Weihnachten - Geburt des Herrn / Am Tag (H)

Predigtimpuls

Jesus: Wort – Leben – Licht

1. Lesung: Jes 52,7-10
2. Lesung: Hebr 1,1-6
Evangelium: Joh 1,1-18

 

Geheimnis der Menschwerdung

So einfach ist das Weihnachtsgeheimnis, das Geheimnis der Menschwerdung Jesu, nicht zu vermitteln. Das merken wir schon bei den Weihnachtsgeschichten, die das Lukas- und das Matthäusevangelium so anschaulich erzählen. Das geht uns erst recht bei den sicher nicht leicht verständlichen Sätzen auf, mit denen das Johannesevangelium das Weihnachtsgeschehen umschreibt und deutet. Diese Sätze sind so dicht, so gefüllt und so kompakt, dass sie den Schatz, der in ihnen verborgen liegt, nicht so leicht preisgeben. Wer diese Sätze aber aufnimmt, durchdenkt, durchbetet und sie so in sich wirken lässt, wird mit tiefen Einsichten belohnt. Ich möchte Sie an diesem Festtag einladen, mit mir diesen Weg ein Stück weit zu gehen. Dabei lassen wir uns von drei eindrucksvollen Bildworten, die das Johannesevangelium gebraucht, leiten.

 

Jesus – das Wort

Das Johannesevangelium nennt Jesus, der in diese Welt kommt, das Wort Gottes. In ihm drückt Gott sich selbst aus und sagt, wie er zu uns, zu unserem Leben und zu unserer Welt überhaupt steht. Wir selbst, unser Leben und unsere Welt entspringen nicht einer namenlosen, fremden Macht, die alles in einer zufälligen Laune ins Dasein wirft und sich selbst überlässt. Nein, sie entstammen dem Schöpfungswort der göttlichen Liebe. Dieses Schöpfungswort der Liebe Gottes zieht sich von uns, unserem Leben und unserer Welt nicht zurück, sondern begleitet alles liebevoll in seine Zukunft hinein. Diese Begleitung entfaltet sich nicht von außen oder oben herab, gleichsam als jenseitige Führung. Nein, sie geschieht in der Existenzmitte von allem, was ist. Sie wird „Fleisch“ und schafft damit einen Identifikationsgrad, der alle Vorstellungen sprengt. Wir selbst, unser Leben und unsere Welt dürfen leben aus und mit einer fundamentalen Güte, die eine Hoffnung schenkt, die alle Todeserfahrungen überwindet und in eine Lebensfülle führt, die sie von sich aus nicht kennen. Die Fülle und die Qualität dieser Güte zeigen sich in der Geschichte Jesu, des fleischgewordenen Wortes, wie sie das Johannesevangelium weiter entwirft. Sie eröffnet das wahre Leben.

 

Jesus – das Leben

Deswegen bezeichnet das Johannesevangelium Jesus, der in die Welt kommt, als das Leben. In Jesus erscheint das wahre menschliche Leben. Sein Lebensentwurf und seine Lebensgeschichte weisen auf, was Leben wirklich ist und zeigen seine Möglichkeiten und Wirklichkeiten in seiner ganzen Fülle. Jesus entwirft sein ganzes Leben aus einer fundamentalen Nähe zu Gott, den er seinen Vater nennt, und vollzieht es in einer großen Offenheit für ihn. Darin ist er wirklich der Sohn Gottes. Weil er so sein Leben führt, gerät er auch in eine fundamentale Nähe zum Menschen, geht in sein Leben ein und bricht es in seinem Tod und seiner Auferstehung in eine ungeahnte Zukunft des Lebens auf. Wahres menschliches Leben ist seither ein Leben, das ganz offen ist für Gott, sich in ihm festmacht und von ihm die entscheidenden Impulse für sein Gelingen empfängt. Für Verzweiflung,
Mutlosigkeit und Hoffnungslosigkeit gibt es keinen Platz mehr. Die Lebensmacht Gottes überwindet sie und führt menschliches Leben in seine Fülle. Das mag abstrakt klingen, wird aber überraschend konkret in dem Wort, das der Schächer am Kreuz, nach einem verpfuschten und verkorksten Leben, hören darf: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ Wahres menschliches Leben ist seither auch offenes Leben für den Mitmenschen; Leben, das sich aus der Liebe speist. Damit endet die Nacht der Einsamkeit, der Vereinzelung und der Beziehungslosigkeit im Morgen einer neuen Geschwisterlichkeit der Menschen. Sehr schön veranschaulicht diese Tatsache folgende Begebenheit: „Ein Rabbi fragte einst seine Schüler, wie man die Stunde bestimmt, in der die Nacht endet und der Tag beginnt. ‚Ist es, wenn man von weitem einen Hund von einem Schaf unterscheiden kann?’ fragte einer seiner Schüler. ‚Nein’, sagte der Rabbi. ‚Ist es, wenn man von weitem einen Dattel-von einem Feigenbaum unterscheiden kann?’ fragte ein anderer. ‚Nein’, sagte der Rabbi. ‚Aber, wann ist es dann?’ riefen die Schüler. ‚Es ist dann, wenn du in das Gesicht irgendeines Menschen schaust und deine Schwester oder deinen Bruder siehst. Bis dahin ist die Nacht noch bei uns’, meinte der Rabbi.“ Jesus überwindet diese Nacht.

 

Jesus – das Licht

Deswegen nennt das Johannesevangelium Jesus, der in die Welt kommt, das wahre Licht, das die Finsternis des menschlichen Lebens erleuchtet. Licht erhellt. Licht erleuchtet. Licht strahlt. Licht spendet Wärme. In seinem Umkreis entfaltet sich Leben und wächst in seine Gestalt und Fülle hinein. In welcher Weise das geschieht, erzählt das Johannesevangelium vor allem in seinen „Zeichengeschichten“. Licht verleiht auch die Fähigkeit zu sehen. Im Lichte Jesu können die Menschen sich sehen, wie sie wirklich sind. Sie haben es nicht mehr nötig, ihre Abgründe, ihre Dunkelheiten, ihre Grauzonen und ihre Schatten zu verdrängen und aus ihrem Selbstbild wegzuretuschieren. Sie können zu ihnen stehen und sie annehmen. Im Lichte Jesu können sie auch ihr wahres Sein entdecken, ihre besseren Möglichkeiten, ihre Verheißungen, ihre Zukünfte, also das, was sie werden dürfen und können. Das Licht Jesu ermutigt sie dazu und eröffnet ihnen die Wege dahin. Die Weite eines nie endenden „ewigen“ Lebens tut sich ihnen auf. Das Licht Jesu stößt oft aber auch auf tragische Grenzen. Es ist offensichtlich so hell, strahlend und leuchtend und damit in der Finsternis der Welt so unglaublich, dass es nicht angenommen wird. „Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ Aber dahin sollen es die Menschen nicht kommen lassen.

 

Jesus: das Wort, das Leben, das Licht aufnehmen

Deswegen sollen sie die Botschaft des Johannesevangeliums, die das Weihnachtsereignis deutet, aufnehmen und daraus leben. Jesus ist das endgültige Wort Gottes für sie. Sie dürfen es immer wieder hören und von ihm her leben. Jesus ist das wahre Leben für sie. Sie dürfen sich darauf einlassen und von ihm her beleben lassen. Jesus ist das wahre Licht für sie. Sie dürfen es leuchten lassen in ihrem Leben und in die Welt hineintragen. So werden sie Töchter und Söhne Gottes: „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden.“ Wenn das geschieht, dann findet das Weihnachtsereignis sein Ziel.

 

P. Franz-Josef Janicki SVD