Gründonnerstag

Predigtimpuls

Das Sakrament des Dienens

1. Lesung: Ex 12,1-8.11-14
2. Lesung: 1 Kor 11,23-26
Evangelium: Joh 13,1-15

Wir feiern in dieser gegenwärtigen Stunde das Letzte Abendmahl Jesu, die Einsetzung der Eucharistie und des Weihesakraments. Wie Paulus es in der ersten Lesung so feierlich verkündet. Ich überliefere euch, was ich selber empfangen habe: In der Nacht, da er überliefert wurde, nahm er das Brot... Und doch hören wir im heutigen Evangelium nicht die Einsetzungsgeschichte, sondern die Fußwaschung Jesu. 

Das Johannesevangelium überliefert uns zwar die wunderschöne Eucharistierede Jesu, worin Jesus klar und deutlich zum Ausdruck bringt, dass sein Fleisch und Blut für uns dahingegeben sind. Aber die Einsetzung der Eucharistie selber finden wir im Johannesevangelium nicht. Hat der Evangelist nicht darum gewusst? Er muss sie gekannt haben, denn sonst bliebe seine Eucharistierede unverständlich. Aber warum hat er die Einsetzung dann nicht übernommen? Wahrscheinlich war die Feier der Eucharistie in seinen Gemeinden schon so normal und allgemein gebräuchlich, dass er das Wissen um ihre Einsetzung durch Jesus schlicht und einfach voraussetzen konnte. Er setzt an ihre Stelle eine andere, ebenso eindrucksvolle Symbolhandlung Jesu, die bei näherem Zusehen das ganze Leben Jesu genauso zusammenfasst wie die Eucharistie: die Fußwaschung. Für Johannes war diese Handlung Jesu so beeindruckend, dass er sie an die Stelle setzt, wo die anderen drei Evangelisten von der Einsetzung der Eucharistie berichten. Zwar ist auch bei Johannes die Rede von einem Mahl, aber dieses Mahl steht gerade nicht im Mittelpunkt. Es bildet gleichsam nur den Rahmen für das Zeichen der Fußwaschung, die Johannes vor allem am Herzen liegt. Für Johannes ist sie das entscheidende Testament Jesu an seine Jünger. Papst Benedikt XVI. hat das einmal in einer Predigt so dargestellt: Der Evangelist fasst in dieser Szene gleichsam das Ganze von Jesu Wort, Leben und Leiden zusammen. Wie in einer Vision wird sichtbar, was dies Ganze ist. In der Fußwaschung stellt sich dar, was Jesus tut und was er ist. Er, der der Herr ist, steigt herunter; er legt die Gewänder der Herrlichkeit ab und wird zum Sklaven, der an der Tür steht und den Sklavendienst der Fußwaschung für uns tut. Dies ist der Sinn seines ganzen Lebens und Leidens: dass er sich zu unseren schmutzigen Füßen, zum Schmutz der Menschheit herunterbeugt und dass er in seiner größeren Liebe uns rein wäscht. Der Sklavendienst des Fußwaschens hatte den Sinn, die Menschen tischfähig zu machen, gemeinschaftsfähig, so dass sie miteinander sich an den Tisch setzen können. Jesus Christus macht uns gleichsam vor Gott und füreinander tischfähig und gemeinschaftsfähig. Wir, die wir einander immer wieder nicht ausstehen können, wir, die wir nicht zu Gott hin passen, werden von ihm aufgenommen. Er trägt sozusagen das Gewand unserer Armseligkeit, und indem er uns mitnimmt, sind wir gottfähig, haben wir Zugang zu Gott gewonnen. Wir werden gewaschen, indem wir uns in seine Liebe hinein beugen lassen. Diese Liebe bedeutet, dass Gott ohne Vorbedingungen, auch wenn wir seiner nicht fähig und würdig sind, uns annimmt, weil er, Jesus Christus, uns verwandelt und unser Bruder wird.

