26. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

„Sie werden Propheten sein“ (Apg 2,18; Joel 3,3)

1. Lesung: Num 11,25-29
2. Lesung: Jak 5,1-6
Evangelium: Mk 9,38-43.45.47-48

„Sie werden Propheten sein“ (Apg 2,18; Joel 3,3)

In der Seminarkirche der Steyler Missionare in St. Gabriel, Mödling bei Wien, gibt es ein Kirchenfenster, das einen Satz aus der heutigen Lesung im Wortlaut und im Bild wiedergibt. Der Satz lautet: „Wenn nur das ganze Volk zu Propheten würde!“ (Num 11,29)

Dieses Fenster gibt wieder, was Arnold Janssen, den Gründer der Steyler Missionare (der am 5. Oktober 2003 in Rom heilig gesprochen wird) und Gründer des Seminars, beseelt hat. Den Glauben verkünden bedeutete für die Gründergeneration nicht eine Indoktrination von Glaubenswahrheiten, die es zu bejahen gilt. Es ging ihnen darum, Menschen selber zu Zeugen des Glaubens zu machen. Daher haben sie sich das Gebet des Mose zu eigen gemacht: „O wenn doch das ganze Volk zu Propheten würde!“

1. Wie kommt Mose zu dieser Bitte?
In der Umgebung des Mose gab es Älteste, denen es nicht gefiel, dass zwei Männer vom Geist erfüllt waren, die gar nicht bei ihnen waren, als der Geist über die Ältesten kam. Mose sollte gegen eine solche Anmaßung einschreiten. Aber Mose selbst hatte gar keine Schwierigkeiten mit den beiden. Im Gegenteil. Seine Bitte besagt: Wie Gottes Geist sich den Ältesten mitteilte, so möge er sich allen mitteilen. Mose ist daran interessiert, dass alle geisterfüllt sind.

Aber die Geschichte geht weiter. Was Mose gewünscht hat, erfüllt sich im Leben der jungen Kirche. Petrus zitiert in seiner Pfingstpredigt den Propheten Joel, durch den Gott folgende Verheißung macht: „Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein... Auch über meine Knechte und Mägde werde ich von meinem Geist ausgießen in jenen Tagen, und sie werden Propheten sein.“ (Apg 2,17f; Joel 3,1f) Damit bin ich bereits mitten im Leben der Kirche Jesu Christi. Was Mose einmal gewünscht hat, hat Gott selbst verheißen. Petrus lässt keinen Zweifel. Er klärt seine Hörer auf: Dieser Tag ist jetzt angebrochen, der Tag, an dem sich erfüllt, was Gott verheißen hat. Und ich füge hinzu: dieser Tag dauert bis heute an.

2. Was steckt hinter der Bitte des Mose?
Die Bitte von Mose „O wenn doch das ganze Volk zu Propheten würde!“ nimmt Petrus in einer Verheißung auf: „Die Söhne und Töchter... die Knechte und Mägde werden Propheten sein.“ Was hat Gott vor? Ich sehe zwei Absichten.

Die erste: Gott lässt Menschen teilnehmen an seinem inneren Leben. Propheten sind Menschen, die Gott in seine Nähe ruft, um sich ihnen mitzuteilen. Oft wehren sie sich dagegen, weil sie spüren, dass sie dazu nicht würdig sind. Gott ruft sie. Keiner ruft sich selber. – So ruft Gott auch uns in seine Nähe. Jesus selbst lässt darüber keinen Zweifel: Er betet: „Vater... alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein... Sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir.“ (Joh 17, 21f) Paulus sagt im Römerbrief der jungen Christengemeinde: „... Ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen (und Töchtern) macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater“. Wir sind nicht weniger als die Urchristen berufen zu einem vertrauten Leben mit Gott. Jeder und jede aus uns. Gottes Liebe ist grenzenlos. Es geht ihm um weit mehr als um Beobachtung von Geboten und Verboten. Er teilt sich uns mit. Öffnen wir uns der überfließenden Liebe Gottes.

Unser Papst greift in seinem Schreiben über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt den Plan auf, den Gott mit uns hat: „Gott hat von Ewigkeit her an uns gedacht und als unwiederholbare, einmalige Menschen geliebt. Er hat jeden von uns beim Namen gerufen...“ (Nr. 58). Wie die Propheten hat er uns alle in seine Nähe gerufen.

