1. Adventssonntag (A)

Predigtimpuls

Zum Wesen christlicher Hoffnung

1. Lesung: Jes 2,1-5
2. Lesung: Röm 13,11-14a
Evangelium: Mt 24,29-44

Wiedersehen
Es kommt nicht oft vor, dass ich von einem Bild in der Zeitung tief berührt werde. Es ist schon eine Weile her, dass in der Süddeutschen Zeitung auf der Titelseite ein solches Bild zu sehen war; ein Bild, das einem so schnell nicht aus dem Kopf geht. Es war das herzzerreißende Foto eines nord- und südkoreanischen Ehepaares, das sich nach mehr als fünfzig Jahren gewaltsamer Trennung – nämlich durch den Koreakrieg von 1950-53, der die Teilung der Halbinsel in das kommunistische Nordkorea und das freie Südkorea (seit 1945) brutal fixierte – wieder in den Armen hält. Inmitten der Freude des Wiedersehens bricht aus dem Gesicht des Mannes der ganze Schmerz dieser fünfzig Jahre aus. Er ist eines von Abermillionen Opfern einer Ideologie, die das Paradies auf Erden ohne Gott versprach, und die Hölle über eine unvorstellbare Zahl von Menschen, Familien, ja ganze Völker brachte.

Wer wissen will, was es heißt, zu hoffen und zu warten; was es heißt, fünfzig Jahre, vielleicht Tag für Tag, gehofft und gewartet zu haben, ständig hin und hergerissen zwischen Hoffnung, Resignation, Verzweiflung und doch wieder Hoffen wider alle Hoffnung, der kann das im Gesicht dieser Menschen sehen. Was sich hier widerspiegelte, ist etwas zutiefst Menschliches. Jeder von uns kennt es, das Gefühl des Hoffens und des Wartens auf das Erhoffte; und je größer die Hoffnung und der Schmerz des Entbehrens war, um so tränenreicher und erfüllter die Freude, wenn es uns schließlich doch gewährt wird. Nun ist aber Hoffen und Warten nicht nur etwas zutiefst Menschliches, sondern zugleich eines der Grundmerkmale des Christlichen, so sehr, dass die Hoffnung neben dem Glauben und der Liebe zu den drei theologischen Tugenden gezählt wird. Aber das christliche Hoffen und Warten hat eine ganz besondere, eine im Grunde einmalige, unvergleichliche Note, an die uns die Adventszeit jedes Jahr aufs neue erinnern und in die sie uns einüben möchte.

Grundmerkmale christlicher Hoffnung:
1. Dieses Leben ist nicht schon alles

Was ist dieses Unvergleichliche, das das christliche Hoffen und Warten auszeichnet?

Ich möchte vor allem zwei Punkte nennen.

Der erste ist: Es kennt eine bestimmte Sorte von Angst nicht. Angst scheint eines der hervorstechenden Merkmale unserer Zeit zu sein. Nicht nur die Angst vor einer ungewissen und bedrückenden Zukunft, vor Arbeitslosigkeit, schwerer Krankheit, Leid, Tod; sondern oft mehr noch die Angst, das Leben zu verpassen, es nicht voll auszukosten, etwas zu versäumen, nicht alles zu bekommen, was mein Leben angeblich erst lebenswert macht.

Warum muss ein Christ vor allem diese letztere Angst nicht haben? Er muss sie nicht haben, weil er hier auf Erden nicht schon alles haben muss. Weil er weiß: Alles in diesem Leben Erhoffte ist eine Spur zu klein für das letztlich Erhoffte. Ich kann gelassen auf das viel Größere warten, und das wird Gott mir schenken, wenn ich es von Ihm erwarte.

Letztlich ist Gott selbst dieses größte und eigentlich ersehnte Geschenk. Im Evangelium trägt es den Namen des kommenden Menschensohnes, den Namen seiner geheimnisvollen (zweiten) Ankunft. Er will unsere kleinen Hoffnungen – Essen, Trinken, Heiraten, ein gutes, abgesichertes, aber restlos diesseitsorientiertes Leben – emporreißen zu einer weit darüber hinausgehenden Hoffnung, für die wir bereit sein sollen. Denn unser Hoffen ist so groß, dass es letztlich allein Gott erfüllen kann. Es ist so groß von Ihm in uns hineingelegt, damit wir nie aufhören, ihn zu suchen. „Gott allein genügt“, so formuliert es die hl. Theresia von Avila. Wer aus solcher Hoffnung lebt, kann daher auch sehr viel gelassener Enttäuschung, Verlust,
Einschränkung, Verzicht ertragen.

2. Wir hoffen auf den, der schon da ist

Der zweite Punkt ist: Christliches Hoffen erstreckt sich nicht nur auf eine erst noch ausstehende Zukunft, sondern auf etwas, das schon gekommen ist und je jetzt, wenn auch in verhüllter Weise, kommt, z.B. in den Sakramenten, zuhöchst in dem der Eucharistie. Außerdem bezieht es sich auch nicht auf etwas, sondern auf Jemand; auf Christus gestern, heute und in Ewigkeit, auf den, der war und der ist und der kommen wird, wie Johannes im Buch der Offenbarung schreibt; auf den, der daher alle Zeit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erfüllt.

Die Adventszeit will uns an diesen Wesenszug christlichen Hoffens immer wieder neu erinnern. Aber gelingen wird es nur, wenn wir uns über all der (wohl unvermeidlichen) Geschäftigkeit dieser wenigen Wochen vor Weihnachten Zeit nehmen, wenn nötig, die Zeit stehlen für Den, der unsere Hoffnung ist. „Seid also wachsam!

Haltet auch ihr euch bereit!“, sagt Jesus im heutigen Evangelium. Christsein ohne Wachsamkeit für Christus, ohne Achtsamkeit auf Sein Gekommensein und Sein beständiges Kommen je jetzt zu mir, nicht zuletzt in der Feier der Eucharistie, in der Er sich mir als Speise für mein Leben jetzt darreicht, Christsein ohne Gebet wird stumpf, lässt das Zentrum unserer Hoffnung verkümmern, führt dazu, dass das entstehende Hoffnungsvakuum durch alles mögliche Zweitrangige aufgefüllt wird. Etwas mehr als sonst zu wachen und zu beten in den kommenden Wochen auf Weihnachten hin und so unserem Hoffen und Warten letztlich auf Christus neue Nahrung zu geben, könnte ein schöner Vorsatz für die Adventszeit sein: Zum Beispiel der Besuch eines Werktagsgottesdienstes oder (vor der Arbeit) eines der Rorateämter, die stille Gebetszeit daheim, ein kurzes Verweilen in der Stille der Kirche, Lesen in der heiligen Schrift und vieles mehr. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen allen eine gesegnete Adventszeit.

Pfr. Bodo Windolf