Ostersonntag – Am Tag

Predigtimpuls

Eine Liebesgeschichte

1. Lesung: Apg 10,34a.37-43
2. Lesung: Kol 3,1-4
Evangelium: Johannes 20,1-18

 

Was ist geschehen?
Wir feiern Ostern. Und was hörten wir eben im Evangelium? Die Geschichte einer Frau:

Als es noch dunkel ist, macht sich Maria von Magdala auf. Sie sieht, dass der Stein vor dem Grab nicht mehr da ist. Sie läuft zu den zwei Jüngern und sagt ihnen, was sie gesehen hat. Die Jünger kommen, schauen und gehen „wieder nach Hause“ (Joh 20,10). Sie bleibt und weint. Wo die Jünger nichts hörten und sahen, sieht sie Engel und hört ihre Stimmen. Dann trifft sie einen Mann, und an der Art und Weise, wie er ihren Namen ausspricht, erkennt sie Ihn. Er gibt ihr Seinen Auftrag, sie geht zu Seinen Brüdern (und Schwestern).

Maria von Magdala kommt, sieht, ruft, sie bleibt, sie weint, sie erkennt, sie geht.

In dieser Szene des Grabgartens ist das Subjekt der Handlung eine Frau. Er, der Auferstandene, erscheint ihr, während sie wartend und weinend am Grab steht. Warum weint sie? Wir können nicht „Ostern“ sagen, ohne an Karfreitag, ohne an sein Sterben am Kreuz zu denken. Sie weint, weil sie Ihn, den sie am Kreuz hatte sterben sehen, sucht. Da Sein Leichnam nicht mehr im Grab liegt, will sie Ihn sogar zurückholen.

Zwei Frauen im Leben Jesu
Warum tut sie das? Aus Pietät? Aus Ehrfurcht vor dem Toten? Nein, sie tut es, weil sie diesen Mann geliebt hat. Sie war Ihm gefolgt bis unters Kreuz – wie Seine Mutter. So jedenfalls hat es Johannes beschrieben. Wie Seine Mutter Sein Leben auf Erden ermöglicht durch ihr Ja, so macht Maria von Magdala Sein Scheiden von dieser Welt möglich, indem sie Ihn loslässt. Das Ja zweier Frauen steht am Anfang und am Ende Seines Lebens.

Das Ja der Frau, die Ihn zur Welt brachte und die dadurch Seine Mutter wurde (durch ein Kind wird eine Frau zur Mutter), wurde und wird in der Kirche auf vielfältige Weise gefeiert – bis zur Aufnahme ihres Leib und ihrer Seele in den Himmel (1950 von Papst Pius XII. in der Konstitution „Munificentissimus Deus“ für die röm.-kath. Kirche zum Dogma erhoben).

Die andere Frau, die Ihn im Grabgarten losließ, nannte man auch „Apostelin der Apostel“. Das hatte jedoch keinerlei Konsequenzen für die Kirche und ihre Lehren in Bezug auf den Auferstehungsglauben. Die reichhaltige Legendenbildung zeigt in Wort und Bild die Erzählung „Maria von Magdala – von der großen Sünderin zur Bußfertigen“. Aber ist uns bewusst, dass sie nicht nur bei Johannes, sondern auch bei Matthäus und Markus die Frau ist, der Jesus von Nazaret als erste erscheint? [Anmerkung der Redaktion: Bei Lukas gehört sie zu den Frauen, die von den Männern „in leuchtenden Gewändern“ (vgl. Lk 24,4) im Grab zur versammelten Anhängerschaft Jesu mit der Botschaft der Auferstehung geschickt werden.] Sie ist Seine erste Zeugin! Und auf ihr Zeugnis hin „ich habe den Herrn gesehen“ (Joh 20,18) versammelten sich die Jünger hinter verschlossenen Türen am „Abend dieses ersten Tages“ (Joh 20,19). Es ist derselbe Tag, an dem sie sich zu Seinem Grab aufmachte, als es noch dunkel war.

Treffen mit dem Geliebten
Mitten in ihr Suchen und Weinen hinein erscheint Er ihr. W i e Er ihren Namen ausspricht, daran erkennt sie Ihn. Andere erkennen Ihn an anderen Zeichen – zum Beispiel am Brotbrechen (vgl. Lk 24,31.35).

Ist das nicht die kürzeste Liebesgeschichte der Welt? „Maria!“ - „Meister!“ Und gehört diese Geschichte nicht ins Zentrum unseres Glaubens? Nicht nur sind Karfreitag und Ostern hier aufs engste miteinander verbunden – Weinen und Freude, Tod und Auferstehung. Sondern hier ist eine Frau gleichsam in der Mitte unseres Glaubens, in der Auferstehungsgeschichte, gegenwärtig als Handelnde. Sie nimmt nicht passiv ein Geschehen hin, nein, sie ist tatsächlich das Subjekt der Handlung in Johannes 20,1–18! Dieser grammatische, sprachliche Hinweis in einer Osterpredigt mag sich seltsam unpassend anhören. So ist er aber nicht gemeint! Es soll vielmehr nur überzeugend gesagt werden, dass Maria von Magdala als erste Zeugin der Auferstehung das bewirkt, was Johannes mit seinem Evangelium, das ich als einen Liebesbrief an uns verstehe, erreichen will: „Diese (Zeichen) aber sind geschrieben, damit Ihr (Du und ich) glaubt, dass Jesus der Messias ist“ (Joh 20,31).

