18. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

Auf der Suche

1. Lesung: Ex 16,2-4.12-15
2. Lesung: Eph 4,17.20-24
Evangelium: Joh 6,24-35

Auf der Suche

Das gibt es ja gar nicht mehr
Schwestern und Brüder! Geht es ihnen manchmal genauso? Schon oft ist es mir passiert, dass ich nach längerer Zeit in meine Heimatstadt komme, etwas besorgen möchte, ein Mitbringsel, ein paar Blumen, oder eine kleine Delikatesse, und dass ich dafür zielstrebig auf ein bestimmtes Geschäft zugehe, das ich von Kindheit an kenne, und dann erstaunt feststellen muss: Das gibt es ja gar nicht mehr! Da befindet sich jetzt ein völlig anderer Laden. Oder: Sie gehen seit Jahren an den gleichen Briefkasten. Nun ist er abgeschraubt. Sie sind es gewohnt in einer bestimmten Filiale Ihrer Bank Ihre Geldgeschäfte zu tätigen. Nun ist sie auf Automaten umgestellt. Und in vielen Ortschaften gelten hinsichtlich der Kirche ähnliche Verhältnisse. Da, wo früher der Pfarrer wohnte, ist heute vielleicht ein Jugendraum, ein Kindergarten, oder ein Schild, wohin Sie sich in dringenden seelsorglichen Anliegen wenden sollen. Die Kirche ist im Rückzug. Oft ist am Ort sonntags nicht einmal mehr eine Eucharistiefeier. Der Pfarrer wohnt in X, das Pfarrhaus von Y bewohnt ein Diakon, eine Gemeindereferentin mit Familie, und in Z steht es leer und soll verkauft werden.

Einen Ansprechpartner, eine Ansprechpartnerin zu suchen, das ist oft mühsam, selbst wenn es dabei nur um den Kirchenschlüssel geht, mit dem ich die Kirche besichtigen möchte, die aus Sicherheitsgründen und wegen Vandalismus – absolut verständlich – natürlich geschlossen gehalten werden muss. Bürozeiten fallen Kostengründen zum Opfer. Die Leute vor Ort wissen schon, wann sie wen antreffen, wann man zur Mesnerin geht, oder wo sie notfalls hinfahren oder anrufen müssen.


Ihr wollt ja bloß etwas von mir
Im heutigen Evangelium geht es „den Leuten“ ganz genauso. Sie finden weder Jesus noch irgendeinen von seinen Jüngern in vertrauter Umgebung. Keiner ist da, wo sie mit ihnen gerechnet haben. Und so fangen sie das Suchen an. Bis zum anderen Ufer des Sees müssen sie laufen, und als sie Jesus dann dort treffen, werden sie auch noch fragwürdig angeredet. Ihr wollt ja bloß etwas von mir! Ihr sucht mich ja nur, weil ihr das Brotwunder miterlebt habt, weil ihr kurzfristig satt geworden seid, und jetzt vielleicht die Hoffnung habt, dass das so weiter geht.

Schwestern und Brüder! Wir suchen doch auch, wenn wir etwas brauchen. Einen
guten Arzt, wenn wir krank sind. Gute Geschäfte für den alltäglichen Bedarf, wenn wir irgendwo zugezogen sind. Einen Arbeitsplatz um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Einen Gottesdienst mit einer aufgeschlossenen Gemeinde und einer ansprechenden Predigt. Hilfe und Unterstützung, überall dort, wo wir etwas rauchen. Und natürlich zwischendurch auch immer wieder einmal unseren Vorteil – wozu auch immer!

Und in unserem Glauben läuft der Hase doch ähnlich, oder? Da will ein junges Paar heiraten – klar dass eine schöne Kirche, ein netter Pfarrer und das ausgewählte Gasthaus irgendwie auf die Reihe gebracht werden müssen. Da geht es um eine Empfehlung für eine Katholische Schule oder ein pfarramtliches Zeugnis und schon ist man sauer, wenn der Pfarrer nicht gleich anzutreffen ist. Da braucht man einen Kindergartenplatz und pocht auf sein Recht, weil man ja schließlich Kirchensteuer zahlt. Da steht ein Kind zur Erstkommunion oder Firmung an – und wehe die Gemeinde hat sich für einen „anstrengenden Vorbereitungsweg“ entschieden. Da stirbt die Oma oder sonst ein lieber Mensch und der Beerdigungstermin ist alles andere als ideal … Endlos könnten wir die Reihe fortsetzen.

