Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Gottesmutter Maria

Predigtimpuls

Ein Original von Gottes Gnaden

1. Lesung: Gen 3,9-15.20
2. Lesung: Eph 1,3-6.11-12
Evangelium: Lk 1,26-38

 

Vielen Menschen in unseren säkularisierten Gesellschaften geht das Verständnis für das Dogma, das wir heute feiern ab. Sie verstehen die Worte, in denen der Glaube zum Ausdruck kommt, nicht mehr. Die Wirklichkeiten, die hinter den Begriffen stehen, erscheinen unsinnig und dem modernen Menschen und seinem Verständnis der Wirklichkeit als unangemessen. Selbst viele Mitchristen tun sich schwer mit dem Fest der ‘unbefleckten Empfängnis’ und verstehen das mit diesem Fest gefeierte Glaubensgeheimnis falsch. Sie meinen, es ginge um die ‘unbefleckte’ Empfängnis Jesu in Maria. Darum geht es aber gerade nicht. Vielmehr geht es um Maria und ihre Erwählung durch Gott.

 

Annäherung: Der Kontext der Verkündigung des Dogmas

Eine Möglichkeit, sich dem Inhalt des heutigen Festes zu nähern, besteht darin, die Zeit zu betrachten, in der das Dogma verkündigt wurde. Es war die Zeit eines großen Umbruchs in ganz Europa, die Zeit der großen Industrialisierung. Maschinen übernahmen Aufgaben, die bisher von Handwerkern ausgeübt wurden. Bis dahin wurde z.B. ein Spaten von einem Schmied in mühevoller Handarbeit hergestellt. Der Schmied hatte zwar seine eigene Technik, aber letztlich war jeder Spaten ein einmaliges Werkstück, keiner war dem anderen bis ins Letzte gleich. Als nun die Maschine die Aufgabe übernahm, war ein Spaten dem anderen gleich. Man konnte ihn beliebig oft produzieren. Es bedurfte nur eines einzigen Menschen, der einen Hebel bediente, und schon führte die Maschine den Hammerschlag aus. Dieser Mensch musste nichts gelernt haben, er brauchte nicht die lange Ausbildung, bis er endlich Schmiedemeister war. Den Hebelzug konnte jeder Mensch ausführen. Fiel der eine aus, konnte er ohne Schwierigkeiten durch einen anderen ersetzt werden. So wurde nach und nach der Mensch zur beliebig ersetzbaren Nummer.

Die Antwort der Kirche: Maria – ein eigener, unersetzbarer Gedanke Gottes
Mit dem Dogma von der unbefleckten Empfängnis Mariens wollte und musste die Kirche auf diese Entwicklung antworten. In diesem Dogma sagt sie deshalb: Gott hat Maria vom ersten Augenblick ihres Daseins an zu ihrer Aufgabe, die Gottesmutter zu sein, berufen und ausgestattet. Das jüdische Mädchen Maria ist von Beginn ihrer Existenz an ein eigener, unersetzbarer Gedanke Gottes. Niemand anderes auf dieser Erde kann die Aufgabe, zu der sie erwählt wurde, übernehmen. Sie allein ist es, an die die Berufung ergehen wird, Ja zur Menschwerdung des Wortes Gottes im Fleisch des Menschen zu sagen, damit die ganze Welt und alle Menschen in das Leben Gottes hineingenommen und angenommen werden. Dies sagte die Kirche damals vor 164 Jahren am 8. Dezember 1854 in eine Zeit hinein, in der der Prozess begann, in dem der Mensch mehr und mehr zu einer Nummer verkam.
Durch diesen Glaubenssatz macht die Kirche exemplarisch an Marias Erwählung, Muttergottes zu sein, deutlich: Kein Mensch ist von Gott aus eine Nummer! Jedem Menschen, dem er Leben schenkt, hat Gott eine ureigene Aufgabe zugedacht, die nur er oder sie in ihrer unverwechselbaren Eigenart erfüllen kann. Jeder Mensch ist von Gott her einmalig und einzigartig gedacht. Jeder und jede wurde mit den Gaben und Fertigkeiten ausgestattet, um den Platz auszufüllen, den Gott ihm oder ihr zugedacht hat. Im Tiefsten geht es der Kirche mit diesem Fest also um die Bewahrung der einzigartigen Würde eines jeden Menschen. Es gibt weder die Kopie einer Muttergottes, noch bin ich die Kopie eines anderen Menschen. Im guten Sinn ist jeder und jede ein Original von Gottes Gnaden. So verweist uns dieses Fest auf die einzigartige Würde, die einem jeden Menschen zukommt und deren Schutz wir verpflichtet sind. Das Fest verweist uns an die maßlose Herrlichkeit der Liebe Gottes zum je konkreten Menschen und der würdevollen Entfaltung seines Menschseins als Frau oder Mann.