In der Urkirche war diese Handlung Jesu für viele Jahrhunderte so bedeutungsvoll, dass man sie in vielen christlichen Gemeinden sogar als Sakrament betrachtete. Sie erhielt den Namen „Sakrament des Dienens“ und wurde auch in einigen Kirchen denen gespendet, die sich gerufen fühlten, Dienste in der Gemeinde zu übernehmen. Ambrosius, der große Bischof von Mailand, verteidigte diese Praxis gegen Rom, wo man diesen Brauch nicht kannte. Bernhard von Clairvaux sah in der Fußwaschung ein Sakrament zur Vergebung der täglichen Sünden. (Leider geriet diese sakramentale Handlung jedoch bald in Vergessenheit, was dahin führte – wie einmal einer bemerkte –, dass Christen seither einander offensichtlich lieber die Köpfe als die Füße waschen und einander lieber demütigen, statt den Mut zum Dienen zu entfalten).

Wichtig ist, darauf zu achten, wie Johannes diese symbolische Handlung Jesu einführt. Ehe Jesus mit der eigentlichen Handlung beginnt, gibt Johannes sich alle Mühe, dem Leser die Augen zu öffnen, damit er klar sieht, wer es ist, der diesen Akt der Fußwaschung ausführen wird. Mit einer auch für Johannes ungewöhnlichen Feierlichkeit schreibt er: „Jesus wusste, dass für ihn die Stunde gekommen war; Jesus wusste, dass er von Gott gekommen war; er wusste, dass der Vater ihm alles übergeben hatte; er wusste, dass er zum Vater zurückkehren würde.“

Das bedeutet, im vollen Bewusstsein, Gottes Sohn zu sein, schickt sich Jesus jetzt an, den niedrigsten Dienst zu verrichten, den sich Menschen seiner Zeit vorstellen konnten, wenn es um das Verhältnis von Meister und Schüler ging. Dies ist sehr schön in dem Satz ausgedrückt: „Er legte sein Obergewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch.” Das Obergewand, das Jesus hier ablegt, ist das Symbol des Herrn und Meisters. Mit seinem Obergewand legt Jesus zugleich seine ganze Herrlichkeit ab. Stattdessen bekleidet er sich mit einem Leinentuch oder einer Schürze, dem Symbol eines Sklaven, der seinem Herrn auch die niedrigsten Dienste verrichtet. Und mit dieser Schürze ausgerüstet, wäscht er den Seinen die Füße. Die Fußwaschung ist deshalb in der Tat ein Symbol des Herrschaftsverzichtes, des Dienstes gerade der Größten an den Geringsten.

Fußwaschung war in der Zeit Jesu bekannt. Sklaven wuschen ihren Herren die Füße, auch Jünger konnten ihrem Meister die Füße waschen, aber dass der Meister seinen Jüngern die Füße wusch, war in einer Gesellschaft, in der Rang und Stellung soziales Verhalten streng bestimmten, praktisch undenkbar. Dies wird verständlich im Verhalten des Petrus, wenn Jesus sich anschickt, ihm die Füße zu waschen: „Du willst mir die Füße waschen, das lasse ich nie zu, Herr” (Joh 13,6). Die Handlung selbst muss für alle Jünger erschreckend gewesen sein. Es muss ihnen den Atem verschlagen haben, den Meister vor ihnen auf den Knien zu sehen und zuzulassen, dass er an ihnen einen Sklavendienst verrichtet. Doch da nutzte kein Sträuben. Die Jünger wussten nur zu gut, dass, wenn Jesus etwas wollte, er es auch ausführte.

Wieder einmal setzt Jesus hier alle üblichen Maßstäbe außer Kraft. Gott ist ein Gott der Extreme. Er wird nicht nur geboren, nein, es muss ein Stall sein, wo er geboren wird. Er kommt nicht nur, um zu dienen, nein, er sucht sich den niedrigsten Dienst aus, den er finden kann. Er stirbt nicht einen gewöhnlichen Tod, nein, es muss die schrecklichste und erniedrigendste Art des Sterbens sein, die Menschen sich ausdenken können. Jesu stellt jede Norm auf den Kopf. Zu dienen und nicht bedient zu werden, wird hier als Regel nicht nur seines eigenen Lebens, sondern auch das eines Jüngers erklärt. Sobald die Handlung vorbei ist, macht Jesus selber den Jüngern eindeutig klar, was da geschehen ist: „Versteht ihr, was ich getan habe? Ihr nennt mich Herr und Meister und das bin ich, ich bin euer Herr und Meister.“

