Hl. Stephanus (F)

Predigtimpuls

Wer sich einsetzt, setzt sich aus!

Lesung: Apg 6,8-10; 7,54-60
Evangelium: Mt. 10,17-22

 

Mut zum Risiko

Risikofreundlichkeit ist eine Eigenschaft, die nicht auf alle Menschen zutrifft. Dafür sind jene Kräfte des Menschen zu stark, die sich dem Risiko widersetzen. Wer sich für etwas Neues in einer Gruppe einsetzt, setzt sich erfahrungsgemäß mancherlei Angriffen aus: Neid, Anfeindung, Fragen, Kritik, Missverständnisse und Borniertheit im Bestehenden widersetzen sich dem Mutigen. Wer dennoch etwas Neues wagt, macht sich oft Feinde, hat Ärger, weil er für manche, die nur noch auf ihre Pension warten, Unruhe stiftet. Weil alles Bestehende ein Vorrecht vor dem Anderen, dem Neuen hat, weil man weiß: ‘Wer sich einsetzt, der setzt sich aus’ bleibt man lieber im üblichen Rahmen seiner Lebensgewohnheiten, auf dem Boden bekannter Tatsachen, der sich gerne als Boden der Wirklichkeit ausgibt. Manche fürchten auch, ‘zurückgesetzt’ oder sogar ‘abgesetzt’ zu werden. Die vielen Märtyrer der Kirche mussten erfahren: Wer sich einsetzt, setzt sich aus! Der Einsatz in schwieriger Zeit kann das Leben kosten, aber er schenkt auch Leben. Das Schicksal Jesu weist die Wahrheit dieses Gesetzes auf – und die vielen großen Märtyrer leben noch in unserem Gedächtnis bis heute. Denken wir an Martin Luther King, an Bischof Romero, an Pater Kolbe und an Edith Stein – und heute an den ersten Märtyrer Stephanus. Sie alle gingen nicht den Weg des berechnenden Kalkulierens, sondern den Weg des offenen und ganzen Risikos. Der macht reich. Das ist der Weg des Glaubens, den Gott von uns erwartet.

 

Stephanus und seine ‘Geschwister’

Der Märtyrer Stephanus hatte seinerseits keine Angst vor dem Risiko. „Er tat voll Gnade und Kraft Wunder und große Zeichen unter dem Volk ... Sie – seine Feinde – konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem er sprach, nicht widerstehen. „Dadurch wurde er den führenden Kreisen unangenehm. Er musste weg von der Bühne, musste ‘abgesetzt’ werden, ja, er musste verschwinden – und zwar für immer. Die anderen wollten ruhiger leben. Und noch nie sind so viele Menschen um ihres Glaubens willen umgebracht worden, wie im letzten Jahrhundert. Mit dem christlichen Glauben, der so tapfere Menschen hervorbrachte, die sich einsetzten für Recht und Gesetz, für die Armen, die zu kurz Gekommenen, hat sich auch eine Verfolgung über die Kontinente ausgebreitet: Der Freimut der Märtyrer des Gewissens in der Nazizeit, der Freimut von Menschenrechtlern in östlichen und westlichen Zuchthäusern, der Freimut von Laien und Priestern, Ordensleuten und Bischöfen angesichts des brutalen Unrechts in der ‘Dritten Welt’ ist nicht zu begreifen ohne die Innenseite der Freiheit, in der sich all diese Menschen von Gott angenommen und ins Recht gesetzt wissen. Christliche Freiheit, Mut in der Nachfolge, leben nicht im Papier, nicht in Verlautbarungen oder Absichtserklärungen, nicht in Appellen oder Vertröstungen. Sie leben hier und jetzt, wo Menschen sich vom Geist Jesu bewegen lassen. Dazu sind wir alle eingeladen. Wussten Sie eigentlich schon, dass in Lateinamerika innerhalb weniger Jahre über 6oo Journalisten ihr Leben verloren, weil sie sich mutig einsetzten für Gerechtigkeit. Damit waren sie täglich dem
gewaltsamen Tod ausgesetzt. Das ist bis heute so. Wir wissen auch, wie viele Menschen ob ihres Zeugnisses das gestrige Weihnachtsfest hinter Gittern verbringen mussten!

