6. Sonntag der Osterzeit (A)

Predigtimpuls

Christen sind keine zurückgelassenen Verlierer

1. Lesung: Apg 8,5-8.14-17
2. Lesung: 1 Petr 3,15-18
Evangelium: Joh 14,15-21


August 1993. Die Nacht vor meinem Abschied von meinen Familienangehörigen und Freunden flog so schnell dahin. Mein Wunsch, den Lauf der Zeit zu verlangsamen, wurde einfach von der Sonne ignoriert, die pünktlich um 06.00 Uhr aufging. Mit dem Bus über holprige Straßen durch traumhafte Landschaften zum Flughafen gebracht, spürte ich die „Abschiedsbewegung“ der Bäume im Wind. Am Himmel raste eine Maschine im Tiefflug über uns.

 

Im Wartesaal des Flughafens wehte der Abschiedswind. Meiner Mutter standen die Tränen in den Augen, und ich spürte immer deutlicher, dass ich in kurzer Zeit  von ihr und von anderen, die mich lieben, für eine ziemlich lange Zeit Abschied nehmen musste. Zeit kennt keine Kompromisse. Die Stimme einer jungen Dame durch den Lautsprecher, die freundlich zum letzten Mal alle Passagiere bat in das Flugzeug einzusteigen, hatte mich aus der Umarmung mit meiner Mutter gelöst. Mir kamen leise Tränen. Dabei hörte ich meine Mutter sagen: „Wo immer du auch bist, solltest du für dich ein Zuhause schaffen“.

 

Abschiedsworte hinterlassen Spuren in unseren Herzen. Sie bleiben im Gedächtnis haften und haben oft eine Wirkungsgeschichte. Nachdem Jesus drei Jahre gemeinsam mit seinen Jüngern durchs Leben gegangen war und dann beim Mahl die Abschiedsrede gehalten hatte war er traurig. „Nur noch kurze Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr.“ Diese Worte sind Teil der Abschiedsrede Jesu, die uns das Johannes-Evangelium überliefert. Nach dem letzten Abendmahl und der Fußwaschung folgt beim Evangelisten Johannes eine sehr lange Abschiedsrede, aus der wir heute einen Teil gehört haben.

 

Zeit kennt keine Kompromisse. Jesus musste die Welt verlassen, um zum Vater zurückzukehren. In den drei Jahren gemeinsamen Lebens waren viele schöne Momente zu verzeichnen. Die Jünger Jesu durften erfahren, wie die Zeit mit Jesus ihr Leben völlig veränderte. Mit ihren eigenen Augen hatten sie gesehen, wie Jesus mit nur fünf kleinen Broten und zwei Fischen fünftausend Männer, dazu deren Frauen und Kindern, gespeist hatte. Sie waren außer sich geraten, als sie erfuhren, wie Blinde sehend wurden, wie Lahme von ihren Betten aufsprangen und gehen konnten, und wie Aussätzige rein wurden! Sie trauten sogar ihren Augen nicht, als Jesus Tote lebendig machte.

 

Und nun: Sollte das alles so einfach und spurlos vergangen sein, wie Rauch im Wind? Drei Jahre Zeit waren so schnell verflogen. Sie wollten ja weiterhin mit Ihm zusammen sein. Sie waren der Auffassung, Jesus würde mit Gottes Hilfe das jüdische Volk von der römischen Besatzungsmacht befreien. Sie wollten den Lauf der Zeit verlangsamen, um besser zu verstehen, warum Jesus den Zöllnern und Sündern seine Liebe zusagte und die Liebe Gottes auch ihnen galt. Der Zug, der „Zeit“ heißt, ließ sich nicht anhalten. Immer mehr dunkle Wolken zogen auf. Ihr Wunsch, immer bei Jesus und mit ihm sein zu können, schien bodenlos. Blieb wirklich nichts von seinen Worten und Werken erhalten?

