Maria, ohne Erbsünde empfangen (H)

Predigtimpuls

„Der Herr ist mit dir“

1. Lesung: Gen 3,9-15.20
2. Lesung: Eph 1,3-6.11-12
Evangelium: Lk 1,26-38

„Der Herr ist mit dir“

Maria hat geholfen
Wer hat nicht schon einmal einen Marienwallfahrtsort besucht und dort, sei es aus Solidarität mit den vielen Betern und Hilfesuchenden oder aber aus eigenem Bedürfnis in stillem Gebet verweilt und eine Kerze angezündet? Es ist schwer, sich der Atmosphäre des Vertrauens und der Gnade zu entziehen, in die ein solcher Ort gehüllt ist. Der aufrichtige Beter wird unversehens in die Lebens- und Erfahrungswelt der Gottesmutter hineingenommen. Sie ist ihm plötzlich ganz nahe als die Mutter, die ihn versteht und seine Sorgen und Nöte zu den ihren macht. Sie ist es. Die in oft auswegloser Situationen Trost zu spenden versteht und immer noch einen Weg weiß, der einem verfahrenen Leben neue Impulse geben und neue Hoffnung schenken kann. Davon geben die vielen Plakate und Täfelchen mit dem Vermerk: „Maria hat geholfen“ Zeugnis. Woher kommt diese Weisheit und Kraft, die Zerstörtes wiederherzustellen vermag und Hoffnung schenkt, wo man der Verzweiflung nahe ist?

„Du hast Gnade gefunden bei Gott“
Wohl nirgendwo ist die Antwort deutlicher ausgesprochen als in dem einfachen Wort aus dem Gruß des Engels an Maria: „Der Herr ist mit dir“, ergänzt durch das kurz darauf folgende Wort: „Du hast Gnade gefunden bei Gott.“ Der Inhalt des gesamten Alten Testamentes, der als Verheißung des Heils das Erwählte Volk auf seinem Weg durch die Geschichte begleitet, richtet sich auf den „Emmanuel – Gott mit uns“. In ihm und durch ihn soll die Verheißung sich erfüllen. In und durch Maria aber geschieht dieser letzte, konkrete und entscheidende Schritt auf die geschichtliche Erfüllung hin. Maria ist die reine Erde, wo alles, was Gott sagt und tut, hundertfähige Frucht bringt und Gottes Liebe als kreative Gnade immer wirksam bleibt. Sie ist das Gefäß, das alles aufzunehmen vermag, was Gott schenkt. Nichts geht verloren, nichts wird entstellt, alles bleibt in seiner ursprünglichen Kraft, Schönheit und Würde erhalten und wirkt.

Gott selbst hat sich dieses Gefäß erwählt und in seiner Unschuld und Reinheit bewahrt. Erst nach nahezu zweitausend Jahren christlicher Erfahrung bringt die Kirche in einem Glaubenssatz eine Wahrheit zur Sprache, aus der sie schon immer gelebt hat: „Maria, die Mutter des Herrn, ist vom ersten Augenblick ihrer Existenz an von allem Einfluss des Bösen und von jeder Sünde bewahrt geblieben und wurde damit voll aufnahmefähig für das wunderbare Wirken Gottes, das auf das Heil des Menschen gerichtet ist.

„Ich bin die Unbefleckte Empfängnis“
Als die 14-jährige Bernadette Soubirous 1858 erzählte, ihr sei in einer Grotte bei Lourdes die Jungfrau erschienen, wurde sie zunächst nicht ernst genommen. Das änderte sich erst nach der 16. Erscheinung, in der Maria ihren Namen offenbarte: „Ich bin die unbefleckte Empfängnis.“ Als die kirchliche Obrigkeit davon erfuhr, war die Überraschung groß. Schließlich hatte Pius IX. erst vier Jahre zuvor das umstrittene Dogma von der unbefleckten Empfängnis Mariens verkündet. Sollte nun die Gottesmutter wirklich persönlich auf Erden erschienen sein, um das am 8. Dezember 1854 erlassene Dogma zu bestätigen? Als der Pfarrer von Lourdes Bernadette im Rahmen eines Verhörs fragte: „Und weißt du auch, was das bedeutet: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis?“ erhielt er von ihr die Antwort: „Oh nein. Das weiß ich nicht.“ Vermutlich ergäbe heute eine Umfrage unter den Christen ein ähnliches Ergebnis. Das Wissen um die Erbsünde und die damit verbundenen katastrophalen Folgen für die gesamte Menschheit ist im Bewusstsein des heutigen Menschen einfach nicht vorhanden. Auch die Vorstellung von persönlicher Sünde ist für viele nicht mehr nachvollziehbar, der Gebrauch des Wortes ist inhaltslos und wirkt komisch. Die Diskussion um das Freisein von Erbsünde bleibt im Bereich der theologischen Diskussion und erreicht den Normalbürger nicht mehr, mag er ansonsten auch ein frommer Christ sein.

„Wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erneuert“
Vielleicht ist aber gerade für die heutige Zeit die 1854 verkündete Glaubenswahrheit umso bedeutsamer. Es geht um die Würde des Menschen, ihre Anerkennung und dort, wo sie mit Füßen getreten wird, um ihre Wiederherstellung. „Der Herr ist mit dir, du hast Gnade gefunden vor Gott“, sagt der Engel zu Maria. In der besonderen Begnadigung Mariens wird deutlich, wie es um den Menschen bestellt ist im Blick Gottes. Die Ursprungsabsicht des Schöpfers, den Menschen als sein Bild und Gleichnis in Harmonie mit sich selbst leben zu lassen, wurde durch die Ursünde durchkreuzt, der totale Zerfall wurde eingeleitet. Gott aber wollte den Menschen nicht endgültig fallen lassen. Schon bei der Verstoßung aus dem Paradies wird die Sicht auf einen Erlöser angedeutet. Durch diesen sollte der Mensch in seinem Gottbezug noch wunderbarer wiederhergestellt werden als Gott ihn am Anfang erschaffen hatte. Mit der sündenlosen Empfängnis Mariens hebt nun diese Neuschöpfung an, schon als Auswirkung des zukünftigen Heilstodes Jesu Christi, dessen Mutter sie werden sollte. Das Mädchen aus Nazareth wird zum Gotteskind des Neuen Bundes, frei von der Belastung der Erbschuld. In Maria wird schon im Vorgriff der erlöste Mensch verwirklicht, damit die Menschwerdung des Sohnes Gottes im Schoß einer ganz gottgemäßen menschlichen Mutter geschehen konnte.

Über Jahrhunderte versuchten Theologen und Seelsorger das Geheimnis aussprechbar zu machen und es dem Gottesvolk nahe zu bringen. Die Meinung darüber, ob es als Glaubenswahrheit definiert werden sollte, blieb gespalten. Namhafte Theologen wie der hl. Bernhard von Clairvaux, der hl. Thomas von Aquin und eine Reihe Päpste hatten es nicht für opportun gehalten. Das Bedürfnis aber, die geahnte Wahrheit und das erlebte Geheimnis in einem unmissverständlichen Glaubensbekenntnis zum Ausdruck zu bringen, hielt an, bis vor nunmehr gut 150 Jahren Pius IX. dem theologischen Tasten ein Ende machte und am 8. Dezember feierlich als Glaubenslehre verkündigte, „dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch ein einzigartiges Gnadenprivileg des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erretters des Menschengeschlechtes, von jedem Schaden der Erbsünde unversehrt bewahrt wurde, und dass dies von Gott offenbart wurde und darum von allen Gläubigen fest und beständig zu glauben ist.“

Die kirchliche Aussage von der Unbefleckten Empfängnis Mariens wollte einerseits gewiss Orientierung sein für die Gläubigen, anderseits war sie aber auch eine Reaktion gegenüber der Tendenz, im Namen des Rationalismus und der Aufklärung den Menschen aus aller religiösen Gebundenheit zu befreien, damit er sein eigenes Schicksal selbst in die Hand nehme. Die leeren Kirchen scheinen dieser Bewegung Erfolg zuzugestehen. Noch in den achtziger Jahren war es in Bildungskreisen common sense, dass Religion ein Übergangsphänomen der Menschheitsgeschichte darstellt. Sie wird sich erübrigen, wenn die Menschheitsprobleme einmal gelöst sind. Wir wissen inzwischen, nichts ist gelöst. Nach und nach musste sich dieses Vorurteil der Wirklichkeit beugen. Die Globalisierung von Hass, Gewalt und Betrug überlässt einer schleichenden Angst immer mehr Raum. Die „Sünde“ mit ihren Folgen spricht eine bedrohlich konkrete Sprache.

Das Bekenntnis zur Gottesmutter als der „Absolut Sündenlosen“ bezeugt eine Wahrheit, die den Menschen bis in die Wurzeln seiner Existenz berührt. Sie lässt ihn eine Dimension seines Lebens erfahren, die eben nur über den Glauben erreichbar ist. Dort kann Gottes Gnade unvermindert zur Wirkung kommen, um sein Werk in seiner ursprünglichen Schönheit und Würde wiederherzustellen und zur Vollendung zu führen.

 

P. Anton Weber SVD