 

„Sie konnten seiner Weisheit und seinem Geist nicht widerstehen“ (Lesung)

Und diese Weisheit und dieser Geist brauchen keine Lautstärke und kein Getöse. Dennoch heißt es: „Sie hielten sich die Ohren zu, knirschten mit den Zähnen, erhoben ein lautes Geschrei, stürmten gemeinsam auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus.“ Hier gibt es keine Argumente, hier herrscht rohe Gewalt mit Lautstärke, die alles Denken und Besinnen fast unmöglich macht. Immer wieder wurden in den vergangenen Jahrhunderten zweifelhafte Parolen gesungen, geschrien, wurden Massen dadurch in Ekstase gebracht, Menschen zu Schachfiguren degradiert. Wer von den Älteren unter uns hätte nicht noch die letzten Reden eines Josef Göbbels im Ohr mit dem erschütternden Geschrei der Masse: „Wir wollen den totalen Krieg.“ Leider werden auch heute noch unliebsame Politiker einfach niedergeschrien – und selbst dabei bleibt es nicht. Die Weihnachtsbotschaft im Buch der Weisheit lautet: „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da stieg dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Himmel herab.“ (Weis 18,1,4 f.) Gott kommt im Schweigen zur Welt, in der Mitte der Nacht, wenn es ganz still ist. Ich wünsche mir, dass wir wenigstens in den Tagen nach Weihnachten etwas stiller werden. Wenn wir das nie schaffen, kann Gott unmöglich in uns zu Wort kommen bzw. bei uns landen, wie man heute zu sagen pflegt. Und dann gibt es eben keine Zeugen mehr und Propheten, die wir doch so nötig hätten als Wegweiser in den Wirrnissen von Ideologien und Meinungen. Ohne diese Ruhe im Herzen wäre Stephanus und seine ‘Geschwister’ nie zu Zeugen geworden, die mit ihrer Existenz und ihrem Schicksal als ‘Zweiter Christus’ für IHN und seine Botschaft einstanden.

 

Christliches Zeugnis heute

Das bedeutet, so leben, dass diese Lebenspraxis der auffällige Beleg unseres Glaubens ist. Gott wird nicht jeden von uns ‘vor Statthalter und Könige’ führen, um sich dort zu verantworten. Aber niemand von uns ist dispensiert davon, vor dem Heidentum des 21. Jahrhunderts Zeugnis abzulegen von der Hoffnung, die ihn trägt und begleitet. Da kann es geschehen, dass die Pflege eines alten Menschen ein hohes Maß an Selbsteinschränkung verlangt, dass dies einem Martyrium sehr nahe kommt. Da kann es sein, dass die uneingeschränkte Liebe zu den eigenen Kindern mir den Verzicht auf meine Berufsausbildung und -ausübung mit all ihren Konsequenzen abverlangt und ich mir überdies noch gefallen lassen muss, dass andere mich für verrückt erklären. Und da kann es geschehen, dass Freunde zu mir sagen: „Wie, du glaubst immer noch an den Krampf, den da die Kirche verbreitet, die selbst noch hinter der Zeit herhinkt?“ Doch auch von Spöttern dürfen wir uns nicht kopfscheu machen lassen; gerade ihnen gegenüber müssen wir stattdessen Liebe und Versöhnungsbereitschaft zeigen, die zum Christsein gehören. Jürgen Moltmann sagt: „Darüber müssen wir uns im Klaren sein: Wahrer Friede mit Gott bringt Unfrieden in diese gewalttätige Welt. Wahre Versöhnung mit Gott ruft Streit mit einer unversöhnlichen Gesellschaft hervor. Wer wirklich ein Kind des Vaters im Himmel ist – wer sich wirklich mit Jesus auf den Weg macht, wird zum Störenfried in einer Welt, die sich vielfach ohne Gott mit dem Gesetz des Stärkeren eingerichtet hat. Wer Jesu Weg mit den Schwachen einschlägt, dem geht an dieser Stelle die Nettigkeit verloren. Er ist niemanden Feind, aber er bekommt Feinde.“

Setzen wir uns weiterhin für Recht, Gerechtigkeit und Liebe ein. Viele werden es uns danken. Wenn wir fest auf den Herrn vertrauen, sind wir stark genug für die Solidarität mit den Menschen, die uns wirklich brauchen. Jesus hat die Seinigen damals ermuntert: „Wenn man euch vor Gericht stellt, macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt; denn es wird euch in jener Stunde eingegeben, was ihr sagen sollt. Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist des Vaters wird euch in jener Stunde eingeben, was ihr sagen sollt.“ Bleiben wir also auf den Spuren Jesu und seiner Zeugen!

 

P. Josef Schmitz SVD