2. Sonntag nach Weihnachten (B)

Predigtimpuls

Die Kraft des göttlichen Wortes

1. Lesung: Sir 24,1-2.8-12 (1-4.12-16)
2. Lesung: Eph 1,3-6.15-18
Evangelium: Joh 1,1-18
oder Joh 1,1-5.9-14


Die Kraft des göttlichen Wortes
Es gibt Streit am Frühstückstisch. Wie so oft entzündete er sich an einer Lappalie. Vater versteckt sich hinter seiner Zeitung, Mutter zieht sich in die Küche zurück. Als er nach seiner Zeitungslektüre an der Küchentür vorbei kommt und ihr eine Frage stellt, schlägt ihm nur eisiges Schweigen entgegen. Sie ist so richtig sauer. Mehrmals versucht er, ihr Schweigen zu brechen – ohne Erfolg. Auch beim Mittagessen fällt kein Wort.
Gegen 14 Uhr erwischt sie ihn in der Küche. Er zieht jede Schublade auf und sieht
forschend hinein. Jede Schranktür macht er auf und seine Blicke schweifen suchend umher. Schließlich hält sie es nicht mehr aus: „Was suchst Du denn, um Himmels willen?“ Er schaut sie an und strahlt: „Ich habe verzweifelt nach deiner Stimme gesucht. Gott sei Dank habe ich sie gefunden!“ Beide lächeln sich an. Sie sind versöhnt.
Was kann ein Wort alles bewirken! Es kann einen Streit oder gar einen Krieg entfachen. Es kann aber auch Frieden und Versöhnung stiften. Ein Wort kann
Ablehnung signalisieren und unglücklich machen. Es kann aber auch Zuneigung
ausdrücken und einen Menschen zutiefst glücklich stimmen. ‚Die berühmten drei
Worte: Ich liebe dich’ (so ein Schlagertitel) können einen Menschen in den viel
zitierten siebten Himmel versetzen und sein Leben total verändern.

Jesus, das menschgewordene Göttliche Wort
Als Evangelium haben wir die ersten Verse des Johannesevangeliums gehört. Man nennt sie auch den Prolog oder den Eingangshymnus des Johannesevangeliums. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott“, lautet der erste Vers des Prologs, welcher dann endet in der quasi weihnachtlichen Botschaft: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Wir verstehen, da ist von Jesus die Rede. Johannes stellt uns Jesus vor als Gott, der in die Welt gekommen ist und zu uns Menschen gesprochen hat. Johannes offenbart so dem Leser seines Evangeliums gleich zu Beginn, wer dieser Jesus seinem eigentlichen Wesen nach ist: das menschgewordene göttliche Wort. Wer ihn hört, der hört Gott selbst zu den Menschen sprechen.

Das ‚Wort’ im orientalischen Denken und im Denken der Hebräer
Im Kulturbereich, in dem Johannes sein Evangelium schreibt, hat der Ausdruck ‚Wort’ einen eigenen Charakter. Bei Ägyptern und Babyloniern, bei Phönikern und Assyrern ist das Wort eine Kraft. Es bricht aus dem Mund eines Gottes hervor und trägt seine Macht durch die Welt. Es ‚fährt wie ein Wetter einher’, heißt es über das Wort in babylonischen Schriften, es ‚zerreißt die Himmel und erschüttert die Erde’. Es ist wie eine ‚anstürmende Flut’, wie ein ‚Hochwasser, das den Damm durchbricht’ – und wir haben vielleicht noch die Macht des Wassers bei der letztjährigen Hochwasserflut vor Augen. Sogar wenn das Wort ‚leise einhergeht, vernichtet es das Land’.
Im Ersten Testament hat nun das ‚Wort’ einen ganz ähnlichen Klang. Und doch
unterscheidet sich das ‚Wort’ der Hebräer in seiner Bedeutung von jener der umliegenden Kulturen, wie der Bischof von Innsbruck Dr. Reinhold Stecher in einem kleinen Artikel über das ‚Wort’ in der Hl. Schrift schreibt: „Es ist nicht nur Kraft, es trägt auch etwas vom tiefsten Wesen des einzigen Gottes mit sich, und so wird in der heiligen Schrift des Alten Bundes das ‚Wort’ eine geisterfüllte Dynamis… Das Wort in den Heiligen Büchern tritt auf: als kraftvolles, schützendes, herrliches, gütiges, stärkendes, tröstendes, erschaffendes. Und dieser wunderbare, tiefe, in Jahrtausende greifende Ausdruck ‚Wort’ wird nun zum Träger des größten Geheimnisses, zum Ausdruck für den Sohn Gottes, den Christus, der das Alpha und Omega ist, in dem sich alle Weisheit und alle göttliche Dynamis versammelt.“

