Gebetsmeinung des Papstes im Juli

Juli 2022

Wir beten für die älteren Menschen: dass ihre Erfahrung und Weisheit der Jugend hilft, mit Hoffnung und Verantwortung in die Zukunft zu schauen.

Würden wir Menschen, die älter als 60 Jahre sind, befragen, wie sie die Welt wahrnehmen, dann wäre vermutlich eine der Antworten, dass die Welt Kopf steht, und sich alles radikal verändert hat. Und ja, es stimmt. Irgendwie ist alles sehr anders als früher. Nicht wenige alte Menschen können die “heutige Welt” mit der, die sie als Kind kennengelernt haben, nicht vergleichen, weil so vieles so fremd geworden ist.

So vieles ist heute anders als früher: Der Umgang miteinander, die Rolle von Männern und Frauen, die Verteilung von Macht, die gesellschaftlichen Themen, der Umgang mit Sexualität, die Erziehung von Kindern, Sprache und Umgangston, der Umgang mit Gewalt, der Umgang mit der Natur und die Umweltfrage, neue Formen der Mitbestimmung, der Prozess der Demokratisierung, der Verlust von Autorität, der Abbau von Hierarchien, die Begegnung mit anderen Kulturen, die Mode, die viele Technik und die Gesellschaft als Ganzes hat einen tiefgreifenden Wandel durchgemacht.

Diese Veränderungen wurden von denen, die heute zur Gruppe der älteren Menschen zählen, mitgestaltet, erstrebt, kritisiert, bekämpft, hingenommen, erlitten, gegen Widerstände durchgesetzt, aktiv oder passiv erlebt.

Diese Gruppe stellt unser Papst in die Mitte der Gebetsmeinung als Ansprechpartner und Berater für die jungen Menschen und den speziellen Herausforderungen, die gerade die jungen Menschen beschäftigen. Denn egal ob die älteren Menschen Handys bedienen können oder “altmodische” Vorstellungen über die Rolle von Männern und Frauen haben – die grundlegenden Fragen sind in jeder Generation dieselben, und diesbezüglich können Ältere den Jüngeren mit ihrer Lebenserfahrung, mit ihren Erfahrungen von Fehlern und Scheitern, mit ihren Erkenntnissen und Weisheiten helfend und beratend zur Seite stehen. Gerade sie können vergleichen: Wie haben wir früher Probleme gelöst, wie lösen wir sie heute? Was hat sich bewährt, was haben wir (aus Fehlern) gelernt?

Eigentlich ist das, was unsere älteren Menschen an Lebenserfahrung haben, ein richtiger Schatz. Gut, dass unser Papst uns daran erinnert, dass es diesen Schatz gibt. Aktuelle Studien und Befragungen zeigen, dass gerade die jungen Menschen unter Zukunftsangst und Orientierungslosigkeit leiden. Wie wird die Zukunft aussehen? Was kann ich tun? Welchen Beruf soll ich ergreifen? Wie gehe ich mit Liebeskummer um? Wie gehe ich mit Konflikten und herausfordernden Situationen um? Was mache ich, wenn ich scheitere? Zu welchem Menschen entwickle ich mich? Wie kriege ich Familie und Beruf unter einen Hut?

Auch die Gruppe der Älteren war einmal jung, auch sie standen vor einer ungewissen Zukunft. Sie sind Zeugen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Sie standen in einem vom Krieg zerrütteten Europa, und wissen, was es heißt, etwas aufzubauen. Sie wissen, was es heißt, einer ungewissen Zukunft entgegenzublicken und Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Viele haben gearbeitet, mit dem Ziel, dass es ihren Kindern einmal besser ergeht. Sie haben erlebt, wie zum Beispiel die Rolle der Frau sich komplett verändert hat, Tabuthemen abgeschafft wurden. Oder sie haben Zuwanderer willkommen geheißen, und sich auf damals fremde Lebensmittel wie Pizza oder Döner eingelassen.

Unsere Großeltern und ältere Menschen haben die Krisen, die die jungen Menschen zu bewältigen haben, selber durchlebt. Sie hatten dieselben Fragen. Die entscheidenden Fragen sind bis heute im Grunde in ihrem Kern ähnlich. Beten wir also darum, dass die jungen Menschen erkennen, dass und wie sie von der Erfahrung der Älteren profitieren. Beten wir darum, dass die Weisheit und Lebenserfahrung der älteren Menschen nicht ungenutzt bleibt, dass sie den jungen Menschen helfen, Verantwortung zu übernehmen und hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen.

Simone Nefiodow, Dipl.-Theologin