6. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

Was für ein Wort!

1. Lesung: Lev 13,1-2.43ac.44ab.45-46
2. Lesung: 1Kor 10,31-11,1
Evangelium: Mk 1,40-45


Was für ein Wort!

Ein mir bekanntes Ehepaar machte die Erfahrung des Aussatzes am eigenen Leib. Beide arbeiten in Madagaskar in einer abgeschiedenen Gegend als Missionare. Eine beträchtliche Anzahl von Menschen, unter denen sie tätig sind, ist von Aussatz befallen. Als eines Tages bei beiden fast gleichzeitig die Arme schmerzten und gefühllos wurden und sich noch die Haut verfärbte, wussten sie, dass sie nun mit ihren Mitmenschen auch im Aussatz solidarisch sind. Trotz der heilenden Medikamente schmerzte sie der Aussatz bis in die Seele.


Nur Gott kann diese Krankheit heilen
Im Buch Numeri 12,13 wird berichtet, dass Mirjam, die Schwester des Mose und Aaron, „weiß wie Schnee vor Aussatz“ wurde. Aaron schrie auf: „Mirjam soll nicht
wie eine Totgeburt sein, die schon halb verwest ist, wenn sie den Schoß der Mutter verlässt“. Mose und Aaron flehten für ihre Schwester zu Gott. Und Gott befahl, Mirjam sieben Tage vom Lager zu isolieren, dann gewährte er ihr Heilung und das Volk konnte weiterziehen.

Wer von dieser Krankheit befallen wird, ist bereits bei lebendigem Leib ein Toter.
Wie die erste Lesung (Leviticus) beschreibt, waren die Maßnahmen gegenüber
Aussätzigen äußerst rigoros. Sie wurden von der Gesellschaft ausgeschlossen.
Kamen sie Menschen nahe, mussten sie schreien: „Unrein, unrein!“ Dieses Gebot
stand unter Todesstrafe. Noch schlimmer: Aussatz galt als Strafe Gottes. Das
Mitleid der Mitmenschen konnte sich mit gutem Grund in Grenzen halten, schließlich waren es ja Sünder, die von Gott bestraft wurden.

Den Juden war die Geschichte der Mirjam bekannt und sie wussten, dass nur Gott diese Krankheit heilen konnte. Doch wer rechnete mit einem Eingreifen Gottes?

Sollte sich wider Erwarten die Gesundheit einstellen, konnten nur die Priester die
Heilung amtlich bestätigen und den Geheilten wieder in die Gesellschaft aufnehmen.


Zwei Tabubrecher
Im Evangelium heute wird gleich zweimal das Tabu gebrochen. Einmal durch den Aussätzigen und ein andermal durch Jesus selbst, der den Unberührbaren sogar mit seiner Hand berührt.

Diese Tabubrüche scheinen dem Evangelisten wichtig zu sein. Kurz zuvor hat er
berichtet, dass Jesus in der Synagoge von Kapharnaum gelehrt hat, und zwar mit
einer „Vollmacht“, die alle Anwesenden in Erstaunen versetzte. Diese Vollmacht
Jesu geht nun so weit, dass er zu dem Aussätzigen sagen kann: „Ich will! Sei rein!“ Wer wie die Juden die heilige Schrift auswendig gelernt hat, begreift sofort: So kann nur Gott sprechen, da nur Gott vom Aussatz heilen kann. Genau das geschieht hier. „Im gleichen Augenblick verließ ihn die Krankheit, und er war rein“.

Es fehlt jeder Hinweis, ob diese Heilung vor einer Menschenmenge geschah, noch wird ein Ort oder eine Zeit angegeben. Der Evangelist sagt damit aus: Was sich hier ereignet, gilt für jeden Ort und jede Zeit, das Reich Gottes ist überall und für immer unter den Menschen anwesend. Der Geheilte begreift, dass Gott an ihm gewirkt hat. Darum wirft er sich vor Jesus auf die Knie, wie sich ein Gläubiger vor Gott auf den Boden wirft. Ein Mensch darf sich nicht anmaßen, an Gott Forderungen zu stellen, darum bittet er demütig: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen“.

Im gleichen Kapitel überliefert der Evangelist Markus das erste Wort aus dem
Munde Jesu: „Die Zeit ist gekommen, Gottes Reich ist nahe“. Mit dem Bericht dieses Wunders sagt der Evangelist allen Menschen aller Zeit, dass das Reich Gottes den Menschen in seinem Inneren heilt und alle menschlichen Tabus und gesellschaftlichen Schranken, die Menschen ausschließen und marginalisieren, aufhebt.