 

Die Zeit läuft davon. Himmel und Erde werden vergehen, die Worte Jesu aber werden nicht vergehen: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch“ (Joh 14,18); „Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll“ (Joh 14,16). Das Wort „Beistand“ kommt aus dem griechischen Wort „parakletos“ und heißt: „der zur Unterstützung Herbeigerufene“, „der als Beistand Zugezogene“, „der zugunsten eines anderen Auftretende“, „der Helfer“. Was Jesus mit dem „Beistand“ ausdrücken wollte, ist der Geist Gottes – der Hl. Geist, der sein Geist ist. Er, der Hl. Geist, ist die innige Liebe, das Bindeglied zwischen Vater und Sohn. Er ist der Geist der Wahrheit und der Liebe, die nicht getrennt werden können und dürfen. Die Wahrheit Gottes ist zugleich seine Liebe. Trennt man die Liebe und die Wahrheit, so hört die Wahrheit auf, Wahrheit zu sein.

Die Zeit läuft davon. Die Worte der Menschen vergehen mit der Zeit. Die Worte Jesu sind aber nicht zeitgebunden, sind nicht relativ, sondern ewig und überzeitlich. Das Versprechen Jesu, den Menschen den Beistand zu senden, sind keine leeren Worte. Erfüllt und gestärkt durch den Hl. Geist ging der Diakon Philippus nach Samarien, bekannt als Ort der Barbaren und der Heiden, um das Evangelium Christi zu verkünden. Viele bekehrten sich und kamen zum Glauben an Jesus Christus, den Messias. Als die Apostel in Jerusalem diese frohe Botschaft hörten, sandten sie Petrus und Johannes nach Samarien, um dort die Bekehrten in ihre Gemeinde aufzunehmen und durch Handauflegung den Hl. Geist auf sie herabzurufen. Dieser Hl. Geist stand ihnen im Auf und Ab des Lebens als Begleiter und Tröster bei. Er stärkte sie, um Zeugnis ablegen zu können vom auferstandenen Herrn, der sie nicht als Waisen zurückließ.

Drei gemeinsame Jahre zwischen Jesus und seinen Jüngern flogen so schnell dahin. Die Abschiedsworte Jesu an seine Jünger waren von Sorge umhüllt: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“ (Joh 14,15). Jesus wusste um die Wankelmütigkeit und Kleingläubigkeit seiner Jünger; wusste auch, dass diese Wankelmütigkeit und Kleingläubigkeit nicht geringer, sondern größer werden würde, wenn er nicht mehr in der Welt sein würde. Darum fügte er gleich hinzu: „Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll“ (Joh 14,16).

Jesus kehrt zu seinem Vater heim, aber lässt uns nicht als Waisen zurück. „ich lebe und weil auch ihr leben werdet“ (Joh 14,19b). Mit dem Versprechen der Sendung des Hl. Geistes möchte Jesus alle Christen ermutigen, dass sie noch das Leben vor sich haben. Der russische Dichter Fjodor M. Dostojewski bekennt kurz vor seinem Tod: "Mein Leben geht zu Ende. Ich weiß und fühle es. Doch mit jedem sich neigenden Tag spür ich auch, wie mein irdisches Leben übergeht in ein neues, unendliches, unbekanntes Leben, dessen Vorgefühl meine Seele vor Entzücken erzittern lässt, meinen Geist erleuchtet und mein Herz vor Freude weinen macht."

Christen sind nicht als Waisen zurückgelassen. Sie sind keine zurückgelassenen Verlierer. Darum werden wir nicht müde, weiter zu gehen auf die „neue Welt“ hin – eine Welt, die Jesus uns versprochen hatte als der Abend des Abschieds hereinbrach und bevor er hinter den Wolken verschwand, nicht um für immer fort zu gehen, sondern um als Herr des Universums wieder zurück zu kommen.

 


P. Dr. Polykarp Ulin Agan SVD