Das ist keine falsche Demut. Jesus ist Gott und als solcher hat er den niedrigsten Dienst, den man sich damals vorstellen konnte, an den Jüngern und damit auch an allen Menschen verrichtet. Dann kommt der Schlusssatz, schlicht und einfach, aber von entscheidender Bedeutung für die Jünger und für all jene, die Christus einmal nachfolgen wollen: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben. Wie ich gehandelt habe, so müsst auch ihr handeln. Ihr müsst einander die Füße waschen.“

Die Unerhörtheit einer solchen Tat hat vielleicht ein buddhistischer Theologe am besten ausgedrückt. Bekannt für seine kritische Haltung dem Christentum gegenüber, wurde er einmal gefragt, worin er denn das unvergleichlich Neue im Christentum sehe, wenn man es mit anderen Religionen vergleiche? Statt viel zu sagen, deutete er auf eine von ihm selber modulierte Darstellung der Fußwaschung hin und antwortete: „Das nie gehörte und fast unvorstellbar Aufregende im Christentum ist am besten in der hier dargestellten symbolischen Handlung der Fußwaschung Jesu ausgedrückt. Denn in keiner Religion wird Gott so als geoffenbart dargestellt wie hier in dieser Szene. Hier erniedrigt sich Gott vor dem Menschen in einer solch unglaublichen Weise, dass er, Gott, auf die Knie fällt, um dem Geschöpf die Füße zu waschen. Ein solcher Gott ist unbekannt und unvorstellbar in anderen Religionen. Gott fällt nicht auf die Knie vor seinem Geschöpf.”

Alles, was Jesus sagen und für uns tun wollte, hat er in dieser Handlung eindeutig dargestellt. Danach fügt Jesus noch etwas hinzu, was wir nie vergessen dürfen, nämlich eine Seligpreisung: „Selig seid ihr, wenn ihr euch so in eurem Umgang miteinander verhaltet.“

Der eigentliche Sinn des Satzes kommt so nicht recht zum Ausdruck. Man kann ihn nicht wörtlich übersetzen. Man kann nur versuchen, es in etwa so zu umschreiben: „Ihr seid zu beglückwünschen; man kann euch nur von Herzen beglückwünschen, denn ihr seid zu beneiden. Ihr habt es geschafft, wenn ihr das tun könnt.“ Warum denn dieses Beglückwünschen? Jesus würde darauf sagen: „Wenn ihr euch so verhalten könnt, wie ich es euch vorgemacht habe, dann haben der Vater und ich wirklich in euch Wohnung genommen. Dann seid ihr wirklich meine Jünger geworden, dann habe ich meine Sendung in der Welt vollendet.“ Fähig zu sein, wie Jesus einander zu dienen, ist eine Gnade, die nur denen zuteil werden kann, in denen Jesus Wohnung genommen hat. Wer so handelt, beweist, dass Gott in ihm wohnt.

Albert Schweitzer, der Missionar, Arzt, Musiker und Theologe wurde einmal von jungen Menschen, die seine Lebensleistung bewunderten, gefragt, was für eine Lebensweisheit er ihnen auf ihrem Weg durchs Leben geben könnte. Dies war seine Antwort: 

Sie fragen mich was für ein Lebensmotto ich Ihnen geben könnte: Hier ist es: dienen. Lassen Sie dieses Wort Ihr ganzen Leben begleiten und bestimmen. Lassen sie es Ihr Motto sein, wenn Sie einen Weg suchen und sich fragen, was denn der Sinn Ihres Lebens in der Welt ist. Möge es in Ihrer Erinnerung auftauchen, wenn immer Sie versucht sind, es zu vergessen oder wenn Sie es zur Seite schieben möchten. Dieses Motto wird nicht immer ein angenehmer Begleiter, aber stets ein treuer sein. Es wird Sie immer wieder befähigen, ein zufriedenes und frohes Leben zu leben, egal was die Erfahrung Ihres Lebens sein wird.

Jesus hat sein Leben genau so verstanden und gelebt wie er es selber seinen Jüngern gegenüber ausgedrückt hat. Ich bin nicht gekommen, um mich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und mein Leben hinzugeben für viele (Mk 10,45).

Genau dieses Geheimnis feiern wir wieder in den nächsten Tagen. Johannes hat das am Anfang seines Evangeliums in einem Satz ausgedrückt, den Martin Lutherdas Herz der Heiligen Schrift – das „Evangelium in Miniatur“ – nannte: Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, nicht um die Welt zu verurteilen, sondern um sie zu retten (Joh 3,16).

P. Dr. Johannes Füllenbach SVD