7. Sonntag der Osterzeit (B)

Predigtimpuls

Einheit, Freude und Frieden

1. Lesung: Apg 1,15-17.20a.c.26
2. Lesung: 1 Joh 4,11-16
Evangelium: Joh 17, 6a.11b-19

Einheit, Freude und Frieden

Elemente österlicher Existenz
Im heutigen Evangelium spricht Jesus von den grundlegenden Elementen einer
österlichen Existenz. Er spricht von der Einheit mit Gott und der der Menschen
untereinander; er spricht von der Freude und in diesem Zusammenhang auch vom Frieden. Diese Elemente werden aber besonders gekennzeichnet. Von der Einheit heißt es, „damit sie eins sind wie wir“. Die Freude ist „meine Freude“. Und beim Frieden handelt es sich um „meinen Frieden“.

Einheit, Gemeinschaft ist das große Thema der Heilsveranstaltung Gottes. Gott will sein Leben der Einheit und Gemeinschaft in der Schöpfung den Geschöpfen mitteilen. Als die Schöpfung durcheinander gerät, sucht er nach einem Weg der Versöhnung, um die Einheit wiederherzustellen. In Kreuz und Auferstehung des Herrn geschieht die große Versöhnung. Versöhnung, Einheit und Gemeinschaft sind das große österliche Geschenk des Herrn an diejenigen, die an ihn glauben, an seine Kirche.

Erschreckende Bilanz
Wie sieht es aber heute mit der Einheit aus? Die Welt und die Menschen sind sehr zerstritten. Wir denken an den Terrorismus, an die vielen Kriege, besonders an die Auseinandersetzungen im Nahen Osten, aber auch in Afrika und Asien. Wir denken an die Kontroversen zwischen der islamischen und der westlichen Welt. Wir denken an die Spaltungen, die durch die Globalisierung hervorgerufen werden. Wir denken an die Spaltungen zwischen Arm und Reich. Die Spaltungen gehen aber durch die Gesellschaften und Gemeinschaften wie auch durch das Leben der einzelnen Menschen. Die Spaltung geht ebenfalls durch die Christenheit. Wir erfahren dies schmerzlich auf dem ökumenischen Kirchentag, der heute in Berlin zu Ende geht. Wir suchen seit Jahren nach Wegen der Überwindung der Spaltung der Kirchen. Gehen wir auch die richtigen Wege? Machen wir uns nicht zu sehr an Strukturen und „Wahrheiten“ fest? Hier kann uns vielleicht das heutige Evangelium weiterhelfen, das von der Gotteswirklichkeit spricht und in diesem Kontext die Frage nach der Einheit stellt. Hier sind wir Christen aufgerufen, für die Einheit zu wirken. Einheit, Freude und Friede, das ist die Lebenswirklichkeit Gottes, die für uns Menschen entscheidend ist. Ohne den Kontakt mit Gott kann unser Leben nicht gelingen.

Vermittlung von Gotteserfahrung
Deshalb besteht die wichtigste Aufgabe der Kirche darin, dass sie sich wieder neu und intensiver der Gottesfrage zuwendet. Es geht um die Vermittlung authentischer Gotteserfahrung. Der Mensch ist seit der Aufklärung immer autonomer geworden. Heute aber merkt er, dass diese Autonomie Grenzen hat. Sie gibt ihm keine Antwort auf die Frage nach dem Woher und Wohin des Menschen, nach dem Sinn des Ganzen. Ohne eine solche Antwort aber vermag der Mensch nicht zu leben. Hier kommt die schon oft totgesagte Religion wieder zum Vorschein. In der Postmoderne zeigt sich dieses Phänomen des Religiösen wieder. Aber es scheint oft eine Religion zu sein, die der Mensch sich selber zusammenbastelt. Religion aber kann man nicht machen. Religio bedeutet Bindung, Bindung an Gott, der sich mir in souveräner Weise schenkt. In diesem Zusammenhang ist auch die Neuentdeckung der Mythen in der heutigen Gesellschaft zu erwähnen. Man sucht in den Mythen, auch den vorchristlichen, einen Weg zu finden für die Lösung der grundlegenden Fragen von heute. Aber aus diesen Mythen versucht der Mensch möglichst viel an Kräften des Religiösen zu erhalten, ohne von sich etwas geben zu müssen. Das wird aber nicht gehen; so können die großen Probleme nicht gelöst werden. Die Wahrheit kann ich nur finden in der Bindung an Gott.