Man kann nicht Ostern feiern, ohne den Karfreitag zu erinnern! Und für beides, für das Erinnern Seines grausamen Sterbens am Kreuz und für die Freude Seines Wiederkommens, steht mir Maria von Magdala. Sie ist Seine Zeugin für Sein Leben, Seinen Tod und Sein Wiederkommen. Auf Seine Bitte hin, Ihn nicht festzuhalten, lässt sie Ihn los. Ja, sie lässt Ihn los für Seine Aufgabe, zu Seinem Vater und zu unserem Vater, zu Seinem Gott und zu unserem Gott zu gehen. Indem sie Ihn loslässt, erfüllt sie Seinen Auftrag, ja, kann sie Seinen Auftrag, zu Seinen Brüdern (und Schwestern) zu gehen, überhaupt erst erfüllen. Jetzt erst kann sie gehen, um ihnen auszurichten, wohin Er geht.

Zwei Menschen, die sich lieben, umarmen einander und lassen einander los zu ihrer je eigenen Aufgabe. Er geht zum Vater, sie geht zu Seinen Brüdern (und Schwestern).

„Halte mich nicht fest, denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: …“ (Joh 20,17).

Halte mich nicht fest! Geh! In diesen Worten finden Liebende ihren Weg in Seiner Nachfolge. Sie halten einander in ihrer Liebe nicht fest, sondern lassen einander los, um ihren je eigenen Aufgaben nachzukommen. Umarmen und Loslassen! Auf vielerlei Weise folgen Menschen Ihm nach. Im Grabgarten entdecken wir die Feier des Eros, in der Liebende ihren Weg in Seiner Nachfolge erkennen. Nur Liebende erkennen ihn wieder. Denn es ist ein Wiedererkennen Seiner Liebesgeschichte mit einer Frau.

Die erste Zeugin der Auferstehung
Eine fast unglaubliche Liebesgeschichte. Er, Jesus von Nazaret, der Messias, der Gottessohn, dem wir vertrauen, den wir lieben, an den wir glauben, teilt einer Frau das Geheimnis Seiner Auferstehung als erster mit. Nicht Seiner Mutter, nein, der Frau, die Er liebte. Vom Anfang unseres österlichen Glaubens an ist eine Frau hineingenommen in das christliche Glaubensgeheimnis.

So eng hineingenommen wie in Seine Geburt, so ist eine Frau auch in Seine Auferstehung verwoben. Und so lebten auch die Männer und Frauen der ersten christlichen Gemeinschaften, z.B. in den sogenannten Hauskirchen, geschwisterlich miteinander. Noch konnte Paulus schreiben, „es gibt weder Mann noch Frau“ (Gal 3,28), wie auch Jesus nicht zwischen Männern und Frauen, sondern zwischen Armen und Reichen unterschied. 

Johannes, das Genie der Liebe (vgl. dazu: 1 Joh 4), kleidet seine Geschichte der Auferstehung in eine Liebesgeschichte. Maria von Magdala, Seine erste Zeugin, das war und ist kein Ärgernis. Das ist vielmehr ein wunderbares Zeugnis menschlicher Liebe über den Tod hinaus und ein überzeugendes Zeichen für die absolute Gleichwertigkeit der Frau in Seiner Gemeinschaft, einer Gemeinschaft, in der alle einander so lieben sollten, wie Er sie geliebt hatte. 

„… als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,27b). Gott ist nicht im Mann zu kurz gekommen, wie ein Buchtitel von Inge Wenck anmahnt.

Erst die entstehenden Strukturen der Kirche in den ersten Jahrhunderten gründeten auf griechischer Philosophie und römischem Recht, und sie prägten das Verständnis von Mann und Frau. Wie die ganze Kirche eine Glaubensgemeinschaft auf dem Wege ist, unterwegs in dieser Welt, so veränderte sich auch das Verhältnis von Frau und Mann im Laufe der Jahrhunderte. 

Nur wenn Frauen und Männer je für sich selbst und gemeinsam ihre Gottesebenbildlichkeit als Person erkennen, werden wir die Auferstehungsgeschichte, wie sie uns Johannes berichtet, in Freude und Dankbarkeit annehmen und feiern. Eine Feier des Eros. Liebende werden Ihm folgen, Sein sanftes Joch auf sich nehmen, und sie werden als Sein Jünger und Seine Jüngerin daran erkannt werden, wie sie miteinander umgehen.

Noch immer brechen Frauen auf, warten und weinen und erkennen ihren Anspruch auf Ihn, den Auferstandenen.

„Es gibt noch vieles anderes, was Jesus getan hat. Wenn man alles aufschreiben wollte, so könnte, wie ich glaube, die ganze Welt die Bücher nicht fassen, die man schreiben müsste“ (Joh. 21,25).

Gertrud Schiemann