4. Sonntag der Osterzeit (B) - Sonntag des Guten Hirten

Predigtimpuls

Mit neuer Perspektive

1. Lesung: Apg 4,8-12
2. Lesung: 1 Joh 3,1-2
Evangelium: Joh 10,11-18


Mit neuer Perspektive

Signale
Ein Mitbruder, der als Missionar unter den „Eingeborenen“ in den Bergen im Norden der Philippinen arbeitet, schrieb mir über Erfahrungen in seinem schwierigen Missionsgebiet. Bevor er in den Orden eintrat, hat er als Computerfachmann gearbeitet. Er war den Umgang mit moderner Technik und modernen Kommunikationsmitteln gewohnt. Jetzt lebt er in einer Gegend, in der es in vielen Dörfern noch keine Elektrizität gibt, ganz zu schweigen von Computern oder Internetanschlüssen. Ein Freund hatte ihn gefragt, ob es in seiner Gegend ein Signal gäbe um wenigstens das Handy zu benutzen. „Signal?“, antwortete der Mitbruder, „die einzigen Signale, die wir hier kennen sind Sturm- und Unwettersignale. Handy? Nein, nicht hier.“ Der Freund war entsetzt: „Wie ist es möglich, ohne Handy, so ganz abgeschnitten von den Errungenschaften moderner Technologie, zu leben?“ Der Mitbruder schreibt, dass er seinem Freund erzählte, dass es kein „Signal“ für den Gebrauch von Handys gebe. Aber er habe ganz neu die lebenswichtige Bedeutung der „Signale“, die von Gott kommen, entdeckt. Die Möglichkeit, ständig mit ihm in Kontakt zu sein, Gott als Partner, und mehr noch als Kraftquelle, bei seiner Mission in den Bergen als lebensnotwendig zu erfahren, gebe ihm eine neue Perspektive. Darin sei er ganz neu auf die wahren Quellen seiner Nachfolge und seines Ordenslebens gestoßen. Nach Jahren der Seminar- und Ordensausbildung erlebt er jetzt, was es bedeutet, ein „geistlicher“ Mensch zu sein.

Mit Beziehungen zu Gott
Geistliche Menschen sind Menschen, die auf den Geist Gottes hören und aus diesem Geist leben. Es geht also um eine Lebenshaltung, die klar in einer persönlichen Beziehung mit Gott verwurzelt ist. „Spiritualität kommt vor allem in einem Leben in voller Fügsamkeit gegenüber dem Geist zum Ausdruck; sie verpflichtet dazu, sich innerlich von ihm formen zu lassen, um Christus immer ähnlicher zu werden. Man kann nicht Zeugnis geben von Christus, ohne sein Bild widerzuspiegeln, das in uns lebendig wird durch die Gnade und das Wirken des Geistes.“ (Redemptoris Missio)

Sich in Dienst stellen
Das heutige Evangelium sagt uns etwas von einem geistlichen Leben im Sinne Jesu. Jesus bezeichnet sich selbst als den Hirten, der ohne Einschränkung gut ist, und gibt dafür die Begründung: „Der gute Hirt setzt sein Leben ein für seine Schafe.“ Auch wenn das Bild vom Guten Hirten heute vielen fremd erscheinen mag, sagt es doch Wesentliches über Gott, der in Jesus Christus Mensch wurde, Gott, der die Quelle allen Lebens ist, aus. Gutsein ist hier identisch mit der Bereitschaft zur radikalen Hingabe. Alfred Delp schrieb im Jahre 1945: „Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienste der physisch, psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonstwie kranken Menschen.“ Und Oscar Romero sagt: „Es ist zwecklos, sich selbst zu lieben, sich vor den Gefahren des Lebens zu hüten... Die Geschichte stellt die Menschen in diese Gefahren, und wer ihnen ausweichen will, verliert sein Leben. Wer hingegen aus Liebe zu Christus sich in den Dienst der anderen stellt, wird leben, wie das Weizenkorn, das stirbt...“ Jesus ist der Gute Hirt, der die Seinen kennt und der bereit ist, sein Leben hinzugeben für die Seinen. Das ist auch eine Anforderung an die, die ihm nachfolgen: die Menschen zu kennen und das eigene Leben im Namen Jesu für andere einzusetzen. Der Theologe Hermann Stenger schreibt in seinem lesenswerten Buch „Im Zeichen des Hirten und des Lammes“ (2000) über die „hirtliche Kompetenz“: Hirtliche Kompetenz beruht auf einer dreifachen Berufung durch Gott:

