Pfingsten – Am Tag

Predigtimpuls

Christliche Mission – Verstoß gegen die Menschlichkeit?

1. Lesung: Apg 2,1-11
2. Lesung: 1 Kor 12,3b-7.12-13
Evangelium: Joh 20,19-23

In seinem Buch „Religion in der Verantwortung“ schreibt der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt: „… Ich war und bin mir auch heute darüber im Klaren, dass viele Menschen in ihrem christlichen Glauben Halt finden. Ich habe Gläubige zeit meines Lebens immer respektiert, gleich welcher Religion sie anhängen. Aber ebenso habe ich religiöse Toleranz immer für unerlässlich gehalten. Deshalb habe ich die christliche Mission gegenüber Andersgläubigen stets als Verstoß gegen die Menschlichkeit empfunden. Wenn ein Mensch in seiner Religion Halt und Geborgenheit gefunden hat, dann hat keiner das Recht, diesen Menschen von seiner Religion abzubringen…“

Schmidt sagt mit seinem Satz über christliche Mission wohl etwas, das heute eine recht breite Zustimmung findet. Deshalb möchte ich Sie heute, an Pfingsten, einladen, einmal darüber nachzudenken, was christliche Mission eigentlich heißt. Geht es wirklich darum, Menschen von ihrer Religion abzubringen?

Wenn wir auf die Bibel schauen, so finden wir dort, dass Mission keine Erfindung der Kirche ist, sondern ihren Ursprung bei Jesus bzw. bei Gott selber hat. Gerade haben wir gehört: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Jesus sendet seine Jünger, damit sie fortführen, was er selbst begonnen hat, nachdem der Vater ihn gesandt hatte.

Weder die Kirche noch irgendein Mensch ist der Ursprung und Träger der Mission. Mission ist das Werk des dreifaltigen Gottes, des Schöpfers und Erlösers, für das Heil der Welt. Mission ist ein Dienst, an dem die Kirche teilhat. Mission hat ihren Ursprung im Herzen Gottes. Gott ist die Quelle sendender Liebe. Das ist der tiefste Grund der Mission: Es gibt Mission, weil Gott Menschen liebt. „Der veränderte und sich weiter ändernde Kontext der Mission heute verlangt von uns dringlicher denn je eine neue missionarische Antwort. Der Ausgangspunkt dafür muss immer die Überzeugung sein, dass Mission an erster Stelle ‚Werk des Geistes‘ (RM 24) ist und dass unsere Berufung als Einladung zur Mitarbeit an der Mission des Dreieinigen Gottes zu verstehen ist. Durch den Willen des Vaters und das Wirken des Heiligen Geistes vermittelt das Göttliche Wort Leben und führt uns so enger zusammen.“

Nach Ostern, nachdem Jesus den Jüngern verschiedene Male erschienen war, beginnt eine neue Zeit. Jesu Erscheinungen, persönliche Begegnungen mit ihm und das Zeugnis über ihn haben Jünger – Männer und Frauen – zum Glauben geführt. Seit Ostern haben wir in den Texten der Liturgie immer wieder davon gehört: Jesus erschien der Maria von Mágdala, dem Simon Petrus, dem Johannes, den beiden auf dem Weg nach Emmaus; Jesus tritt in die Mitte der Jünger, als sie sich versammelt hatten; er wünscht ihnen den Frieden und den Heiligen Geist; Jesus begegnet dem Thomas, der zunächst gezweifelt hatte; die Jünger erkennen Jesus, als er das Brot bricht; er offenbart sich ihnen am See von Tiberias beim Fischfang; er ist der gute Hirte, der Weg, die Wahrheit und das Leben; er ist derjenige, der den Vater bitten wird, dass er den Jüngern einen anderen Beistand gibt, den Geist, der für immer bei ihnen bleiben soll; er lebt und wirkt aus seiner tiefen Beziehung zum Vater und er wird schließlich in den Himmel aufgenommen.
Die Jünger, die ihn seit Ostern so erlebt hatten, erfahren eine neue Kraft. Immer wieder versammeln sie sich – ihre Begegnungen mit dem Auferstandenen, ihre Glaubenserfahrungen, drängen sie dazu, mit den anderen in Kontakt, im Gespräch zu bleiben, ja, weiterzusagen, was ihnen widerfahren ist. Glaube braucht Gemeinschaft, braucht das Teilen und Mit-Teilen. Erst nachdem der Heilige Geist an Pfingsten auf sie herabgekommen war, brachen die Apostel zu den Grenzen der Erde auf. Die erste Lesung über den Pfingsttag führt uns eindringlich vor Augen, dass es der Geist ist, der Einheit stiftet, der Menschen zusammenführt: alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt; Juden aus allen Völkern unter dem Himmel; viele andere – aus allen Teilen der damals bekannten Welt waren zusammen und durch den Geist verstand jeder jeden. Noch einmal: alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt: der Geist Gottes kennt keine Grenzen, Nationalitäten, oder Diskriminierungen aufgrund von Religion.