Wie aber kann eine authentische Gotteserfahrung vermittelt werden? Zunächst nicht auf dem Weg der Vermittlung von Glaubenswahrheiten und Glaubenswissen. Selbstverständlich sind sie wichtig, aber sie sind nicht das erste. Gotteserfahrung geschieht durch menschliche Erfahrung. Gottes Begegnung mit dem Menschen, seine Selbstoffenbarung ist nicht etwas, was vor vielen Jahrhunderten geschehen ist und worüber uns berichtet wird, sondern sie geschieht hier und heute. Wir müssen lernen, Gott zu begegnen in unserem Leben, in unserer Welt und Geschichte. Es muss aufscheinen, dass Gott da ist, gegenwärtig ist und lebendig ist. So wird Gott mit unserem Leben, unseren Fragen und Problemen verbunden.

Woher Hilfe kommt
Einer solchen Vermittlung von Gotteserfahrung steht heute oft die Kirche als Institution entgegen. Die Institution ist wichtig, aber sie wird heute oft als „Bürokratie“, als Betrieb, Organisation, als Struktur empfunden. Dies wird oft gerade auch auf ökumenischer Ebene erfahren. Die Anonymität wird beklagt. Gotteserfahrung geschieht in persönlicher Begegnung. Spirituelle Einübung ist gefragt. Die Suche nach Spiritualität gibt es in vielen Kreisen innerhalb und außerhalb der Kirchen. Der Begriff „Mystik“ spielt wieder eine neue Rolle.

Von Karl Rahner stammt das bekannte Wort: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein oder er wird nicht sein.“ Daran ist richtig, dass der Glaube Innerlichkeit braucht, um die Tiefe der menschlichen Existenz zu erreichen. Nur wo das geschieht, trägt und hält er den Menschen. Gott kann nicht nur durch Aktion und intellektuelle Bemühung erfahren werden, sondern er wird vor allem durch Innerlichkeit und Einfachheit erfahren. Die Aufgabe der Kirche besteht heute mehr als sonst darin, die Menschen zu der Erfahrung zu führen, dass sie von Gott geliebt und angenommen sind. Deshalb sind die vielfältigen Bemühungen um neue Formen der Exerzitien und der Einübung in Spiritualität sehr zu begrüßen. Es geht hier um die Einübung in das persönliche Gebet und in die Meditation. Das Bemühen um entsprechende Gottesdienste ist hier sehr wichtig. Immer aber wird die persönliche Begegnung eine große Rolle spielen.

Die Bemühungen um Gotteserfahrung begegnen zwei wichtigen Erfahrungen des
modernen Menschen. Das moderne Leben ist gekennzeichnet durch starke
Differenzierung sowie durch Individualisierung und Egoismus. Der Glaube an Gott zeigt bei aller Differenzierung die Einheit, die das Ganze des Lebens umfasst. Wir Menschen brauchen diese Sicht der Ganzheit, um uns nicht zu verlieren. Zum anderen wirkt die Begegnung mit Gott und den Mit-Glaubenden den Gefahren der Individualisierung entgegen. Die Individualisierung neigt zur subjektiven Beliebigkeit und zur Egozentrik. Diese Gefahren werden durch die persönliche Begegnung mit Gott und untereinander gebannt. Im Glauben, der ihn erfahren lässt, dass er von Gott geliebt ist, findet der Mensch zu sich selbst, und darin wird er fähig, den anderen zu lieben.

 

P. Dr. Heribert Bettscheider SVD