Hochfest der Geburt des Herrn, Weihnachten - Am Morgen

Predigtimpuls

Leben und Entscheiden in schwieriger Zeit

1. Lesung: Jes 52,7-10
2. Lesung: Hebr 1,1-6
Evangelium: Joh 1,1-18


Leben und Entscheiden in schwieriger Zeit

Die Erfahrung der Hirten und der Menschen, die auf ihre Botschaft hin zum Glauben fanden, lässt sich nicht kopieren oder einfach nachahmen. Wir müssen schon unsere eigenen Glaubenserfahrungen machen, um zu begreifen, was da damals geschehen ist – ja vielmehr noch, was dies mit uns heute zu tun hat. Auch wenn sich so manche äußeren Umstände und Geisteshaltungen verändert haben und wieder verändern werden, so wird sich der Mensch besonders in Grenzsituationen fragen: Was ist eigentlich der Sinn meines Lebens? Was muss ich tun oder lassen, damit mein Leben einen Sinn erhält, der nicht nur dem Augenblick gewidmet ist. Sondern der auch in schwierigen Situationen Halt gibt? Glauben bedeutet ja „Sich-Festmachen“, „Halt-Finden“, wobei wir mitunter die schmerzliche Erfahrung machen, dass da rein menschliche Beziehungen und Verlässlichkeiten nicht immer tragen, ja dass sie sehr brüchig sind; dass wir an Grenzen geführt werden, die unsere menschlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu übersteigen scheinen. Dort begegnen wir dann dem Absoluten, wir begegnen Gott, der uns diese Erfahrung der Ungesichertheit zumutet, weil er nur so von uns eine Antwort in Freiheit und Liebe erwarten kann.

Ein Licht strahlt heute über uns auf (Ps 97)
trotz aller Dunkelheit und allen Unkenrufen, dass wir Menschen doch nie schlau werden; dass es immer nur um Macht und Geld geht; dass jeder mit Ellbogenkraft sehen muss, sein „Schäfchen ins Trockene“ zu bringen. Wollten das nicht auch die Hirten von Bethlehem? Hatten nicht auch sie Verantwortung für die ihnen anvertraute Herde und wurden zur Rechenschaft gezogen, wenn eines der Tiere verloren ging? Ohne diese Verantwortung aufzugeben, haben sie sich von dem neuen Licht erleuchten und bewegen lassen, nach Bethlehem aufzubrechen. Sie gaben ihrer Neugierde nach – und begnügten sich nicht mit dem, was sie immer schon wussten. Sie ließen sich von einer Sehnsucht packen, die tief in ihnen selbst schlummerte in der Hoffnung auf den Messias, der ihnen immer wieder als der Heiland und Retter angekündigt worden war. Sie mögen sich gefragt haben: Hat die Botschaft der Engel etwas mit ihm zu tun? Eröffnet er uns eine neue Zukunft, von der wir immer geträumt haben, von einem nicht von Menschen gemachten Frieden für das Volk Israel?

… und Freude den Menschen mit redlichem Herzen (Ps 97)
Auch die Hirten kannten Menschen, die immer nur ihren Vorteil suchten, die andere ausbeuteten, die sogar mit dem Gesetz und den Geboten Gottes auf der Zunge die größten Ungerechtigkeiten verübten und gerade die Kleinen und Schwachen in die Enge trieben. Diese Art Menschen ist nicht ausgestorben, sie gibt es auch heute. Aber sie können sich eigentlich nicht an ihren Gütern erfreuen, weil sie ungerecht erworben wurden. Ihnen fehlt die Redlichkeit des Herzens. Im Grunde leben sie selbst in Ungewissheit und Angst, weil sie im Innern das Unrecht spüren. Sie sehen immer nur schwarz, nehmen mehr das Negative wahr und bringen kaum einmal ein Wort des Lobes über ihre Lippen. Sie können sich nicht wirklich freuen. In ihrem Herzen ist kein Licht, keine Hoffnung – und darum gehen sie auch nicht redlich mit sich und anderen um. Nur der kann sich wirklich freuen und die befreiende und froh machende Botschaft von Weihnachten erkennen, begreifen und nachvollziehen, der im Herzen ganz auf Gott hin ausgerichtet ist; der seine Situation nicht verschönt, seine Begrenztheit und Sündhaftigkeit auch anerkennt und zugeben kann, d. h. der sein Menschsein und damit seine Angewiesenheit auf Gott bejaht. Der wenigstens in seinem Innern zugeben kann, dass er sich nicht selbst erlösen kann.

