15. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

Die werden, die wir sein könnten

1. Lesung: Am 7,12-15
2. Lesung: Eph 1,3-14
Evangelium: Mk 6,7-13


Die werden, die wir sein könnten

Wir sind nicht die, die wir sein könnten
Vor einiger Zeit sagte mir jemand: „Äußerlich geht es mir gut. Dennoch bin ich
unzufrieden. Ich könnte eigentlich anders leben. Ich will es auch, aber es gelingt mir nicht. Ich reibe mich an diesem Zweispalt wund. Ich bin nicht der, der ich sein könnte. Das ist mein Problem. Es ist als gäbe es geradezu dämonische Mächte, die mich auf meinen gegenwärtigen Zustand festnageln. Damit werde ich nicht fertig.“


Eine Einzelerfahrung?
Ist das eine Einzelerfahrung? Sicher nicht. Da fasst jemand in Worte, was viele Menschen bewegt. Viele Menschen möchten anders leben, besser, intensiver, lebendiger, menschlicher, christlicher vielleicht, aber es gelingt ihnen nicht. In ihnen lebt eine Sehnsucht nach einer tieferen Lebensqualität, ein Traum eines gelingenderen Lebens, eine Vision einer erfüllenderen Lebensart. Sie lassen sich davon leiten, aber sie scheitern an der Wirklichkeit der eigenen unbeweglichen Ich-Welt.


Verdeutlichung
Verdeutlichen wir diese Erfahrung noch ein wenig! Wir wissen, wie uns ein Gespräch beglückt, in dem wir uns verstanden fühlen. Wir vermuten, anderen Menschen geht es ähnlich. Wir kennen ja aus Erfahrung das Leuchten in den Augen anderer, wenn wir ihre Einsamkeit durchbrechen. Wir sind mit allem versöhnt, wenn wir Kommunikation, Freundschaft und Liebe erleben und darin tiefen Lebenssinn erfahren. Wir gewinnen tiefere Lebensqualität, wenn andere uns die Freiheit schenken, wir selbst zu sein. Wir ahnen, wie es anderen hilft, wenn wir ihnen diese Freiheit schenken. Wir spüren also, was uns glücklicher, froher, lebendiger und menschlicher leben lässt. Dennoch ist das alles schwer zu verwirklichen. Die Mächte des Egoismus, des Eigensinns, des Eigenwillens, der Rivalitäten, der Konkurrenz und die damit verbundene Einsamkeit setzen sich immer wieder durch. Die Mächte der Gewalt und Gegengewalt, die Mächte der eingeschliffenen Mechanismen des Alltags, und der Verhärtungen im zwischenmenschlichen Bereich halten uns gefangen. Sie binden und lähmen uns und lassen immer wieder alle besseren Ansätze ins Leere laufen.


Der Ansatz Jesu
Was ist zu tun? Zunächst einmal dürfen wir uns daran erinnern, dass jemand schon etwas für uns getan hat und tut. Gott nahm und nimmt uns in dieser Sehnsucht nach einer fundamental neuen Lebensqualität ganz ernst. Im Jesusereignis schenkt er uns diese neue Qualität des Lebens. Jesus Christus ist der neue Mensch, der ungeahnt neue Lebensmöglichkeiten und Lebensaussichten freilegt und uns vorstellt. Er lebt uns vor und zeigt uns, wie sich ein erfülltes Menschsein auf der Basis seines eigenen Lebensentwurfes und Lebensvollzuges realisiert. Er treibt alle Dämonen aus, die diese neue Lebensqualität unterdrücken, eingrenzen und behindern. Er überwindet sie ein für allemal und schafft dadurch einen Freiraum gelingenden Lebens. Er ermöglicht ganz wesentlich das Menschsein, das wir ersehnen und herbeiwünschen. Von ihm her lässt sich das andere erhoffte Leben in seiner neuen Struktur und Verfassung entwerfen und aufbauen. Es gründet in ihm, dem neuen Menschen Jesus Christus. Deswegen sind alle Menschen, die diese Wirklichkeit ersehnen, herbeiwünschen und sich in besonderer Weise darum sorgen und mühen, „Gesandte“. Sie leben nicht von sich her. Jesus sendet sie, er nimmt sie in seinen Dienst. Der Dienst wirkt sich dann auch in ihrem Leben aus. Die Weisungen und Verhaltensmaßregeln, die er ihnen gibt, ergeben sich aus ihrer Sendung. Ihr Dienst an der Befreiung der Menschen zu einem menschlicheren Leben orientiert auch ihr Leben neu und führt es dazu, ihrer Sendung zu entsprechen.


