Fest der Heiligen Familie (F)

Predigtimpuls

Die Familie – gemeinsam auf dem Weg in die Zukunft

1. Lesung: Sir 3,2-6.12-14 (3-7.14-17a)
2. Lesung: Kol 3,12-21
Evangelium: Mt 2,13-15.19-23

 

1. Menschwerdung – Stätte für Gottes Wirken.

Weihnachten mit seinem außergewöhnlichen Rahmen lässt uns leicht den Alltag in der Heiligen Familie mit seinen gewöhnlichen Aufgaben und Anforderungen übersehen. Nehmen wir die Menschwerdung Jesu ernst, so müssen wir bei ihm – wie bei jedem Menschen – annehmen, dass er sich wie ein normaler Säugling verhalten hat: er wird geschrien und geweint haben, wenn er Hunger hatte, wenn ihm etwas weh tat; er musste gestillt werden; auch er musste sauber gemacht werden; auch er musste das Laufen und Sprechen lernen. Nur andeutungsweise lassen die Evangelisten Matthäus und Lukas in ihren Berichten über die Kindheit Jesu einen „Hauch von Normalität“ verspüren. So betten sie das Leben Jesu in einen menschlichen, allzu menschlichen Stammbaum ein (Mt 1,1-17; Lk 3,23-38), der neben frommen Vorfahren, auch solche Namen enthält, die für Schuld und Verbrechen stehen und die sich nicht gerade durch Treue Gott gegenüber auszeichneten. Die Ahnenreihe Jesu ist nicht nur ein Ruhmesblatt.

Wenn wir Jesu Menschsein nicht verkürzen wollen, dann müssen wir auch seine Familie als menschliche Familie ernst nehmen, in der darum gerungen wurde, einander zu verstehen, einander anzunehmen und miteinander zu glauben. Es gab Spannungen, wenn wir an den Bericht über die Zweifel des hl. Josef denken (Mt 1,18-15). Es gab Situationen der Bedrängnis und Not, wo die Sorge um das Kind den hl. Josef in den Schlaf und in die Träume verfolgte, wie wir im heutigen Evangelium gehört haben. Immer wieder wird Aufbruch verlangt.

Es gab auch Konflikte in der Heiligen Familie, wenn wir uns an den Bericht über den zwölfjährigen Jesus im Tempel erinnern. Für Maria und Josef war es schmerzlich zu erfahren, Jesus gehört nicht ihnen. Als Jesus begann, seine eigenen Wege zu gehen, als er begann, selbständig zu werden, machten sie ihm heftige Vorwürfe: „Kind, wie konntest du uns das antun?“ (Lk 2,48). Für Eltern sind es oft schmerzliche Schritte, Kindern einen eigenen Lebensraum, einen eigenen Freiraum zuzugestehen, der so heilig ist wie der Tempel. Die Schritte ins eigene Leben waren auch für Jesus spannungsgeladen. Die eigene Menschwerdung, die Berufung zu einem eigenen Leben vor Gott musste auch er gegen den Anspruch der Eltern verteidigen: „Wusstest ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ Jesus fand seinen Platz, seine Sendung und Aufgabe im Blick auf Gott; er fand sich, seine Identität, sein Selbst im Angesicht Gottes. Ein Mensch kann sich selbst erst einsetzen, geben, hingeben, wenn er sich selbst gefunden hat. In einem Gebet des großen Philosophen und Theologen Nikolaus von Cues, dessen 600. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wurde, sagt Gott dem Beter: „Sis tu tuus, et ego ero tuus - Sei du dein, und ich werde dein sein!“ Und der Beter antwortet: „Herr, du hast es in meine Freiheit gelegt, dass ich mein sein kann, wenn ich es nur will. Gehöre ich darum nicht mir selbst, so gehörst auch du nicht mir.“ Der Rahmen des Alltäglichen ist die Hülle, der Raum, in dem sich die Heils- und Liebesgeschichte Gottes mit Menschen abspielt.