Ihr sucht mich, sagt Jesus, wegen eines Habenwollens, wegen einer Funktion, wegen eines Service. Sie suchten ihn damals aber nicht um seinetwillen, nicht weil er das „Brot ist, das der Vater in die Welt hinein schenkt, um die Sehnsucht der Menschen zu stillen, ihre Träume auszurichten, ihre Hoffnungen zu gründen, um Gott zu finden, und Geborgenheit und Sinn, Vollendung und Angenommensein in ihm.“

Glauben sollen sie, dass Jesus der Gesandte Gottes ist. Glauben dürfen sie, dazu lädt Johannes seine Gemeinde und auch uns ein, dass Jesus der ist, der allen Lebenshunger und allen Lebensdurst stillen kann. Glauben möchte er anstiften, dass Gott in ihm mehr schenkt, als alles, was satt macht. In Jesus begegnen sie – und auch wir, dem Gott, der in diese Welt herein steigt, der dieser Welt, jedem Menschen, allen Suchenden und Sehnsüchtigen Leben geben will.

Und Johannes argumentiert mit der Geschichte des Gottesvolkes. Und er fordert
seine Gemeinde auf: Sucht mehr, als was euch körperlich satt macht, denn dieses
Sattsein vergeht und weicht relativ schnell neuem Hunger! Sucht den Geber aller
guten Gaben, und bleibt nicht am Vermittler hängen! Nicht Moses, sondern der
mütterlich sorgende und den Tisch des Lebens deckende Vatergott hat in Überfülle gegeben. Und was er gibt, wenn Menschen in der Begegnung mit Jesus finden, was sie eigentlich suchen, das ist viel, viel mehr als aller Hunger nach Sinn und Erfüllung, nach Leben und Geliebtsein, nach Geborgenheit und Heimat andeutet.


ER ist es, der Sie finden wird
Das DU Gottes dürfen Sie suchen. Ist das nicht etwas Herrliches und etwas
Provozierendes zugleich? – Bleib bei Deiner Suche nicht an dem hängen, was nur
vorübergehend finden, stillen, satt sein, zufrieden sein lässt! Suche nach mehr! – Und dieses Mehr ist für Johannes und seine Gemeinde Christus selbst. Suche nach ihm!

Im Film „Jesus von Montreal“ übernimmt ein junger Schauspieler die Jesus-Rolle in einem Passionsspiel, das er schreiben und inszenieren soll. Er vergräbt sich in einer Bibliothek, er führt zahllose Gespräche, er überlegt und forscht. Da kommt eine etwas vergeistigt wirkende Bibliotheks-Angestellte auf ihn zu, beobachtet ihn und fragt schließlich: Suchen Sie Jesus? Als der Schauspieler das bejaht, sagt sie ihm ganz unvermittelt zu: ER ist es, der Sie finden wird! – Im ersten Moment empfand ich diese Szene als ganz eigenartig. Aber im Verlauf des Filmes wird immer deutlicher, was gemeint ist: Wer sich auf die Suche nach Jesus macht, wer sich in ihn hinein versetzt, sich mit ihm beschäftigt, sein Wort und seine Botschaft meditiert, sich überlegt, wie das gesagt, in Szene gesetzt und gelebt werden kann, der wird IHM immer ähnlicher, der übernimmt Züge seines Wesens, der verhält sich plötzlich wie der, den er gesucht hat.

Und dies scheint mir das Wesentliche des heutigen Evangeliums zu sein. Jesus
Christus finden. Und dabei nicht an Äußerlichkeiten hängen bleiben, dabei nicht auf Wunder zu warten, dabei nicht falsche Erwartungen hegen, sich dabei aber auch nicht von „Vermittlern“ blockieren oder abhalten lassen.


