Maria Immaculata (H)

Predigtimpuls

Maria, Hilfe der Christen

1. Lesung: Gen 3,9-15.20
2. Lesung: Eph 1,3-6.11-12
Evangelium: Lk 1,26-38


Brief an Chinas Christen 

Zwei Jahre sind vergangen, seit Papst Benedikt XVI. einen Brief an die Bischöfe, die Priester, die Personen des gottgeweihten Lebens und die gläubigen Laien der Katholischen Kirche in der Volksrepublik China geschrieben hat, um seine Solidarität mit der Kirche Chinas zu bekunden. Gegen Ende des Briefes nimmt der Hl. Vater Bezug auf die Jungfrau Maria, Hilfe der Christen, die sich im Marienheiligtum von Sheshan in Shanghai großer Verehrung erfreut. Der Papst macht zugleich den 24. Mai, den Gedenktag der Gottesmutter von Sheshan, zum Weltgebetstag für die Kirche Chinas. Bei den nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten, in denen sich die Kirche Chinas auf Grund innerer Spannungen und auf Grund der religionspolitischen Situation befindet, nimmt der Hl. Vater gleichsam seine letzte Zuflucht zur Gottesmutter. Auf sie, die in ihrer Unberührtheit von aller Bosheit und Sünde und durch ihre Bereitschaft, sich ganz in den Dienst Gottes zu stellen, den Weg frei gemacht hat für das große Erlösungswerk Jesu Christi, setzt er seine ganze Hoffnung. In einem Gebet, das Papst Benedikt zu diesem Anlass persönlich verfasst hat, kommt diese Hoffnung auf innere Versöhnung und Erneuerung der Kirche Chinas unter dem Schutz und der Fürbitte der Gottesmutter deutlich zum Ausdruck. In einem Teil des Textes heißt es: „Richte deine Augen auf das Volk Gottes und führe es in mütterlicher Sorge auf den Wegen der Wahrheit und Liebe, damit es unter allen Umständen Sauerteig für ein harmonisches Zusammenleben aller Bürger sei. Mutter der Hoffnung, die du in der Dunkelheit des Karsamstags mit unerschütterlichem Vertrauen dem Ostermorgen entgegengegangen bist, schenke deinen Kindern die Fähigkeit, in jeder Situation, mag sie auch noch so düster sein, die Zeichen der liebenden Gegenwart Gottes zu erkennen.“ 


Frucht religiöser Erfahrung 

Papst Benedikt XVI. stützt sich hier auf einen Gedanken, der nur als die Frucht einer reichen, im Laufe der Jahrhunderte, gewachsenen religiösen Erfahrung der Kirche verstanden werden kann. Es ist die Überzeugung, dass die Gottesmutter an der Seite ihres Sohnes die Geschicke der Kirche durch die Geschichte hindurch mit ihrer Sorge und Liebe begleitet, um ihre Hilfe all denen zukommen zu lassen, die sich vertrauensvoll an sie wenden. Es ist kein Geheimnis, dass der Papst mit seinen und seiner Vorgänger Bemühungen, mit China und seiner Regierung zu einer Verständigung zu kommen und eine befriedigende Lösung für die zerfahrene Situation der Kirche zu finden, an einem Punkt angelangt ist, wo weitere Versuche sinnlos erscheinen und wo menschliche Bemühungen ihre absoluten Grenzen erreicht haben. So ist es nur konsequent, dass der hl. Vater im Vertrauen auf den Schutz und die Hilfe der Gottesmutter, der Hilfe der Christen, zu ihr seine letzte Zuflucht nimmt, um einen Weg aus der verworrenen Lage zu finden. 


