besucht, weiß oft nicht, ob er im Gespräch auf das Schicksal des Schwerkranken eingehen soll oder nicht. Vielleicht möchte der Kranke abgelenkt werden und nichts von seiner Krankheit hören und reden, sondern die Neuigkeiten des Tages erfahren. Vielleicht sucht er aber auch gerade umgekehrt einen Menschen, mit dem er über seine Gefühle, seine Schmerzen, seine Angst vor dem Sterben reden kann. Hier braucht es viel Fingerspitzengefühl, um als Besucher keine Fehler zu machen. Wie es einem Freund von mir passierte, der einen Bekannten, welcher Krebs hatte, zufällig beim Spaziergang traf. Sie waren keine engen Bekannten, und so sagte der Freund nach einem kurzen Gespräch: „Ich wünsche Ihnen gute Besserung!“ Wie erschrak er, als der andere antwortete: „Unsinn! In vierzehn Tagen bin ich eine Leiche!“ Und so kam es auch.
„Unsere Tage zu zählen lehre uns!“
Doch für den unheilbar Kranken kann die wenige Zeit, die ihm noch verbleibt, auch eine wertvolle Chance sein. „Unsere Tage zu zählen lehre uns, dann gewinnen wir ein weises Herz“ heißt es in einem Psalm. Die Tage des unheilbar Kranken sind in Wahrheit gezählt. Aber wenn er das annimmt und die Zeit, die ihm noch bleibt, ausnutzt, wenn er sich bemüht, wenigstens in seiner letzten Zeit so zu leben, wie er eigentlich leben wollte, dann kann diese Zeit eine heilsame Zeit für ihn sein. So wie der Druck des nahenden Examens in einem Studenten Kräfte freisetzt, die er vorher nicht hatte, so kann auch der Druck des nahen Endes in einem, der dieses Ende nicht verdrängt, seelische Kräfte freisetzen, obwohl die physischen Kräfte schwinden. Er kann die wenige Zeit dazu gebrauchen, eine lange aufgeschobene Versöhnung endlich zu vollziehen, sei es die Versöhnung mit einem Menschen oder mit Gott – oder auch die Versöhnung mit seinem eigenen Leben und mit seinem bevorstehenden Tod. Eine unheilbar Kranke schreibt in ihr Tagebuch: "Ich hoffte, die Zeit, die mir noch blieb, möge lang genug sein, um eine bleibende Veränderung in mir zu bewirken. Nie mehr wollte ich in den alten Trott zurückfallen. Ich war an meinem Kern angelangt“.
Was, was uns trägt – im Leben und im Sterben
Wenn man sich mit dem Tod versöhnt, wenn man an seinem Kern angelangt ist, dann kann man das nicht ohne Glauben tun. Die ehrliche Konfrontation mit dem Tod bringt wie kaum eine andere Erfahrung den Glauben ins Spiel. Und bei der ehrlichen Suche nach dem, was im Tod und über den Tod hinaus uns noch trägt, begegnet wir dem Einzigen, der uns auch dann noch tragen kann. So beten wir in der Gebetsmeinung „für die unheilbar Kranken, dass „ihr Glaube an Gott … ihnen Hilfe sei“.
Und neben dem Glauben ist es „die Liebe ihrer Schwestern und Brüder“, die den unheilbar Kranken eine Hilfe ist. Besonders wenn sie dem Kranken gute und kundige Wegbegleiter sind auf seinem letzten Weg.