 

Die zweifache Konsequenz

Als Christen und Christinnen bestimmt dies nun unser Selbstverständnis nach innen wie nach außen. Wir verstehen alle Menschen in unseren Gemeinden und Gemeinschaften als Teilhaber und Teilhaberinnen an der maßlosen Herrlichkeit der Liebe Gottes. Dies bestimmt uns so sehr, dass uns an der würdevollen Entfaltung des je konkreten Menschseins unserer Schwestern und Brüder im Namen Gottes nach seinem Maß gelegen ist.
Als getaufte Christen/Innen sind wir Missionare/Innen. Beauftragt und gesandt, den Menschen unserer Zeit in Wort und Tat Zeugnis zu geben von Gottes entgegenkommender und zuvorkommender Liebe, begegnen wir jedem Menschen als einem einmaligen und einzigartigen Gedanken Gottes. Wir achten und schützen dessen Würde und setzen uns für deren Respektierung dort ein, wo sie mit Füßen getreten ist.

 

Das Ja zur Erwählung

Der Glaube der Kirche, den wir im heutigen Fest feiern, verweist uns aber auch darauf, dass der Erwählung von Seiten Gottes die freie – und nur eine freie – Antwort des Menschen entspricht. Gottes Ja zu mir, rechnet mit meinem Ja zu ihm. Es rechnet damit, jedoch ohne es zu erzwingen. – Auch dies wird an Maria deutlich.

Erwählt, Mutter seines Sohnes zu sein, sagt sie in all ihrer Freiheit Ja zu dieser Berufung: `Ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe wie du es gesagt hast.’ In diesem freien Ja wirkt sich ihr Erwählt-Sein aus und wird erfahrbar und greifbar im entscheidenden Augenblick ihres Leben. Maria hat sich mit diesem Ja auf Gott eingelassen. Ihr Leben lang hat sie zu diesem Ja gestanden. Sie hat vertraut, dass er, der sie beim Namen rief und sie zu ihrer Lebensaufgabe bestimmt hat, ihr auch die Kraft gibt, den Weg zu gehen, auf den er sie gestellt hatte. So hat sich ihr ganzes Leben hindurch ihre radikale Gottzugehörigkeit bewahrheitet.

Gleiches gilt nun auch für jede/n von uns: Gott sucht unser Ja zu der Aufgabe, die er uns anvertraut hat. Sein gnädiges Entgegenkommen, in dem er uns zu seinen Söhnen und Töchtern erwählt hat, soll in unserem Leben, das von Anfang an umfasst ist von der Gnade und Liebe Gottes, Schritt für Schritt und in freier Entschiedenheit ausbuchstabiert werden. – Heilig und makellos sollen wir leben vor Gott, ihm gefällig als freie Menschen, um anderen ein Segen zu sein, indem wir das größte ‘Ja-Wort’ Gottes zu Welt und Mensch weitertragen: Jesus Christus.

 

P. Dr. Bernd Werle SVD