1. Adventssonntag (B)

Predigtimpuls

Erwartungsvoll aufgeschlossen

1. Lesung: Jes 63,16b-17.19b; 64,3-7
2. Lesung: 1 Kor 1,3-9
Evangelium: Mk 13,24-37

Es geht um Wachsamkeit

Das Ringen um Wachsamkeit kennen wir alle. Kürzlich sah ich eine Werbung mit schlafenden Studenten in einer Vorlesung. Ein eingeblendeter Aufputscher sollte sie wieder frisch machen, damit sie den Worten des Professors weiter folgen können. Wir kennen dies: Mit der Aufmerksamkeit stets dabei zu bleiben und konzentriert
zu sein, ist schwierig. Es kommt auch vor, dass manch einer eine Predigt nützt, seinen Gedanken nachzuhängen oder einfach ein kleines Nickerchen einzulegen.
Bei den heutigen Schrifttexten ist aber keinem mehr zum Schlafen zumute: Der Jesajatext erinnert an die Not des Gottes Volkes im babylonischen Exil – er ist
gekennzeichnet durch Klage und Sehnsucht nach dem Erscheinen und Offenbarwerden Gottes. Der Beter macht dabei die Erfahrung der Abwesenheit Gottes. Er hofft auf das Entgegenkommen Gottes, auf eine Begegnung mit ihm. Voller Erwartung blickt er diesem Ereignis entgegen. Der Beter ist hellwach, weil existentiell getroffen und angesprochen!

Im Evangelium hören wir von der Wachsamkeit der Christen in der Endzeit.

Erwartet wird hier die Wiederkunft Jesu Christi. Diese Wiederkunft bedeutet Anbruch einer neuen Zeit, die von der Zusammenführung aller Menschen geprägt sein wird. Diese Zeit ist bereits angebrochen: die Kirche ist auf diesem Weg. Sie erwartet eine neue Begegnung mit Christus, dem auferstandenen Herrn, wenn er wieder kommt. Daher gilt auch uns die Aufforderung, wachsam zu sein. Die Frage ist nur: sind wir wirklich wach? Nur wenn wir uns von Gott angesprochen und getroffen fühlen, sind wir das.

Unerwartet

Stellen Sie sich vor, an einem gewöhnlichen Nachmittag klingelt es an Ihrer Haustür – ganz unerwartet, ohne telefonische Vorankündigung kommt plötzlich jemand auf Besuch. Natürlich schauen Sie nach, wer dies sein könnte. Und jetzt die Überraschung: Es ist bloß die Nachbarin, die Sie sowieso nicht ausstehen können. Einen solchen Besuch komplimentieren Sie wahrscheinlich schnell wieder zur Tür hinaus. Die Haustür ist wieder geschlossen. Auch ihre Wahrnehmung und Wachsamkeit ist verschlossen. Hatte die Nachbarin wirklich eine Chance, von Ihnen angehört zu werden? Waren Sie aufmerksam bei ihr, bei dem, was Sie gesagt und wie sie sich verständlich machen wollte? Warum ist sie wirklich gekommen?

Wahrscheinlich lief es wie so viele Male, dass Sie sich dachten, ‘die kenn’ ich schon, ich weiß, wie sie ist’. Sie machen die Haustüre wieder zu – und damit auch Ihr Herz. Diesem Menschen gewähren Sie wohl kaum Einlass. In Ihrem Herzen rührt sich nichts.

Erwartet!

Nun umgekehrt: Stellen Sie sich vor, Sie erwarten einen Freund, den Sie schon lange mal wieder sehen wollten. Genauestens wird das Treffen geplant, alles vorbereitet und in Gedanken sind Sie schon bei ihm. Ach, wenn er doch schon da wäre! Sie sind voller Erwartung, wie er sich wohl nach so langer Zeit gemacht hat. Es gibt viel zu erzählen. Sie sind hell wach, weil Ihr Freund einen Platz in Ihrem Herzen hat. Diesem Menschen öffnen Sie gerne die Tür und schenken ihm Ihre volle Aufmerksamkeit.

Und Gott?

Und nun zu den Worten im Evangelium: Stellen Sie sich vor, der ‘Herr’ würde sich bei Ihnen anmelden. Doch die genaue Zeit kann er nicht angeben, nur eben, dass er kommt. Sind sie voller Erwartung? Und wenn er vor Ihrer Tür steht und anklopft: Sind Sie wach? Würde Ihr Herz in Bewegung kommen? Was würde es für Sie bedeuten, wenn Christus wirklich an Ihre Tür klopft – an Ihre Herzenstür?

Es gibt Menschen, die sich selbst nicht auf Gott einlassen wollen. Es gibt aber auch Menschen, die nur darauf warten, dass Gott zu ihnen kommt, die sehnsüchtig
nach ihm Ausschau halten, weil nur er ihnen Kraft gibt.

Wachsamkeit als Gütesiegel von Spiritualität

Wachsam sein bedeutet bewusstes Leben, sich wie ein Fisch im Wasser, im Fluss des Lebens zu bewegen. Diese Aufmerksamkeit ist empfindsam für die Anliegen anderer, empfänglich für das wirklich Wichtige im Leben, genügsam, einfach und bescheiden. Sie erzeugt kein Aufsehen. Das Größte ist, wenn dabei Liebe und Freude geschenkt werden, einfach so, nicht aus Verdienst. Das ist wirkliches Vorwärtskommen und Wachsen im Glauben. Dazu müssen wir aber aufwachen!

Was damit gemeint ist, zeigt eine kurze Geschichte vom Schlafwandler, der nichts von seinem Glück weiß: „Endlich kannst du mir gratulieren!” „Wieso denn?”, entgegnete ihm sein Freund. „Ich bin befördert worden, und ich sage dir, dieser Job bietet mir nun ein weiteres Vorwärtskommen.” Da sagte der Freund traurig: „Du
warst gestern ein Schlafwandler, du wandelst heute im Schlaf und wirst schlafwandeln, bis du stirbst. Was für eine Art von Vorankommen ist das?” „Es geht um finanzielles Vorwärtskommen, von dem ich sprach.” „Ach, ich verstehe. Ein Schlafwandler mit einem großen Bankkonto und dabei nicht aufgewacht, um sich zu freuen!”

 

Dr. Wolfgang Holzschuh, Diakon