Hl. Andreas, Apostel (F)

Predigtimpuls

Zutiefst religiös betroffen

Lesung: Röm 10,9-18
Evangelium: Mt 4,18-22


Die Gestalt des Apostels Andreas macht den kritischen Bibelleser neugierig, warum dieser mit seinem Namen (Bedeutung: der Mannhafte) griechisch geprägte Fischer aus Bethsaida-Julias am See Genezareth im vierten Evangelium (vgl. Joh 1,35-44; 6,8; 12,22) ganz besondere Aufmerksamkeit erfährt. Er hat sich mit seinem Bruder Simon auf den Weg zu Johannes dem Täufer gemacht. Das setzt voraus, dass die beiden sozial genügend abgesichert waren, um für eine Weile den Fischerei-Betrieb ihren Angestellten zu überlassen. 

War Andreas eine zerrissene Seele, der vom neuen Propheten seiner Generation die Bestätigung brauchte, ein wahrer Sohn Abrahams zu sein? Dass er nach der Ankunft Jesu das Zeugnis Johannes des Täufers über diesen Mann aus Nazareth geheimnisvoll auffordernd empfand, deutet der Evangelist mit wenigen Worten an. Zusammen mit einem anderen, ungenannten Johannesjünger ermannt er sich, Jesus um ein Gespräch zu bitten. „Rabbi, … wo wohnst du?“ (Joh 1,38) Das Gespräch am späten Nachmittag bis zum Abend erinnert an die Emmaus-Wanderung zweier anderer Jünger Jesu am Auferstehungstag, von dem der Evangelist Lukas berichtet (vgl. Lk 24,13-35). Diesen beiden offenbart sich der Auferstandene beim Brotbrechen. Das Abendgespräch mit Jesus bewirkt bei Andreas (und wohl auch bei dem ungenannten anderen Jünger) – irgendwie anders als im Nachtgespräch des Nikodemus mit Jesus (vgl. Joh 3,1-13) – einen dem Emmaus-Ereignis vergleichbaren, lebensverwandelnden, überwältigenden Eindruck. Dabei wandelt sich der am Propheten Elias gemessene Charakter des Täufers zum Heilspropheten, als er, orakelhaft vorausschauend, Jesus als „Gotteslamm, das die Sünde der Welt hinweg nimmt“ (Joh 1,29.36), identifiziert. 

Die beiden nicht nur Neugierigen, sondern zutiefst religiös Betroffenen, haben sich vom vorher so provozierenden Gerichtspropheten auf einen neuen Weg weisen lassen – in die Gefolgschaft dessen, auf den Johannes verwiesen hat als den Herrn und Retter, den Israel so sehnlichst erwartet. (Joh 1,29-34) Johannes ganz ernst zu nehmen hieß also, diesen so geheimnisvoll Erhabenen aufzusuchen, sich seinem Wesen zu stellen und von ihm letztgültige Lebensdeutung und -weisung zu empfangen. 

Jesus wird vom Lebensverständnis der Angesprochenen ausgegangen sein, wie es später die Begegnung mit Natanaël zeigt (vgl. Joh 1,45-51). Jesu Kompliment für Natanaël, „ein echter Israelit, ein Mann ohne Falschheit“ (Joh 1,47), lässt sich wohl ebenso auf Andreas beziehen – jedenfalls eher auf ihn als auf seinen Bruder Simon, der, wie sich zeigen wird, nicht wenig zur Selbstüberschätzung neigt. Andreas kann nach dem Gespräch mit Jesus auf alle Fälle nicht mehr an sich halten und verkündet dem Simon: „Wir haben den Messias gefunden“ (Joh 1,41), und führt ihn zu Jesus.

Jesus durchschaut nicht nur seine Gesprächspartner. Er überträgt sofort denen, die sich ihm öffnen und anvertrauen, Verantwortung. Er weist Simon Petrus seinen Weg (vgl. Joh 1,42), noch bevor dieser alles fassen und nachvollziehen kann. 

Natanaël bietet mit dem Zeugnis des Täufers das jüdisch-traditionell feierlichste Messias-Bekenntnis. Jesus hat ihm, wie schon vorher den beiden zuerst genannten Johannesjüngern, aus dem Herzen gesprochen. Natanaël scheint trotz seiner gelegentlichen Beteiligung am Fischfang (vgl. Joh 21,2) mehr der Schriftkundige gewesen zu sein, Simon, der geachtete Vorsteher und sein Bruder Andreas der Mann der Tat, auf den Verlass ist, auch unter widrigen Umständen wenn schnelle Umsicht und Handlungsfähigkeit nottut (vgl. Joh 6,8-9). 

Andreas konnte offensichtlich gut Griechisch sprechen und somit Philippus als Vermittler zu hellenistischen Juden und Heiden dienen (vgl. Joh 12,22). Er war wohl ein weltoffen gestimmter, aber durchaus frommer Galiläer, allerdings anderer Wesensart als sein Bruder Simon oder die „Donnersöhne“ (vgl. Mk 3,17) oder Judas Iskariot unter den Zwölfen – und offensichtlich entschieden weniger gewaltbereit als die politischen Zeloten und Rebellen gegen die Römer. Er hatte aber bestimmt nicht die rabbinische Ausbildung und das rednerische und schriftliche Ausdrucksvermögen des hl. Paulus. – Wenn er vielleicht zuerst mit Petrus im Apostolat zusammenarbeitete, bleibt es doch bezeichnend, dass ihn seine Missionstätigkeit in Randgebiete griechischer Kolonisation um das Schwarze Meer herum, zuletzt ins altgriechische Kerngebiet auf dem Peloponnes führte. 

In Patras soll er am schrägen Kreuz den Martertod erlitten haben. Dorthin ließ Papst Paul VI. das Haupt des Apostels zurückbringen, welches die Kreuzfahrer 1208 nebst weiteren Reliquien, nach Italien verschleppt hatten. Andreas ist der „Schutz-Patron Russlands, Griechenlands, Schottlands, Siziliens“, auch Patron der Bergleute und Grubenarbeiter, ebenso wie Patron der Fischer, Metzger und Seiler, sowie „Helfer bei Gicht, Krämpfen, Rotlauf (A.-Krankheit)“. 1) 

Möge er als Versöhnungsgestalt im christlichen Westen wie im Osten, in Rom wie in Konstantinopel, auf Sizilien wie in Schottland (welches das schräge Kreuz auf der Nationalflagge führt) die Herzen aller Christgläubigen wieder einander zuwenden, wie er vom Täufer und von Jesus sich auf den neuen Weg der Erlösung weisen ließ.


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Quellenangaben

1) LthK 3, völlig neubearb. Aufl., 1. Bd. 1993, Sp. 626


P. Günther Gessinger SVD