1. Hirtlich kompetent sind alle Menschen aufgrund ihrer Ermächtigung zum Leben. Allen, die von Gott erschaffen werden, ist die Hirtenschaft über die Erde und über alles, was da lebt, anvertraut.
2. Hirtlich kompetent sind Christinnen und Christen aufgrund ihrer Erwählung zum Glauben. Alle, die zum Glauben gekommen sind, nehmen nachfolgend am Handeln des Guten Hirten Jesus teil.
3. Hirtlich kompetent sind alle Gläubigen aufgrund ihrer Berufung zum speziellen
Dienst. Allen Berufenen hat Gott besondere Gaben, Charismen, verliehen, die es ihnen ermöglichen, ihre Sendung in Kirche und Welt zu erfüllen. Einer dieser
speziellen Dienste ist das subsidiäre Dienstamt des geweihten Priester-Hirten.

Was unsere Zeit braucht
Alle Glaubenden und Getauften nehmen an der Hirtenschaft Christi teil, und die Worte des heutigen Evangeliums sind nicht nur Worte über Jesus, sondern auch
Worte an die, die berufen sind, ihm nachzufolgen. Im Gefängnis schrieb Alfred Delp: „Die Hirten: ... Es mussten Menschen sein, deren Seele noch warm wurde bei der Erinnerung an die alten Verheißungen... Es mussten Menschen sein noch des Wunders fähig... Das war ihr Geheimnis: die schlichte Gesundheit des Herzens, die wache Lebendigkeit der Seele, die hurtige Bereitschaft auf den Anruf hin.“ (1944) Das Bild vom Guten Hirten ist konkreter Aufruf zur Nachfolge. Der heutige Weltgebetstag für geistliche Berufe ist eine Einladung zum Gebet um gute Hirtinnen und Hirten: Menschen, die ja sagen zu ihrer Berufung zum Ordensleben oder zum Priestertum. Gerade unsere Zeit verlangt nach „geistlichen Menschen“, nach Menschen, die aus ihrer Beziehung mit Gott leben und eine Alternative anbieten zu gängigen Lebensformen und Werten. Der Papst schreibt in Redemptoris Missio (1990) über den wahren Missionar, der ein Heiliger zu sein hat. Diese Worte gelten sicher für alle, die zum speziellen Dienst in der Kirche berufen sind: „Die Missionare sollen ihrerseits über die Pflicht zur Heiligkeit nachdenken, die die Gabe der Berufung von ihnen fordert, indem sie sich täglich im Geist erneuern... Der Missionar muss ein ‚in Beschaulichkeit Tätiger’ sein. Antwort auf die Probleme findet er im Licht des Wortes Gottes und im persönlichen und gemeinschaftlichen Gebet.“

Die Berufung zur Sendung Gottes verlangt eine tiefgehende Offenheit Gott
gegenüber. „So folgen wir dem Beispiel Jesu und pflegen diese Haltung im
Schweigen, durch Betrachtung und Gebet...“ Der zu Beginn erwähnte Missionar in den Philippinen ist ein Beispiel für das Wirken eines guten Hirten in unserer Zeit und dafür, dass ein Christ, der sich zur Nachfolge in dieser Welt voller
Herausforderungen und Probleme berufen weiß, sein Leben nur leben kann, wenn er die Signale, die von Gott kommen, entdeckt.

Wir sind alle eingeladen, unsere eigene Berufung tiefer zu sehen und zu leben und für Berufungen zum geistlichen Leben zu beten.

 

P. Dr. Martin Üffing SVD