Noch eine zweite Absicht ergibt sich aus seinem Ruf: Gott lässt Menschen teilnehmen an seiner Hirtensorge. Der göttliche Gute Hirt hat Propheten berufen, um die Verirrten ausfindig zu machen, sie zu rufen und zu retten. Vor allem in Krisenzeiten, wenn die politischen und religiösen Führer nichts mehr ausrichteten oder sich gar selbst verlaufen haben. Das war die Stunde der Propheten.

Wir befinden uns heute in einer Wendezeit. Die Zahl der amtlich bestellten Hirten, der „Pastoren“ und „Pfarrer“ nimmt in erschreckendem Maße ab.. Eine provozierende Formulierung ist aufgetaucht und hat hellhörig gemacht. Sie lautet: „Wenn Schafe zu Hirten werden“ (Freiburger Text, Nr. 49). Das Bild vom Hirten und den Schafen wird der heutigen Situation nicht mehr gerecht. Schon das II. Vatikanische Konzil weist darauf hin, dass ohne Mitwirkung der Laien das Apostolat der Hirten „meist nicht zu seiner vollen Wirkung kommen kann“ (Apostolicam Actuositatem Nr. 10). „Mit der Kraft des Heiligen Geistes gestärkt, werden sie (die Laien) vom Herrn selbst mit dem Apostolat betraut...“ (Nr. 3).

Auf Grund der Charismen, die den Gläubigen geschenkt werden, „erwächst jedem Glaubenden das Recht und die Pflicht, sie in Kirche und Welt zum Wohl der Menschen und zum Aufbau der Kirche zu gebrauchen.“ (Nr. 3). In der säkularisierten Welt von heute genügt es nicht, christliche Wohlanständigkeit zu zelebrieren. Es braucht Menschen, die aus der Nähe Gottes kommen und mit prophetischem Feuer das Evangelium bezeugen; Menschen, die wissen, dass der Herr seine Sendung in ihnen und durch sie weiterführen will. Ein apokryphes Jesuswort lautet: „Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe.“ Das haben Menschen gespürt, wie Madeleine Delbrêl, die sich in das atheistische Milieu der Bannmeile von Paris begab, um „Gott einen Ort zu sichern“. Sie sagt von der Frohen Botschaft, deren Verbreitung uns aufgetragen ist: „Das Licht des Evangeliums ist keine Erleuchtung, die uns äußerlich bleibt, sondern ein Feuer, das in uns eindringen möchte, um unser Inneres den Flammen anheimzugeben und umzuschaffen“ (S. 39).

Das atheistische Milieu war für sie keine Gefahrenzone für den Glauben. Gerade in der antireligiösen Aktivität der Marxisten sah sie die Herausforderung für die Christen, den Glauben nicht einschläfern oder verkümmern zu lassen. Sie und ihre Gefährtinnen sahen sich vor die Wahl gestellt, entweder zu missionieren oder zu demissionieren. Für sie war der Glaube eine Kraft, die sie verwandelte und mit prophetischer Leidenschaft für Gott erfüllte.

Auch da, wo heute der christliche Gottesglaube durch vage religiöse Vorstellungen verdrängt wird, ist der göttliche gute Hirt unterwegs. Wo immer Menschen in Not sind, greift er ein. Er ruft unentwegt viele Menschen in seine Nähe. Auch uns ruft er. Von seinem Geist beseelt sind wir als gute Hirten in den unzähligen Daseinsräumen präsent, wo Menschen sich heute aufhalten. Wo Gott überzählig erscheint, machen wir ihn gegenwärtig, nicht mit fanatischem Bekehrungseifer. Als prophetische Zeugen seiner Liebe sind wir den Menschen nahe, wo immer sie sich aufhalten – mitten in der Welt und doch nicht von der Welt. Wir wissen: „Nicht menschliches Tun bewirkt den Durchbruch der Gnade. Allein Gottes freies Handeln kann das Menschenherz gewinnen“ (Zeit zur Aussaat, S. 24). Wir sind zum Säen der Guten Nachricht gesandt. Gott ist der Herr der Ernte. Amen

Quellen:
Robert Zollitsch, Zum Dienst der Ehrenamtlichen... Freiburger Texte Nr. 49. Erzb. Ordinariat, Freiburg.
Christifideles Laici (Papst Johannes Paul II. über die Berufung und Sendung der Laien; 30. Dez. 1988)
Apostolicam Actuositatem. 2. Vatik. Konzil (Dekret über das Laienapostolat)
Madeleine Delbrêl, Gott einen Ort sichern. Hsg. Von Annette Schleinzer. Schwabenverlag Ostfildern. 2002.
Zeit zur Aussaat. Die deutschen Bischöfe. Nr. 68 (20. November 2000)

 

P. Adalbert Schaller SVD