Du bist voll der Gnade, der Herr ist mit dir 

Was aber berechtigt zu einem solchen Vertrauen in die Hilfe der Gottesmutter? Was hat Maria die Kraft und Weisheit und die Offenheit gegeben, auf die Stimme Gottes zu hören und sich ganz auf seinen Willen einzustellen und ihrer Berufung, Mutter des Erlösers und Mitwirkende in seinem Erlösungswerk zu werden, treu zu bleiben? Der Gruß des Engels an Maria und ihre Antwort deuten es an. „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“, heißt es da. Dieses Begnadet-Sein Mariens beinhaltet die volle Zuwendung an göttlicher Liebe, die bis an den Kern ihrer Persönlichkeit reicht und sie unberührbar macht gegenüber der Macht des Bösen. Die Glaubenslehre der Kirche sagt, dass dieses Begnadet-Sein Maria seit ihrer Empfängnis vor der Erbsünde und allem Makel der Sünde beschützte und in ihrer Erwählung zur Mutter des Erlösers dann voll zur Wirkung kam. Neuere Versuche einer theologischen Interpretation des Geheimnisses der Erbsünde sprechen nicht mehr von der Empfängnis als dem Augenblick, in dem sich der Mensch die Erbsünde zuzieht, sondern von einem Prozess des Hineinwachsens in eine durch die Sünde verderbte Welt. Auf Maria angewandt hieße das dann, dass sie, obwohl sie in einer von der Sünde geprägten Welt lebte und ihrem Druck und ihrer Verführungskraft ausgesetzt war, durch die Gnade und Bevorzugung Gottes nie eine Entfremdung von Gott, von den Mitmenschen und von sich selbst erlitten hat. Im Prozess ihres Heranwachsens und Hineinwachsens in ihre Welt mit ihren Vorurteilen gegenüber Aussätzigen und Samaritern, mit ihrem Hass gegen die Römer und deren Sympathisanten, in diesem Prozess wurde sie immer von Gott behütet und geschützt, erleuchtet und gestärkt, so dass sie im Kern ihrer Person nie entfremdet war von dem (in ihrem Leben waltenden) unbegreiflichen Gott, von oftmals gleichgültigen oder feindseligen Menschen, von ihrem Selbst mit seinen gegebenen Grenzen und auferlegten Pflichten. Sie lebte in Eintracht mit Gott und im Frieden mit sich selbst. 

Diese „einzigartige Gnade und Bevorzugung“, von der das kirchliche Dokument spricht, trennte sie nie von den Mitmenschen, sondern ermöglichte ihr eine unbehinderte Hinwendung zu den Mitmenschen. Durch ihre Aufnahme in den Himmel wurde diese Nähe zu den Menschen nicht vermindert, sondern vollendet. So „leuchtet sie hier auf Erden in der Zwischenzeit bis zur Ankunft des Tages des Herrn als Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes dem wandernden Gottesvolk voran“ (LG 68). 


Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe wie du gesagt 

Das Wunder der Gnade an Maria ist ein Werk des Geistes Gottes. Aber dass es zur geschichtlichen Verwirklichung kommen konnte, ist ohne die explizite Bereitschaft Marias, sich auf Gottes Pläne einzustellen, nicht denkbar. Die Antwort Marias an den Engel „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe wie du gesagt hast„ bringt es denn auch unmissverständlich zum Ausdruck. Marias Zusage enthält das absolute Vertrauen in die Macht und Liebe Gottes, die an ihr und durch sie zum Heil der Menschen Großes wirkt. 

Die Bereitschaft der Gottesmutter, sich ganz in den Dienst des Erlösungswerkes ihres Sohnes zu stellen, begleitet die missionarische und pastorale Arbeit der Kirche und schützt sie vor der Macht des Bösen, die in der Welt allgegenwärtig zu sein scheint und durch Intrige und Gewalt sich die Menschen verfügbar zu machen sucht. Das Bild der Jungfrau Maria, Hilfe der Christen, steht als Statue auf der Zinne der Wallfahrtskirche auf dem Sheshan. Die Gottesmutter hält ihren Sohn hoch über sich und zeigt ihn der Welt mit ausgebreiteten Armen in einer Geste der Liebe, als wolle er die ganze Welt umarmen. Unter den Füßen der Gottesmutter aber befindet sich das beflügelte Untier, Symbol der Macht des Bösen, aber machtlos gegen die von Gott Begnadete. 

Ich hatte Gelegenheit, mit Erzbischof Ludwig Schick, am Tag der Wallfahrt zur Gottesmutter, Hilfe der Christen, auf dem Sheshan bei Shanghai am 24. Mai dieses Jahres, mich dem Strom der Wallfahrer anzuschießen und mit den chinesischen Gläubigen aus nah und fern in der überfüllten Wallfahrtskirche unter Leitung des Weihbischofs von Shanghai, Xing Wenzhi, den Gottesdienst zu feiern. Vor Abschluss der Eucharistiefeier durfte Erzbischof Schick sogar, gleichsam als Vertreter der Weltkirche, an die versammelten Wallfahrer das Wort richten und sie zur Treue im Glauben ermutigen. Das ganze Geschehen lief ab unter der sorgfältigen Überwachung durch die kommunistischen Behörden, aber ohne jede Einmischung. Es war wie ein kleines Wunder angesichts der Tatsache, dass die Behörden zuvor einen landesweiten Aufruf erlassen hatten, sich von der Teilnahme an der Wallfahrt zum Sheshan fern zu halten. Ob sich hier nicht etwas von jener „Soft Power“ bemerkbar macht, der es gelingt, in aller Stille Böses zum Guten zu wenden und die in der „Immaculata“ ihren wirksamsten Repräsentanten gefunden hat?


P. Anton Weber SVD