Wo ER zu finden ist
Das Schöne an diesem Evangelium ist für mich, dass beides zusammen kommt. Wir dürfen uns auf die Suche nach Jesus machen. Und vielleicht ist da sogar der äußere Anlass ein oben genannter: eine Hochzeit, weil wir fragen, wo Liebe und das Ja zueinander denn eigentlich ihre Wurzeln haben; ein Begräbnis, weil wir spüren, dass wir angesichts des Todes an Grenzen kommen und Antworten suchen, die weiter führen; ein Problem, mit dem wir nicht fertig werden, das wir vor einen „Jünger“ oder eine „Jüngerin“ Jesu bringen wollen, der/die hoffentlich Zeit und ein Ohr für uns haben, sich auf unsere Fragen und Sorgen einlassen, und so ein Stück hinführen zu IHM, der so mit Menschen umgegangen ist; vielleicht ein gottesdienstliche Feier an Weihnachten, eine Taufe oder eine Erstkommunion, die spüren lassen: Die das leiten, die sind selber ganz und gar mit dem Herzen dabei, die sind selber von Jesus gepackte und begeisterte Menschen, die sind wirklich Werkzeug und Sprachrohr Jesu. – Und wenn solches geschieht, dann macht es nichts, dass wir ein Stück Weg hinter uns bringen müssen, um zu finden, was wir suchen; um auf eine Gemeinde, eine Lebenszelle von Kirche vor Ort zu stoßen, die uns mit allen Wünschen und allem Vordergründigen ankommen lässt, und dann in geduldigem Gespräch, im Angebot von Lebensdeutung den Glauben und seine Wirklichkeit aufscheinen lässt und verkündet, und zwar so, dass Menschen wieder Sehnsucht entdecken, dass in Menschen wieder das Verstehen dafür aufbricht, dass sie ja eigentlich nach viel mehr auf der Suche sind, als was sie vordergründig haben wollen.

Jesus nimmt sich die Zeit für die Menschen. Er sagt nicht: Ich durchschaue euch! Ihr wollt ja bloß! Er sieht in dieser Suche einen Ansatzpunkt. Und er lässt sie die Quelle und das Brot riechen und kosten, die sie eigentlich suchen.


„Hinweisschilder“ sein
Vielleicht geht es uns mit der Kirche manchmal ganz ähnlich, wie mit meinem Geschäft, meinem Briefkasten oder der Bankfiliale. Vielleicht rührt sich auch der
Glaube, den ich aus meiner Kindheit mitbringe, völlig neu. Vielleicht bin ich durch Ereignisse in meinem Leben, durch die heutige riesengroß gewordene Angebotspalette an Sinn stiftenden und mir Heil anbietenden Dingen, neugierig geworden, was mir denn meine Kirche und mein christlicher Glauben, die Tradition und Frömmigkeit der Kirche bieten kann. Vieles Vertraute hat sich verändert. Vieles Eingefahrene und Selbstverständliche ist nicht mehr einfach da. Ich muss Initiative ergreifen, mich auf den Weg machen, mich entscheiden, mich fragen und fragen lassen, was ich eigentlich will – und ob ich da richtig bin. Aber es gibt unendlich viele Angebote, Möglichkeiten, …

Jedenfalls dürfen wir uns jetzt wieder mit den Leuten auf den Weg machen, Jesus undseine Jüngerinnen und Jünger von heute zu suchen. Und wir dürfen fragen, was sie glauben, erfahren haben und geben können, damit sich unser Lebensdurst stillen lässt.

Wo ist wohl das andere Ufer des Sees, wo ich IHN finde? – Wer ist es wohl, durch
den/die Jesus heute spricht? Wegweiser zu IHM gesucht! Aber aufpassen! Wir könnten nicht nur Suchende, sondern auch „Hinweisschilder“ sein! Amen.

 

Pfr. Albert L. Miorin