Weihnachten (H) - In der Heiligen Nacht

Predigtimpuls

Die Herrschaft des Kindes

1. Lesung: Jes 9,1-6
2. Lesung: Tit 2,11-14
Evangelium: Lk 2,1-14

 

Der göttliche Glanz einer Geburt

Es ist keine Frage, auch in einer vielleicht eher kinderfeindlichen Gesellschaft ist die Geburt eines Kindes immer noch ein freudiges Ereignis. Man ist vom Neuen überwältigt, als hätte das Wunder des Lebens neu begonnen. In vielen Punkten muss man sich in der Familie nun umstellen. Das Neugeborene wird gleichsam zum Mittelpunkt des Lebens. Was für ein Aufschrei geht durch die Gesellschaft, wenn Neugeborene von den Eltern nicht angenommen, ja vielleicht sogar ausgesetzt oder getötet werden. Jeder empfindet dies als Verstoß am Leben selbst. Im Kind erscheint das Menschsein als Wunder und Geschenk. 

Nicht umsonst wird Weihnachten in der modernen Gesellschaft gleichsam zum Fest des Kindes und der Familie, auch wenn es oft schon vom religiösen Hintergrund abgekoppelt erscheint. Zeigt nicht das Wunder einer jeden Geburt tatsächlich auf etwas Großes hin, auf etwas, das die Machbarkeit des Menschen übersteigt? Schimmert nicht im geschenkten Leben ein Glanz von Ewigkeit auf? In der Geburt eines Kindes offenbart sich etwas Göttliches.

 

Allein der Glaube schenkt die Weihnachtsfreude

Ist es da so unwahrscheinlich, dass Gott tatsächlich in einem Kind zu uns kommt? Vielleicht hat sich gerade deswegen das Weihnachtsfest am tiefsten in das Gemüt des Menschen eingegraben. Kaum sonst wo kommt die Dimension des Göttlichen uns so nahe wie in der Weihnachtsnacht. Aber wir dürfen nicht beim Gefühl stehen bleiben. Erst der Glaube an den menschgewordenen Gott in Jesus führt uns in die volle Tiefe der göttlichen Begegnung. Dieser Glaube aber steigt nicht aus der Tiefe unserer Gefühle, sondern ist die Antwort auf eine Botschaft, die den Hirten damals wie auch uns heute gleichsam von außen her gesagt wird: „Heute ist euch der Retter geboren, Christus der Herr.“ Die eigentliche Weihnachtsfreude kommt aus der gläubigen Annahme dieser Botschaft und dem anbetenden Staunen.

Die Bedeutung der Menschwerdung Gottes erschließt sich uns natürlich erst in der Betrachtung des gesamten Lebens Jesu. Aber dieses Leben ist im Kind wie in einer noch verschlossenen Knospe schon vorhanden. Im Kind nimmt Gott an unserem Leben teil und erschließt uns sein Wesen als „Gott mit uns“. Er kommt nicht in die Welt im Rausch der Macht oder irdischer Größe, sondern in der Gestalt eines Kindes. Darin liegt eine tiefe Botschaft, die wir kurz betrachten wollen.

 

Die Würde des menschlichen Lebens

Der erste Artikel unseres Grundgesetzes garantiert den Respekt vor jedem menschlichen Leben und dessen Schutz. Dem kann jeder gläubige oder ungläubige Mensch zustimmen. Aber – so soll einmal der Atheist Ernst Bloch selbstkritisch gefragt haben – warum sollte ich eigentlich den anderen Menschen respektieren, wenn es keinen Gott gäbe? Was würde mich hindern, mich selbst gegen den anderen zu behaupten, wenn es zu meinem Vorteil wäre? Der Humanismus allein kann darauf keine Antwort geben, indem er versucht, den Menschen aus sich selbst zu erklären. Erst von Gott her lässt sich die Würde des Menschen bestimmen. Ohne Gott wäre unser Leben gar nicht verständlich, hätte kein Ziel und keine Bedeutung. Schon in der Schöpfungsgeschichte hören wir, dass der Mensch ein Abbild Gottes ist. Zu Weihnachten verstehen wir diesen Satz tiefer. In Jesus ist das menschliche Antlitz tatsächlich Gottes Abbild geworden. Weil Gott dieses Leben mit uns mitgelebt hat, ist es von unendlicher Würde. Der Staat macht nicht den Menschen zum Menschen, er kann nur schützen, was von Gott gegeben ist. Das christliche Abendland ist von diesem Grundsatz der Menschenwürde in Gott geprägt. Es wäre nicht falsch gewesen, dies in der europäischen Verfassung festzuhalten.