Pfingsten, Gottes Heiliger Geist, lässt die Jünger endgültig aufbrechen, damit sie das weitersagen, was sie selbst mit Jesus erlebt hatten – damals, als er noch unter ihnen war und jetzt, nachdem sie ihm als dem Auferstandenen und Lebendigen begegnet waren. Sie, die Jesus kennen, die an ihn glauben, werden durch den Heiligen Geist zu Zeugen. Und ihr Zeugnis begeistert andere Menschen – die Gemeinschaft der Gläubigen wächst. Gerade das Johannesevangelium erinnert uns an diese Sendung Jesu: Er spricht zum Vater: „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (17,18). Die ganze Bedeutung der Sendung kommt in Jesu Gebet zum Ausdruck: „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (17,3). Bei dieser Sendung geht es darum, Anteil zu geben an der Gemeinschaft, die zwischen Vater und Sohn besteht. Die Jünger sollen die Einheit leben… sie sollen im Vater und im Sohn bleiben, damit alle erkennen und glauben. Und das wird ihnen nur gelingen, wenn sie im Geist bleiben – in Gottes Geist, der Einheit stiftet.

Natürlich gibt es unendlich viele Beispiele dafür, dass Mission anders gelaufen ist: statt Einheit Spaltung, Trennung; statt Freiheit Zwang; statt Liebe Gewalt; statt Respekt Unterdrückung. Aber all diese Beispiele dürfen uns nicht ablenken von der wahren Bedeutung der christlichen Sendung und mahnen uns, auf die Ursprünge, auf den Anfang zu schauen. Mission ist Gottes Mission, die nach dem Vorbild Jesu und mit dem Heiligen Geist möglich wird. Gott ist die Liebe und sucht nach dem Gegenüber; Gott sucht immer neu und in immer neuen Situationen den Dialog mit den Menschen und der Welt. Gott wirkt im Hier und Heute und ist auch jetzt erfahrbar – in der ganzen Schöpfung, nicht allein in Kirche, Christentum oder einer bestimmten Religion. Im Mittelpunkt des missionarischen Geschehens steht das Wirken Gottes. Der Zeck der Kirche ist über sich selbst hinaus zu weisen und eine Gemeinschaft zu sein, die das Reich Gottes verkündet und dafür Zeugnis ablegt. Das geschieht im Geist des Dialogs: Dialog ist eine Haltung von Solidarität, Achtung und Liebe, die all unser Tun durchdringt. Eine solche Haltung, die andere Menschen ernst nimmt, fordert uns heraus, immer wieder auf den Geist zu hören und nach neuen Wegen der Verkündigung und des Zeugnisses zu suchen. Jesus sendet seine Jünger aus, damit sie fortführen, was er begonnen hat. Heute, an diesem Pfingsttag, werden wir daran erinnert, dass wir eingeladen sind, an dieser Sendung teilzunehmen. Der Geist der Einheit kommt auch auf uns herab; der Geist wird auch uns zeigen, wie unser Beitrag aussehen kann.

Wenn christliche Mission ein Verstoß gegen die Menschlichkeit wäre, wäre sie nicht christlich. Es geht – im Gegenteil – um einen Beitrag zur Menschlichkeit, der sich aus dem Glauben an Jesus Christus ergibt. Es geht um menschliches Heil auch in und nicht nur nach diesem Leben. Es geht um Jesu befreiende, Leben- und Einheit-stiftende Botschaft vom Reich Gottes. Versuchen wir für einen Moment still zu werden und auf den Geist zu hören, der auch unser Leben verwandelt. Amen.

P. Dr. Martin Üffing SVD