Hinkehr zu Jesus
Das lässt uns aufmerken. Gewiss, wir leben in einem Zwiespalt. Wir erfahren, wie uns gelungenes menschliches Verhalten beglückt. Wir sehen, wie die Sehnsucht
wächst, dass es immer so bleibe. Aber wir erfahren auch immer wieder, wie unter dem Ansturm der dämonischen Mächte der vermeintlichen Ichrettung, der starren Ichfixierung, und der hemmenden Entwicklungsangst alles zusammenbricht. Dennoch ist dieser Zwiespalt zu überwinden. Es kommt darauf an, wie wir uns in diesem Prozess verstehen. Wenn wir uns selbst als Energie- Kraft- und Motivationszentrum dieses Prozesses sehen, bleibt alles, wie es ist. Wenn wir aber auf Jesus und seinen Lebensvollzug schauen und wenn wir uns ihm verwurzelt wissen, sind wir „Gesandte“ für diese Aufgabe der Überwindung des Zwiespaltes zwischen dem, der wir sind und dem, der wir sein könnten. Das macht alles anders. Der Gesandte lebt von dem her, der ihn sendet. Deswegen gilt es, vor allen anderen Bemühungen Jesus Christus Raum zu geben und ihn wirken zu lassen. Er selbst, sein Lebensentwurf und sein Lebensvollzug geben uns die Kraft, die Ausdauer und die Zuversicht für unsere Lebensaufgabe. Von ihm her und mit ihm wird sie auch gelingen.


Folgerungen
Wer sein Leben so versteht, auf den kommen einige Folgerungen zu. Alle dämonischen Mächte, die uns besetzen und daran hindern, in unsere bessere Zukunft hineinzuwachsen, sind kein unabwendbares Schicksal. Unser Egoismus, unsere Ichzentrierung, unser Eigensinn, unsere Entwicklungsunlust, unsere eingeschliffenen Alltagsmechanismen mit ihren Verhärtungen im zwischenmenschlichen Bereich halten uns nicht nur gefangen, sie fesseln uns nicht nur und legen uns nicht nur fest. Sie sind im Gegenteil auch hervorragende Gelegenheiten, unsere Freiheit, unsere Lebenszuversicht, unsere Entwicklungsfreude und unsere Lebenshoffnung, die wir von Jesus geschenkt bekommen zu aktivieren und unseren Glauben, dass wir von ihm zu einem neuen Leben befreit sind, im Alltag zu bewähren. Das heißt aber dann, dass wir um Jesu willen immer wieder das Gespräch miteinander wagen und die Freude vermitteln, die zum Beispiel Verstehen auslöst. Das heißt dann, dass wir die Versöhnung immer wieder ermöglichen und die unversöhnte Isolation durchbrechen. Das heißt dann, dass wir auf Kommunikation setzen, auf Freundschaft und Liebe und uns die Freiheit schenken, die wir nötig haben. Freilich ist das nicht immer durchzuhalten. Aber auch all unser Einsatz für ein gelungeneres Leben, auch wenn er nicht glückt, ist nicht unwichtig für die Zukunft des Reiches Gottes, die mit Jesus heraufgezogen ist. Er geht in sie ein und ist nicht umsonst, wie gebrochen er auch immer sein mag. So kommen wir dem näher, die wir sein könnten und dem, was als Verheißung in uns auf eine gültige Gestalt wartet.


P. Franz-Josef Janicki SVD