5. Fastensonntag (B)

Predigtimpuls

„Wir möchten Jesus sehen“

1. Lesung: Jer 31,31–34
2. Lesung: Hebr 5,7-9
Evangelium: Joh 12,20-33

Menschen auf der Suche

Es gibt immer wieder Evangelientexte, die uns ungewöhnlich stark ansprechen. Bisweilen sind es die Ereignisse selber, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Häufig ist es ein Gleichnis, das uns in seinen Bann schlägt. Aber manchmal kann es ein bloßes Wort oder ein einziger Satz sein, wodurch wir uns besonders berührt fühlen. Der heutige Text aus dem Johannesevangelium enthält einen solchen Satz, der sozusagen unmittelbar unser eigenes Empfinden weckt und mitklingen lässt. Ja, wir können uns geradezu direkt damit identifizieren.

Da tauchen nämlich Leute auf, die einen Wunsch zum Ausdruck bringen, der auch uns in irgendeiner Weise immer wieder beschäftigt: „Wir möchten Jesus sehen.“ (Vgl. Joh 12,20-33) Es sind auswärtige Pilger, die gerade einen Besuch in Jerusalem machen und sich dafür interessieren, wer wohl dieser außergewöhnliche Mann ist, dem doch beachtliche Volksmassen nachlaufen. „Wir möchten Jesus sehen.“ Hinter dieser Bitte steckt offensichtlich mehr als nur oberflächliche Neugierde. Sie halten Ausschau nach einer Möglichkeit, Jesus wirklich näher zu kommen.

Es sind suchende Menschen, denen es um religiöse Orientierung im Leben geht, wie ja schon ihre Wallfahrt nach Jerusalem zeigt. Sie sind auf der Suche nach einem tieferen Sinn für ihr Dasein, auch wenn sie es selber vielleicht nicht einmal genau ausdrücken können. Aber sie ahnen, dass sie in Jesus wahrscheinlich eine Antwort auf ihre Fragen finden werden. Mit diesen Suchenden dürfen wir selbst uns identifizieren; und auch für unser Leben sollte Jesus Christus entscheidend sein.

Jünger Jesu als Vermittler

„Wir möchten Jesus sehen.“ Das ist der Wunsch, mit dem sich im Evangelium fremde Menschen an zwei der Jünger Jesu wenden. Es sind griechische Besucher, wie uns gesagt wird; und es ist darum verständlich, dass sie den Kontakt gerade zu Philippus und Andreas aufnehmen, d.h. zu den beiden Aposteln mit griechischen Namen und vermutlich auch mit griechischen Sprachkenntnissen. Diese Begegnung mit Jesus verläuft also über seine Jünger; deren Vermittlerrolle wird im Evangelium ganz auffällig betont. Dahinter steht offensichtlich bereits die Erfahrung der urchristlichen Zeit, dass der Zugang zu Jesus Christus durch die Apostel und ihre Nachfolger gewährleistet ist, und dass die Gottsucher überall auf der Welt durch das Wirken der Kirche ihren Weg zu Christus finden können. Und Kirche, das ist die Gemeinschaft der Gläubigen, – Kirche heute, das sind wir Christen, die Anhänger Christi, die Jünger Jesu hier und heute.

Und eine ganz wesentliche Funktion unseres Christseins besteht darin, Wegweiser zu sein für Menschen auf der Suche nach Gott, Vermittler für andere, die bewusst oder unbewusst umgetrieben werden von dem Wunsch: „Wir möchten Jesus sehen.“ Aber diese werden sich nur an uns wenden, wenn man uns auch anmerkt, dass wir wirklich Jünger Jesu sind, wenn unser Leben selbst ein beredtes Zeugnis dafür ist, dass wir Jesus Christus kennen und zu ihm gehören.

Vom Tod zur Herrlichkeit

Menschen zu Christus zu führen ist nur möglich, wenn wir selber den Weg zu ihm gefunden haben, wenn wir zu ihm Ja gesagt haben, wenn wir in seiner Nachfolge
stehen, wenn wir in Gemeinschaft mit ihm leben. Es mag verhältnismäßig leicht sein, zu sagen: „Wir möchten Jesus sehen.“ Aber jede echte Christusbegegnung hat auch Folgen, die irgendwie das ganze Leben betreffen.

Wer Christus wirklich begegnet, der kann von dessen Persönlichkeit kaum unbeeindruckt bleiben, der lässt sich einbeziehen in eine Freundschaft, die sein weiteres Leben mitbestimmen wird. Christus selber eröffnet sich ihm, ja er geht soweit auf ihn zu, dass er ihm selbst sein innerstes Denken und Fühlen nicht verbirgt und ihn sogar dazu einlädt, an seinem eigenen Schicksal teilzunehmen.

Vielleicht verwundern wir uns darüber, dass die Worte Jesu im heutigen

Evangelientext eine Antwort sein sollen auf den Wunsch der Menschen, ihn zu treffen. Und doch sind sie wesentlich für alle, die die Gemeinschaft mit Jesus suchen und ihr Leben von der Teilnahme an seinem Geheimnis prägen lassen. Jesus spricht vom Sinn seiner eigenen Existenz, deren Höhepunkt seine Verherrlichung sein wird. Aber er sagt auch, dass der Weg dahin im Bild des Weizenkornes vorgezeichnet ist, das erst im eigenen Sterben seine volle, Leben spendende Fruchtbarkeit entfaltet. Es ist dieses österliche Geheimnis vom Tod und der Auferstehung Jesu, das auch im Zentrum des Lebens all jener stehen wird, die gekommen sind, um Jesus zu sehen mit der Bereitschaft, sich ihm anzuschließen in der Selbsthingabe für die anderen und so mit ihm die ewige Herrlichkeit zu erlangen.

Licht auf dem Weg

Das Evangelium erwähnt noch ein seltsames Ereignis: Eine Stimme erschallt vom Himmel als Antwort auf die Haltung Jesu. Sie unterstreicht sozusagen die ungeheure Bedeutung seiner Worte und seines Wirkens. Sie stellt vonseiten Gottes eine endgültige Bestätigung der Person und des Lebens Jesu dar. Aber dieser Hinweis gilt vor allem den Menschen, die gekommen sind, um Jesus zu sehen. Sie sollen gleichsam eine göttliche Garantie dafür haben, dass sie tatsächlich nicht fehlgehen, wenn sie sich an Jesus halten. Wer nämlich ihn sucht, findet sichere Weisung für seinen Weg und verlässliches Licht für sein Leben.

Und wenn wir das Johannesevangelium noch weiter lesen würden, über den heutigen Abschnitt hinaus, dann würden wir schon in den anschließenden Sätzen auf Jesu eigene Erklärung stoßen, die gar nicht bescheiden klingt und doch für alle Menschen verbindlich ist: „Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit keiner, der an mich glaubt, im Dunkeln bleibt.“ Geben wir es doch zu: da ist soviel Dunkles und Undurchsichtiges in unserer Welt und oft genug auch im eigenen Leben, dass einem bisweilen geradezu Angst werden kann.

Aber wir müssen nicht immer und ewig im Ungewissen tappen; wir brauchen, nicht unbedingt Irr- und Abwege einzuschlagen. Machen wir uns doch ernsthaft auf die Suche und sprechen wir einmal auch im Gebet jenen Wunsch aus, der uns im Stillen so manchmal bewegt: „Wir möchten Jesus sehen.“ Und halten wir uns dann auch dankbar an den, der uns und der ganzen suchenden Menschheit mit der göttlich sicheren Antwort begegnet: „Ich bin das Licht der Welt.“

 

P. Dr. Eugen Nunnenmacher SVD