Jede Geburt eines Menschen weist uns auf diese von Gott gegebene Wirklichkeit hin. Zu Weihnachten werden wir uns dessen wieder neu bewusst. Der Mensch und seine Würde ist die Begegnungsstätte zwischen Gott und dem Menschen. In der Göttlichkeit des Kindes von Bethlehem soll uns selbst wieder unsere ewige Bestimmung aufgehen.

 

Die kindliche Herrschaft Gottes 

Die erste Lesung des heutigen Festes stammt aus dem Propheten Jesaja. Mit der Vision der Geburt eines Kindes verbindet der Prophet den Beginn eines Friedensreiches, das ewig Bestand haben wird. Er nimmt damit die uralte Vision Israels auf, dass aus dem Geschlecht Abrahams der Segen für alle Menschen ausgehen wird. Der König von Israel wurde schließlich das Symbol der Königsherrschaft Gottes über die Welt. Aber jeder in Israel wusste, dass kein menschlicher König letztlich einholen könnte, was Gott als Verheißung gegeben hat. Deshalb wird die Ankunft des eigentlichen Königs in die Zukunft projiziert aber in solch einer Weise, dass er alle irdischen Vorstellungen zersprengt.

Wunderrat, Gottheld, Ewigvater, Friedensfürst“ sollten seine Namen sein. Allein schon die Worte sprengen unseren Sprachgebrauch. Ja, der zukünftige ersehnte Friedensfürst muss mit göttlicher Kraft ausgestattet sein, um wirklich ein ewiges Friedensreich gründen zu können. Aber diese göttliche Kraft sieht der Prophet in einem Kind, auf dessen Schultern die Herrschaft der Welt gelegt wird. Für uns Christen ist diese Vision wahr geworden. Im Kind vom Bethlehem sehen wir den Friedensfürst Gottes.

 

Die göttliche Kraft des Kindseins 

Dabei ist das Kind-Sein selbst schon eine Botschaft. Im Kind sehen wir die Hilflosigkeit und Zerbrechlichkeit des menschlichen Wesens. Wenn Gott seine Herrschaft über die Welt aufrichtet, dann bedarf es keines Geschreis und keines Lärms, keiner Waffen und keiner weltlichen Insignien. Gott stellt sich wehrlos und hilflos wie ein Kind an die Seite der Menschen. Er nimmt teil am Wachstum des Menschen, an seinen Hoffnungen und Sehnsüchten, aber auch an seinem Leiden und seinem Tod. Hilflos wie ein Kind hat sich Jesus seinen Widersachern ausgeliefert, wehrlos ließ er sich schlagen. Sein Leben war zerbrechlich wie das eines jeden Menschen.

Im Kind-gewordenen Gott zeigt sich die wahre Dimension der Herrschaft Gottes. Es ist die Herrschaft des Geistes, die die Welt verändert. Sind nicht viele Christen im Laufe der Geschichte als einfache Bekenner oder Märtyrer den gleichen Weg gegangen? Äußerlich mag sich die Kirche manchmal mit den Mitteln weltlicher Herrschaft ausgebreitet haben. Was aber Bestand hatte, war immer der kindliche Geist der Hilflosigkeit und Hingabe. Ein Beispiel aus Indien: Im August 2004 überfielen hinduistische Fanatiker eine Kirche, entweihten und verwüsteten sie auf schreckliche Weise. Die am Ort lebenden Christen mussten diesem Vandalismus hilflos zusehen. Aber, so schreibt Erzbischof Cheenath aus Orissa, gerade diese Wehrlosigkeit und Friedfertigkeit der Christen hat auf die Nichtchristen und die Regierungsbeamten Eindruck gemacht. Ohne weitere Angriffe konnte die Kirche wieder neu aufgebaut werden.

Wir brauchen uns nicht um die Ausbreitung des Reiches Gottes mit weltlichen Mitteln zu sorgen. Der Weg der Herrschaft Gottes ist der Weg eines Kindes. ‚Werdet wie die Kinder’, sagt Jesus. Im kindlichen Gottvertrauen und im einfältigen Dienst am Mitmenschen kommt etwas Göttliches zum tragen, das letztlich die Welt verändert. Das Christkind in der Krippe soll uns wieder auf die göttliche Kraft des Kindseins verweisen.

 

P. Martin Neuhauser SVD