 

2. Die Familie – ein Raum des Aufbruchs.

Im Leben der Heiligen Familie vollzog sich ein Aufbruch aus alten Traditionen in das Neue der Wege Gottes. Hier wurde nicht die Wiederkehr der guten alten Zeit erwartet, sondern aus dem Wissen um die Unzulänglichkeit alles Gegebenen die Hoffnung auf Neues lebendig gehalten. In diesem Lernprozess stehen wir alle. Es ist doch so, dass nicht nur die Eltern die Kinder erziehen, sondern jedes Kind „erzieht“ auch die Eltern, fordert sie heraus, ihre gewohnten Denkbahnen zu verlassen und sich mit neuen, anderen Sichten und Möglichkeiten auseinander zu setzen. Für Eltern ist jedes Kind Aufbruch in ein neues Leben. Wir kennen die bohrenden Fragen der Drei- oder Vierjährigen: „Mutti, müssen sich auch die Engel die Zähne putzen?“ „Wie macht es eigentlich der liebe Gott, dass er von oben nicht herunterfällt?“ Oder welche Fragen tauchen nicht auf im Zusammenhang mit dem Kommunionunterricht: „Wie viele Christus sind in einem Kelch, wenn jedes heilige Brot ein Leib Christi ist?“ Beispiele, wie Kinder Erwachsene zu Stellungnahmen herausfordern.

Auch gibt es so etwas wie einen ganz normalen „Atheismus des Jugendlichen“, wo Zweifel aufkommen, wo vieles hinterfragt wird, wo sich Widerwillen gegen alles Religiöse breit macht. Zweifel sind gleichsam Hilferufe, dass der Glaube aus den Kinderschuhen herauswachsen möchte. Die Einsicht in die Begrenztheit aller unserer Aussagen über Gott ist nicht ein Zeichen von Unsicherheit, sondern weist darauf hin, dass die Wirklichkeit Gottes immer unendlich größer ist. Unser Glaube will ein Leben lang wachsen. Immer wieder gilt es liebgewordene Vorstellungen aufzugeben, und sich der Unbegreiflichkeit Gottes anzuvertrauen. Unser Glaube fordert immer wieder Aufbruch. Diese Haltung gilt es in der Familie einzuüben, denn hier wird gelernt, wie Menschen mit ihren Schwierigkeiten und mit ihren Möglichkeiten umgehen; wie sie sich zueinander verhalten; ob sie ihre Konflikte furchtbar oder fruchtbar miteinander austragen. Hierfür gibt uns die heutige Lesung keine Rezepte an, aber sie weist die Richtung: „Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe hält alles zusammen und macht alles vollkommen“ (Kol 3,14).

 

3. Wegweiser für den gemeinsamen Weg.

Aus dieser Grundregel zieht die Lesung praktische Folgerungen. Diese zeigen, worauf es ankommt. Menschen sollen einander das Leben nicht schwer machen, sie sollen sich nicht gegenseitig unterdrücken, sondern einander anerkennen und sich miteinander verbunden wissen in Gott als der Quelle, aus der jegliches Leben und jegliche Liebe ihre Kraft schöpfen. Als Grundlage für diese Ausführungen bleibt die Zusage: „Ihr seid von Gott geliebt!“ Hier wird auf das Fundament für unsere Liebesfähigkeit hingewiesen. Das ist die Voraussetzung unserer gläubigen Haltung Gott gegenüber und bedeutet: Bejahung, Angenommensein, Geborgenheit. Was wir alle suchen und ersehnen, was alle brauchen und erhoffen, was Leben erst lebenswert und sinnvoll macht, ist das Geliebt-werden von Gott. Diese Gewissheit, diese Zuversicht ist gleichsam der Weg, den wir zum Gehen brauchen. Gott steht zu einem jeden von uns. Gott will mit uns zu tun haben. Gott zeigt nicht nur Interesse, er hat nicht nur Interesse, er ist das „Inter-esse“. Der Name „Jahwe“, wie Gott sich selbst nennt, lässt sich auch mit „Inter-esse“, mit Dazwischen-sein, mit Dabeisein. übersetzen.

Dieses Interesse erfährt ein Kind zunächst in der Zuwendung der Eltern. „Ihr seid von Gott geliebt“ ist eine Aussage gegen jeden lähmenden Pessimismus. Gott will nicht ängstliche Kinder. Der Ort, diese Grunderfahrung zu machen und diese grundlegende Zusage „Ihr seid von Gott geliebt“ einzuüben, ist die Familie. Darum bringen Eltern ihr Kind zur Taufe und bezeugen so ihren Glauben und ihre eigene Lebenszuversicht. „Ihr seid von Gott geliebt!“ – diese Zusage ermutigt zum Leben, ja diese Zusage ermöglicht erst menschliches Leben in seinem vollsten Sinne. Und daran will uns auch das heutige Fest der Heiligen Familie erinnern: „Ihr seid von Gott geliebt!“

 

P. Dr. Werner Prawdzik SVD