4. Fastensonntag (A)

Predigtimpuls

Mit Blindheit geschlagen?

1. Lesung: 1 Sam 16,1b.6-7.10-13b
2. Lesung: Eph 5,8-14
Evangelium: Joh 9,1-41

Mit Blindheit geschlagen?

Das Drama, das uns Johannes hier vor Augen stellt, erscheint mir wie eine Posse. Jesus hat einem Mann, der von Geburt an blind war, das Augenlicht geschenkt. Aber die theologischen Autoritäten können das nicht akzeptieren, denn sie glauben ganz genau zu wissen, was Gott gefällt und was ihm missfällt. Sie haben ja das Gesetz und die theologischen Auslegungen, die alle Vorschriften bis in die feinsten Feinheiten klären. Danach hat Jesus getan, was Gott missfällt, hat gesündigt, also kann Gott nicht durch ihn handeln.

Ja, diese Theologen wissen es genau – meinen sie wenigstens. Sie kommen nicht auf die Idee, ihre eigenen Maßstäbe zu überprüfen, ob da nicht irgendwo ein Fehler steckt. Eine lebensferne Posse? Oder doch eher ein lebensnahes Drama? Was Johannes im heutigen Evangelium schildert, geschieht das nicht auch heute immer wieder in anderer Weise? Vielleicht spielen wir selbst in einem solchen Drama mit. Und welche Rolle spielen wir?

Den meisten von uns dürfte klar sein: Gott schwebt nicht einfach „über“ der Welt, weit oben, weit weg, sondern er ist in der Welt. Er ist nicht Teil der Welt wie Sie und ich, wie ein Tier, ein Baum oder ein Stern, sondern er ist in allem, in jedem geschaffenen Ding, in jedem Atom. Nur eingefleischte Fundamentalisten (oder Atheisten) bezweifeln, dass Gott in den Naturgesetzen wirkt, die er am Anfang in die Materie hineingelegt hat. Diese Naturgesetze treiben die Entwicklung voran. Schöpfung ist nicht ein Geschehen der Vergangenheit, Schöpfung geschieht immer weiter, geschieht heute. Das „Sterben“ alter Sterne und die „Geburt“ neuer gehören ebenso dazu wie Erdbeben und Vulkanausbrüche und die ständigen Klimaschwankungen auf der Erde. Wir Menschen dürfen und sollen bei der fortlaufenden Schöpfung in einem gewissen Rahmen mitwirken; wir können es tun zum Guten oder zum Schlechten.

Gott wirkt in den Naturgesetzen. Aber woher wollen einige wissen, Gott könne nur durch sie wirken, er sei an sie gebunden? Er könne gar nicht in die Naturgesetze eingreifen, könne sie nicht durchbrechen, deshalb könne es keine Wunder geben; alles Geschehen verlaufe immer streng gemäß den Naturgesetzen. Ein gefesselter Gott also.

Dass Gott nicht ständig Naturgesetze aufhebt oder durchbricht, versteht sich eigentlich von selbst, wenn Gott die Naturgesetze geschaffen hat. Aber warum sollte Gott seine Macht und seine Freiheit an die Naturgesetze verloren haben – wenn er wirklich Gott ist? Die Bibel behauptet das Gegenteil. Die Errettung am Schilfmeer auf dem Zug durch die Wüste hatte Israel als Rettungstat Gottes erlebt. Diese Erfahrung prägte seitdem Israels Bild von Gott und sein Verhältnis zu Jahwe: Jahwe rettet! Immer wieder hat Israel diese Erfahrung gemacht, wie die Bibel berichtet. Im Buch Jesaja lesen wir: „Wer hölzerne Götzen umherträgt, hat keine Erkenntnis, wer einen Gott anbetet, der niemanden rettet“ (Jes 45,20). So etwas ist ja lächerlich! Für Israel war klar: Ein Gott muss sein Volk retten können. Kann ein an Naturgesetze gebundener Gott retten?

Auch heute bezeugen viele Menschen, dass sie erfahren haben: Gott tut Wunder; er hat getan, was eigentlich unmöglich war und mit keinem Naturgesetz zu erklären ist. Doch die Pharisäer wissen ja: Das ist nicht möglich, „weil nicht sein kann, was nicht sein darf“, kann man mit Christian Morgenstern sagen.

Nun wäre es völlig falsch, Wunder mit einem Durchbrechen von Naturgesetzen einfach gleichzusetzen und darauf zu beschränken. Wenn gläubige Menschen von Wundern sprechen, denken sie normalerweise nicht an Naturgesetze, sondern meinen etwas, das sie im Tiefsten berührt hat und sie erkennen lässt: Hier hat Gott gewirkt, hier hat ER mich berührt, hier ist ER mir begegnet.

Diese Erfahrung hat auch der Mann im heutigen Evangelium gemacht. Dass er je würde sehen können, damit hatte er nicht rechnen können. Was er empfand und was er erwartete, als Jesus ihm den Brei auf die Augen strich und er sich auf Jesu Geheiß zum Teich Schilóach durchtastete, davon spricht das Evangelium nicht. Aber als er plötzlich sehen konnte, wusste er, dass Gott ihn berührt hatte. Die Pharisäer wollten ihn davon abbringen, doch darüber konnte er nur lachen. Ihm waren mit den äußeren auch die inneren Augen aufgegangen, und er hatte Jesus als den verheißenen Messias erkannt. Das ist das eigentliche Wunder – auch wenn es uns nicht so erscheinen mag. Der Blinde war zum Glauben gekommen, zu einem wirklichen, festen Glauben.

Am Ende des Evangeliums lesen wir noch ein Wort Jesu, das uns irritieren kann: „Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die Blinden sehend und die Sehenden blind werden.“ An Jesus scheiden sich die Geister. Wer weiß, wie begrenzt – trotz allem – unser Wissen und Erkennen ist, und ganz auf Gott vertraut, dem kann Jesus die Augen öffnen, dass er im Glauben sehend wird für Gott und sein Wirken; wer aber sein eigenes Wissen und Verstehen zum Maßstab dessen macht, was Gott tun kann und tut, der wird das Wirken Gottes und Gott selbst nicht erkennen, der erblindet.
Sind wir sehend oder blind? Gott wirkt in der Welt, auch heute. Aber erkennen wir sein Wirken? Bitten wir den Herrn, dass er uns die Augen öffne, damit wir ihn erkennen und sein Wirken unter uns.

P. Lothar Janek SVD