Unsere Erfahrungen und die Kraft zu einem neuen Anfang
Die Vergangenheit mit ihren guten und auch negativen Erfahrungen, mit dem. Was gelungen ist, aber auch mit unserem Versagen kann niemand von sich abschütteln. Sie holt uns immer wieder ein. Wir haben Verantwortung für sie, ob es uns gefällt oder nicht. Aber wir haben auch die Möglichkeit, uns neu auf die Zukunft hin auszurichten. Wir müssen nur daran glauben, dass mit Gottes Hilfe und unserem Bemühen Veränderung möglich ist – auch wenn dies menschlich gesehen unwahrscheinlich scheint. Wirf deine Sorgen auf Gott, lädt uns der Beter ein (Ps 55). Wir kennen die Ambivalenz der Erfahrungen: Sie können unser Leben positiv gestalten und uns vor manchen Schwierigkeiten und Fehlern bewahren. Sie können aber auch neue Entwicklungen und Veränderung verhindern, wenn wir sie unreflektiert als „feste Wahrheiten“ ansehen. Ja, es kann zudem sehr bequem sein, sich auf diese (oft negativen) Erfahrungen zu berufen, um nur ja alles beim Alten zu lassen. Vom Glauben her sind wir aber immer wieder aufgefordert, uns aufzumachen, Neues zu wagen, auch wenn wir menschlich gesehen keine Sicherheiten haben. Die Hirten, einfache und gläubige Menschen mit einem großen Schatz an Erfahrung von Natur und ihren Gesetzmäßigkeiten, von Stille und Beschaulichkeit, sie sind uns ein beredtes Beispiel für dieses Wagnis.

Als die Engel sie verlassen hatten und in den Himmel zurückgekehrt waren
Das mitunter so idyllische und zu Herzen gehende Ambiente der Krippe und des Weihnachtsfestes kann trügerisch sein und uns gefangen nehmen. Die Realität des Lebens mit seinen Höhen und Tiefen holt uns in jedem Fall wieder ein. Wer nicht bereit ist, aus dem gewohnten Rahmen aufzubrechen, wird in seiner kleinen Weh gefangen bleiben. Erst wenn wir uns nach dem „Hören und Sehen“ dessen, was vom Himmel kommt, aufmachen, werden wir Gott, der wirklich der absolut Transzendente ist, auch in seiner Innerweltlichkeit (Immanenz) begegnen können.

Auf! Wir gehen nach Bethlehem
Hier wird deutlich, dass sich in dieser Erfahrung der Begegnung mit den Engeln etwas Neues anbahnt. Aus dem Alltag und der gediegenen Glaubenserfahrung schöpfen die Hirten die Kraft und die gesunde Neugierde, sich aufzumachen, um die Wahrheit der Botschaft zu erleben und zu erfahren. Sie bekommen im Voraus keine Sicherheit. Erst nachdem sie sich aufgemacht haben und zur Krippe gelangt sind, sehen sie das Kind, und zwar mit den Augen des Glaubens, die in ihm den Heiland und Erlöser erkennen. So handelt Gott: Im Gewöhnlichen und Alltäglichen lässt er sich finden; in dem Kind, das selber auf die Sorge und Liebe anderer angewiesen ist – und das doch der Urheber des Lebens ist. Wer sich also nicht bewegt und aufmacht, bleibt stets beim Alten und kann nicht die von Gott geschenkte neue Zukunft erfahren.

Als sie das Kind sahen, erzählten sie. Was ihnen über dieses Kind gesagt worden war.
Vom Leben erzählen, seine Erfahrungen mitteilen, so wissen wir heute wieder, ist ein äußerst wichtiges Element in der Erziehung, aber auch in unserem Leben überhaupt. Das Leben zur Sprache bringen, deuten, Hoffnungen und Möglichkeiten aussprechen und eröffnen, das gilt auch für den Glauben. Aber wie oft tun wir uns da in unseren Breiten schwer, im privaten wie im öffentlichen Bereich – ganz zu schweigen von Kirche und Gottesdienst – über unseren Glauben zu sprechen, von den guten aber auch spannungsreichen Erfahrungen, den Fragen, den Schwierigkeiten! Ich meine, wir könnten da von den einfachen Menschen lernen. Von anderen Kulturen und den jungen Kirchen, wo oft durch das Erzählen und den Austausch von Lebens- und Glaubenserfahrung mehr evangelisiert wird als bei uns durch Diskussion oder Katechese. Natürlich ist die Katechese unverzichtbar und wichtig – und es kommt auch auf die Art und Weise der Vermittlung an. Aber der persönliche Austausch meines Glaubens, meiner Fragen und Zweifel, meiner Hoffnungen und Sehnsüchte – scheint mir der Schlüssel auch eines lebendigen Glaubens und einer lebendigen Gemeinde und Kirche zu sein. Ist das nicht auch der Sinn und Hintergrund dessen, was gemeint ist mit dem Wort „die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch“?

Wie die Hirten von Bethlehem sind auch wir besonders heute eingeladen, den Menschen unserer Zeit die frohe und befreiende Weihnachtsbotschaft zu bringen: Heute ist euch der Retter geboren, der Heiland. Ihr habt allen Grund, euch zu freuen und Weihnachten zu feiern! Frohe und gesegnete Weihnachten!

 

P. Heinz Schneider SVD