Fest der Heiligen Familie (B)

Predigtimpuls

Befreiende Begegnungen

1. Lesung: Sir 3,2-6.12-14
2. Lesung: Kol 3,12-21
Evangelium: Lk 2,22-40

 Befreiende Begegnungen

Befreiende Anzeigen in der Tageszeitung
„Früher war alles anders, besser.“ Diesen Einwand hören wir oft bei Diskussionen über die aktuelle Situation unserer Familien. Man klagt über den Werteverfall. Aber was war denn eigentlich alles anders? Sicher, es gab nicht die aufgebauschten Mythen vom Ideal des Single-Daseins (oft nur eine Situation auf Abruf!), vom Kind als Job-Killer, von den Alleinerziehenden, von der Angst vor endgültigen Bindungen. Aber war wirklich alles anders? Gibt es nichts, was früher so war, und was auch heute noch so ist?
Ich lese gern in den Tageszeitungen die persönlichen Anzeigen (Geburten, Tod,
Hochzeiten). Sie geben mir einen Einblick in die je aktuelle innere Überzeugung und die Gernütsverfassung der Betreffenden. Und bei dieser Lektüre kommt es wie eine befreiende Erkenntnis über mich: Alles ist ja gar nicht so anders. Es gibt ja noch junge Menschen, bei denen der „Werteverfall“ in der Familie noch gar nicht angekommen ist.
Einige Kostproben:
In „wilder Ehe“, nun im elften Jahr, sagen wir zueinander „Ja“. Wir heiraten am ...
Wir mussten nicht ... wir wollten einfach ... wir haben uns getraut ... Wir heiraten ...
Wir haben niemals „nie“ gesagt ... Wir heiraten am ...
Lieber Lars, Deine Eltern haben höhere Ausgaben, kürzere Nächte, weniger Freizeit, mehr Sorgen – aber auch 6 kg mehr Freude.
Auf ein wunderbares gemeinsames Leben mit Isabel freuen sich die Eltern, Großeltern und die stolze Ur-Oma.
Marta, das Leben ist wild und gefährlich. Ab sofort passt dein großer Bruder auf dich auf. Wir freuen uns auf das neue, wilde Leben zu viert.
Mit dem heutigen Tage habe ich Unterstützung bei der Erziehung meiner Eltern erhalten. Ich freue mich über die Geburt meiner kleinen Schwester.


Es ist gar nicht alles anders. Es gibt noch Frauen und Männer, die sich lieben, die
sich ganz überlegt öffentlich die Treue versprechen, die staunend ihr(e) Kind(er)
betrachten, sich ihrer Verantwortung bewusst sind und mit den Kindern wachsen
und Familie werden wollen. – Und das mitten im Familienpessimismus mit den verschiedenen erschreckenden Statistiken und Umfragewerten. Befreites Durchatmen: Bei allem Wandel in den Auffassungen lebt in den Herzen ein echter Keim fort: Treue und Liebe füreinander und die gemeinsame Bereitschaft „Familie“ zu werden, realistisch, freudig gewagt, bewusst und klarsichtig entschieden. „Wir haben uns getraut ...“