Jesus, das kraftvolle und wirksame Wort Gottes
Dieser Jesus offenbart sich von Anfang an als das die Menschen in Staunen versetzende, dynamische und mächtige Wort Gottes.
Vom zwölfjährigen Jesus im Tempel heißt es: „Alle, die ihn hörten, waren erstaunt über sein Verständnis und über seine Antworten“ (Lk 2,47).
Dem Dämonen befielt er: „Schweig und verlass ihn!“ (Lk 4,35). Im darauf folgenden Vers heißt es dann: „Und einer fragte den andern: was ist das für ein Wort?
Mit Vollmacht und Kraft befiehlt er den unreinen Geistern und sie fliehen.“
Dem Sturm auf dem See droht er: „Schweig, sei still!“, und der Sturm legt sich. Die Menschen sagen zueinander: „Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar der
Wind und der See gehorchen?“ (Mk 4,39.41).
„Steh auf!“, gebietet er dem Gelähmten, und der Mann steht sofort auf und geht vor aller Augen weg. Und die Leute sagen: „Heute haben wir etwas Unglaubliches
gesehen“ (Lk 5, 26).
Den Zöllner Levi lädt er ein: „Folge mir nach!“, und Levi verlässt alles und folgt
ihm (Lk 5,27f).
Im Anschluss an seine Rede in seiner Heimatsynagoge in Nazaret heißt es: „Seine
Rede fand bei allen Beifall; sie staunten darüber, wie begnadet er redete“ (Lk 4,22).

Auch heute noch
Auch heute noch berichten Menschen von ihrer Begegnung mit dem Worte Gottes, sei es in der Bibel oder auf einem anderen Weg: wie sie die Kraft des göttlichen Wortes zum Staunen bringt, und was das Wort in ihnen bewirkt. Sie bezeugen, dass Gottes Wort kraftvoll ist und bis in die Gegenwart hinein ein Menschenleben verändern kann.
Auch heute noch fühlen sich Menschen von Gottes Wort, von Jesus gerufen. In aller Welt sind sie bereit, „auf sein Wort hin“ alles liegen und stehen zu lassen, um ihm nachzufolgen.
Auch heute versammeln sich, u. a. auch in Südamerika und Afrika, wöchentlich
Christen in überschaubaren Basisgemeinschaften, um Gottes Wort gemeinsam zu
lesen und zu teilen. Aus ihm schöpfen sie Kraft und Mut, ihr oft schwieriges Leben zu meistern und tatkräftig die Zukunft anzugehen.
Auch heute noch spüren Menschen in Krankheit und Not, dass Gottes Wort tröstet und Halt gibt. „Ohne die regelmäßige Meditation des Wortes Gottes hätte ich nicht die Kraft gehabt, durchzuhalten“, bekennen sie.
Auch heute noch dient das Wort Gottes Millionen von Menschen auf der Welt als
tägliche Orientierung für ihr Leben. Sie erfahren Jesus als Weggefährten und spüren, dass sein Wort ihrem Leben Fundament und Halt gibt.

2003 – „Das Jahr des Wortes Gottes“
Am Anfang dieses neuen Jahres, das die Kirche in besonderer Weise als das „Jahr des Wortes Gottes“ begeht (das Jahr 2003 ist zum „Jahr der Bibel“ erklärt worden), verkündet uns der Evangelist Johannes die Frohe Botschaft, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist und uns seine göttliche Liebe zusagt. In Jesus verleiht er sich Stimme, eine kraftvolle, schützende, gütige, versöhnende und tröstliche Stimme, die niemals schweigt oder sich uns entzieht. In Jesus spricht Gott ein bleibendes Liebeswort zu uns Menschen. „Es geht“, um noch einmal Bischof Stecher zu zitieren, „um jenes Wort, das in seiner ganzen wunderbaren Fülle mit uns durchs Leben wandert, wie damals, auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus.“
 

P. Manfred Krause SVD