Kreuzerhöhung (F)

Predigtimpuls

„Im Kreuz ist Heil, Hoffnung, Leben!“

Lesung: Num 21,4-9 oder Phil 2,6-11
Evangelium: Joh 3,13-17

 

„Das Kreuz mit dem Kreuz“ nannte ein Arzt die Volkskrankheit der Rückenbeschwerden, die oft den aufrechten Gang durchkreuzen. Viele haben es „im Kreuz“, so sagen sie; aber viele haben es nicht mehr „mit dem Kreuz“ als religiösem Zeichen unseres christlichen Glaubens. Das Kreuz verschwindet aus dem Bewusstsein und aus der Öffentlichkeit. Es passt vielen nicht mehr in die Landschaft und schon gar nicht mehr in Schulen und öffentlichen Gebäuden. Wenn sich der glaubenswillige kranke Mensch nicht mehr Kraft und Trost holen darf im Krankenhaus mit dem Blick auf den erhöhten Herrn am Kreuz, ist unsere Gesellschaft krank. Wenn unsere Werte verfallen und sinken, kann uns die Kreuzerhöhung vielleicht wieder aufrichten.

Natürlich ist die Rede von Kreuz und Leid alles andere als „schön“ und ist anscheinend ein Kontrast zur Spaßgesellschaft. Die preist und verherrlicht in Werbung und Lebensgefühl. Einseitig: Schönheit, Wellness, Gesundheit, Jugendlichkeit, Leidfreiheit. Der bekannte Arzt und Schriftsteller Dr. Manfred Lütz hinterfragt das in seinem lesenswerten Bestseller „Lebens Lust. Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult“. Dazu sagt der Klappentext: „Nichts ist so krank wie unser Streben nach Gesundheit! Höchste Zeit, etwas gegen den Gesundheitswahn zu tun, fand Manfred Lütz, renommierter Psychotherapeut und begnadeter Essayist. In seinem Buch feuert er satirische Breitseiten auf das übertriebene Streben nach Hyper-Fitness, ein Alter ohne Falten und die künstliche Selbstkasteiung beim Essen. Lütz kämpft einfach für mehr Lebenslust – und hat die besseren Argumente auf seiner Seite.“ Und die FAZ wird zitiert mit der Kurzformel: „Manfred Lütz lehrt mit Witz die Kunst, zu leben und zu sterben!“ Und er beruft sich dabei immer wieder auf die Bibel, auf die Lebensgeschichte Jesu Christi, auf sein Sterben am Kreuz und auf die Auferstehungshoffnung des Christentums. Es ist ein Jammer, dass die Sehnsucht nach Religion unverkennbar groß ist heutzutage, aber dass die Kirche mit ihrer Frohbotschaft so wenig verstanden und akzeptiert wird, vielleicht, weil sie in verstaubter Verpackung und in unverständlicher Sprache angeboten wird.

Die Rede vom Kreuz ist immer Torheit und Ärgernis gewesen. In den Katakomben gibt es keine Kreuzesdarstellung. Das erste Kreuz, das man vorfand, war das Spottkreuz: Ein Mensch mit Eselskopf hängt am Kreuz und ein Mitsoldat spottet: „Alexamenos betet seinen Gott an!“ Später wurden mit dem Kreuz als Siegeszeichen Kriegsschlachten geschlagen. Im Zeichen des Kreuzes wurden Feinde vernichtet. Das war ein verhängnisvoller Wahnsinn, bis hin zum Abfackeln von jüdischen Synagogen und heidnischen Tempeln. Heute ist umgekehrt in manchen islamischen Ländern das Kreuz für viele Fundamentalisten eine Aufforderung zum Abfackeln von Kirchen.
Mit dem Symbol des Kreuzes ist alles Leid der Welt gemeint. Aber nicht in masochistischer Selbstzerstörung. Wir erhöhen das Kreuz, aber wir überhöhen nicht das Leiden. Sondern das Zeichen des Kreuzes ermöglicht uns, alles zu tun, um ungerechtes Leid zu verhindern, um Leid zu vermindern. „Holt den Menschen vom Kreuz!“ ist eine Konsequenz für Glaubende, die sich für diesen Kampf gegen Leid und Ungerechtigkeit die Kraft holen. Gott will das Heil aller Menschen; aber manches Leid gehört zum Leben; es gibt keine leidfreie Welt. Das ist der Irrtum jener, die durch Pränataluntersuchung nur leidfreie Kinder haben wollen oder die dem Leid des Alterns ausweichen wollen, wie neulich der Alt-Playboy Gunter Sachs lieber den Selbstmord wählte, als mit der Angst vor Altersbeschwerden zu leben.

Für fast jeden Menschen gibt es Kreuz und Leid. Die Kraft, es tragen zu können, kommt vom Blick auf den gekreuzigten und erhöhten Herrn. Das meint eine mittelalterliche Legende, die Sie vielleicht kennen: Einmal beklagte sich ein Mensch bei Gott über sein schweres Kreuz. Gott führte ihn in einen Raum mit lauter Kreuzen und bot ihm an, sein Kreuz auszutauschen. Der Mensch suchte und probierte, bis er schließlich eines fand, das ihm erträglich erschien. Gott sagte: „Das ist jenes Kreuz, das du bisher getragen hast, das ich von Ewigkeit für dich ausgesucht hatte und für das ich dir auch die Kraft gab, es tragen zu können.“

Der Glaube an Gott bewahrt uns nicht vor Leid, aber im Leid. Christus erlöste uns nicht vom Kreuz, sondern durch das Kreuz. Wie wir bei der Kreuzverehrung am Karfreitag bekennen: „Seht das Holz des Kreuzes, das Heil der Welt. Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung.“

Bedenken wir noch einmal das Wort des leidgeprüften und musikerfahrenen Beethoven: „Die Kreuze im Leben des Menschen sind wie die Kreuze in der Musik: Sie erhöhen.“ Je älter ich werde, um so mehr spüre ich: Man kann sein Leben nicht verlängern oder verbreitern, nur erhöhen oder vertiefen. Es kommt nicht darauf an, wie alt man wird, sondern wie man alt wird. Mein Lebensmotto: „Es macht Freude, Freude zu machen. Es ist gesund, sich krankzulachen.“ Das biblische Halleluja ist älter und trostvoller als das durchaus berechtigte karnevalistische helau und alaaf. ---

 

P. Hermann Bickel SVD