Befreiende Begegnung mit der Heiligen Familie im Tempel
Im jüdischen Gesetz war vorgeschrieben, dass jeder Erstgeborene Gott geweiht war. Die Familie konnte ihn jedoch durch ein Tieropfer loslösen; er wurde gleichsam von der ausschließlichen Gottzugehörigkeit befreit. Er gehörte der Familie. Maria und Josef brachten den erstgeborenen Jesus in den Tempel, um ihn „Gott zu weihen“. Sie anerkannten Gottes Rechte über dieses Kind. Gleichzeitig erfüllten sie das Opfergesetz, um Jesus für sich zu haben; – ein ganz gewöhnlicher Vorgang in einer jüdischen Familie.
Aber hier geht er nicht reibungslos über die Bühne. Die junge Familie wird von
den greisen Simeon und Hanna gestellt, und der „Freikauf“ des Kindes wird umgewandelt in ein neues, noch festeres Festbinden des Kindes an Gottes Plan durch die Offenbarung seiner Berufung: das Heil für alle Völker, das Licht für die Heiden, die Herrlichkeit Israels; viele werden sich an ihm aufrichten; er wird ein Zeichen des Widerspruchs sein. Damit ist das Kind unwiderruflich festgenagelt in Gottes Heilsabsichten; – von Freikauf keine Rede. Und die ganze Familie (bsd. Maria) wird hineinbezogen. Sie empfangen Simeons Segen und seine Verheißung für Maria: „Dir selbst wird ein Schwert durch die Seele dringen“; sie wird den leidensvollen Weg ihres Sohnes aktiv begleiten.
Sie selbst – und wir mit ihnen – erleben staunend das Ergebnis der Begegnung
Simeons (und Hannas!) mit dieser „Heiligen Familie“: Ganz erlöst stimmt er den
Lobgesang seiner „Befreiung“ an (der vierte und letzte Hymnus in der Kindheitsgeschichte bei Lukas): „Nun lässt du deinen Knecht in Frieden scheiden.“ Das hier gebrauchte Wort „entlassen“ bezeichnet im AT die Freilassung von Gefangenen. Es muss nicht unbedingt im übertragenen Sinne wie in unserer Übersetzung als Entlassung aus dem Leben in den Tod verstanden werden. Genau so treffend wäre: Nun befreist du mich aus aller ängstlichen Erwartung, machst mich frei von allem besorgten Warten, Zweifeln, Ungewissheiten, Verstrickungen, – frei für den Frieden im Herzen. Begegnung mit der Heiligen Familie bedeutet Befreiung zum wahren Frieden.

Befreite Familien durch die Begegnung mit der Heiligen Familie
Begegnungen mit anderen Menschen, die unsere eigenen Ideale teilen und sie
vielleicht noch viel besser verwirklichen als wir, können eine befreiende Wirkung
auf uns ausüben. Wir fühlen uns nicht mehr isoliert in einer an den Rand gedrängten Minderheit. Sie befreien uns von zerstörerischen Minderwertigkeitskomplexen. Ich fühle mich nicht mehr eingeengt von einer mir feindlichen Übermacht. Ich habe Handlungsspielraum, indem ich sie auf mich einwirken lasse. Das ist der Sinn vieler kirchlicher Feste und auch der Sinn des heutigen Festes der Heiligen Familie.
Allein schon ihre Existenz befreit uns: Da ist eine Familie die sich getraut hat, trotz allem ein Kind zu bekommen; Eltern, die staunend vor ihrem Kind stehen, die sich von ihrem Kind erziehen lassen, Eltern, die das wilde Leben ihres Kindes erahnen und seine Lebensaufgabe wohlwollend begleiten, auch wenn das erhebliche Einschränkungen erfordert. So begegnen wir: Die Fesseln der Mutlosigkeit, des Zweifelns, des Sich-isoliert-fühlens fallen. Befreit und gestärkt gehen wir unseren Weg, mit der Heiligen Familie und allen, die das gleiche Ideal haben wie wir. Und so werden wir selbst Heilige Familie.

Heilige Familien als befreiendes Element
Im Kolosser-Brief ruft Paulus uns zu: „Ihr seid von Gott geliebt; seid seine auserwählten Heiligen.“ Wir können hinzufügen „Familien“. Heilige Familien, aber nicht in dem Sinne, dass alles schon erreicht wäre. Alles bleibt in Bewegung und auf dem Weg, noch heiliger und befreiter zu werden. Sich ertragen, einander vergeben, einander lieben, Frieden im Herzen haben, das sind nur einige Punkte, die Paulus als Merkmal seiner Heiligen anführt, als Berufung der Glieder des einen Leibes Christi, die sich ganz besonders in der Familiengemeinschaft spiegeln sollte.
Wir, Heilige Familien, könnten eine befreiende Wirkung auf andere Familien ausüben, die dann, befreit wie wir aus den Fesseln einer schwer auf uns lastenden
öffentlichen Meinung, ihrem Ideal nachstreben.
Früher war gar nicht alles anders; – und es sollte auch gar nicht alles anders sein, nur befreiter, damit wir uns entsprechend unseren inneren Sehnsüchten entwickeln.

 

P. Heinrich Schwis SVD