Glaubt an die Gute Nachricht
Die erste Predigt Jesu, die der Evangelist überliefert, ist programmatisch: „Wendet euch zu Gott von euren Sünden und glaubt an die Gute Nachricht!“ Das heutige Evangelium beschreibt die Erfüllung dieses Bekehrungsaufrufs an einem konkreten Menschen. Der Geheilte ist ein Modell für alle, welche die Frohe Botschaft vernehmen.

Doch die Worte Jesu an den Geheilten verblüffen uns. Er fordert ihn nicht zur
Bekehrung und zur Nachfolge auf, wie er es einige Verse zuvor mit der Berufung
des Petrus und Andreas, Jakobus und Johannes getan hat. Er verbietet ihm sogar streng, die Heilung von seinem Aussatz zu erzählen; er soll lediglich zu den Priestern gehen, um die Heilung amtlich beglaubigen zu lassen, dann soll er das von Mose gebotene Reinigungsopfer darbringen. Dieser „strenge“ Befehl erweckt den Anschein, als wollte Jesu überprüfen, ob der Geheilte wirklich „geheilt“ ist, von der Krankheit in seiner Seele und in der Gesellschaft.

Der Geheilte hat begriffen. Er handelt, wie ein Bekehrter handeln muss. Anstatt
wieder den „alten“ Pfad zu beschreiten (zum Tempel und zu den Priestern), begibt er sich auf einen „neuen“ Weg. Wo „Neues“ am Wirken ist, verblasst das „Alte“, und dies hat er erfahren und begriffen. So setzt er sich wieder über alle Vorschriften und scheinbar sogar den Auftrag Jesu hinweg und wird zum Verkünder des Reiches Gottes. Der Geheilte „verkündet“, es ist das gleiche Wort, das der Evangelist für die Predigt Jesus gebraucht hat. Der Geheilte bekehrt sich zum Reich Gottes und wird „rückhaltlos“ zu seinem Propheten. Seine Verkündigung war überaus erfolgreich, denn „die Menschen aus dem ganzen Umkreis strömten daraufhin Jesus zu“.

In dieser Erzählung fällt auch ein Licht auf das Geheimnis Jesu. Er tritt mit
„Vollmacht“ auf und mit einer neuen Botschaft. Er weiß, welche Macht hinter ihm steht, darum vermeidet er die Sensation (alle Menschen rennen ihm nach), untersagt die Unterstützung des Antireichs (Zeugnis der Dämonen), dafür geht er in die Einsamkeit, um die Nacht hindurch zu seinem Vater zu beten.. Den „prophetischen Dienst“ derer, die das Reich Gottes annehmen, wie der Geheilte, und den Dienst der Menschen, die er in seine Nachfolge beruft, nimmt er jedoch an.

Was folgt aus dem Evangelium von heute für unser Leben? Auffällig ist das Überwinden von Schranken und Barrieren der Angst und der Marginalisierung. Wenn das Reich Gottes zu uns gekommen ist, gibt es keine Barrieren mehr, die Menschen ausgrenzen. Das Reich Gottes ermächtigt zur Überwindung von Tabus, welche Menschen errichteten. Jesus selbst durchbricht sie (er berührt den Aussätzigen) und er verleiht den Opfern der Ausgrenzung den Mut, das gleiche zu tun (der Aussätzige durchbricht das Tabu und schlägt einen „neuen“ Weg ein).
Die Medizin hat heute den Aussatz im Griff, Gott sei Dank! Es gibt aber viele
Barrieren, die in unserer Gegenwart errichtet werden: die Barriere zwischen Nord und Süd, reich und arm, die Ausgrenzung von Bildung und know how, die
Ausgrenzung von Fremden, Alten, Behinderten, die Ausgrenzung von Minderheiten und ganzer Völker als „Schurkenstaaten“ im Namen der Bekämpfung des Terrorismus, und auch religiöse Ausgrenzungen zwischen Bekenntnissen und Religionen ...

Die „Vollmacht“, mit welcher Jesus das Reich Gottes verkündete, ist in unserer Welt am Wirken. Als Christen dürfen wir diese „Vollmacht“ im Namen Gottes in den Sakramenten erfahren: in der Taufe, der Eucharistie, der Vergebung der Sünden ...

 

P. Dr. Jakob Mitterhöfer SVD